Das Normalisierungsabkommen vom letzten Jahr ist Makulatur, der EU-Beauftragte hat den Bettel hingeworfen. Belgrad und Pristina kämpfen erbittert um die Oberhand im serbisch besiedelten Norden Kosovos.
Der Unterhändler geht. Miroslav Lajcak, der Sonderbeauftragte der EU für die Verhandlungen zwischen Serbien und Kosovo, gibt auf; die Suche nach einem Nachfolger läuft. Der Abgang überrascht nicht. Die Gespräche über eine Normalisierung der Beziehung der Nachbarn, die seit 2011 geführt werden, sind festgefahren. Es bewegt sich nichts. Und wenn, dann in die falsche Richtung. Dem slowakischen Diplomaten den Misserfolg in die Schuhe zu schieben, ist billig. Auch der Vorwurf aus Pristina, Lajcak sei parteiisch zugunsten Belgrads, sticht nicht.
Der Grund für die Blockade liegt anderswo: Weder Belgrad noch Pristina sind bereit, das Abkommen umzusetzen, das ihnen die EU im Februar 2023 vorlegte. Was damals wie ein Durchbruch erschien, erweist sich im Rückblick als Rohrkrepierer.
Im Kern enthält das Abkommen zwei Punkte: Serbien anerkennt Kosovo zwar nicht formal, aber verhält sich entsprechend. Vor allem steht es Pristina nicht im Weg, wenn es internationalen Körperschaften (etwa der Uno) beitreten will. Es geht also um eine De-facto-Anerkennung. Umgekehrt hält Pristina sein vor elf Jahren gegebenes Wort und räumt den Kosovo-Serben eine begrenzte Autonomie ein. Konkret: Es lässt die Gründung einer Gemeinschaft serbischer Gemeinden zu.
Zwar hatte sich der serbische Präsident Aleksandar Vucic im Februar 2023 geweigert, seine Zustimmung zum Abkommen schriftlich zu geben. Auch sein Gegenspieler, Kosovos Regierungschef Albin Kurti, unterschrieb nicht. Doch der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell stellte sich auf den Standpunkt, die mündlichen Zusicherungen und die Mitarbeit an dem Abkommen mache es gleichwohl rechtlich bindend.
Doch die Vertragspartner foutieren sich darum. Kaum zurück in Belgrad, machte Vucic klar, dass sich sein Land weiterhin gegen die Aufnahme Kosovos in den Europarat stemmen werde. Und sein kosovarischer Gegenpart, Ministerpräsident Albin Kurti, rührt keinen Finger, um die schon lange vereinbarte Autonomie der Kosovo-Serben umzusetzen.
Vucic hofft auf eine neue Chance mit Trump im Weissen Haus
Vucic spielt auf Zeit. Er hofft, dass im Herbst Donald Trump noch einmal amerikanischer Präsident wird. Mit ihm im Weissen Haus, so das Kalkül, lassen sich die Karten in der Kosovofrage nochmals neu mischen. Es waren schliesslich Trumps Gesandte, die 2018 einen Landtausch zwischen Pristina und Belgrad unterstützten, den Vucic und der damalige kosovarische Präsident Hashim Thaci ausgehandelt hatten.
Der zu 90 Prozent serbisch besiedelte Nordkosovo mit etwa 50 000 Bewohnern sollte zurück an Serbien fallen, umgekehrt das vorwiegend von Albanern bewohnte Presevo-Tal in Südserbien mit Kosovo vereinigt werden. Das Vorhaben scheiterte vor allem am Widerstand Berlins, das keine neue Grenzänderung akzeptieren wollte. Mit Trump, so hofft Vucic, wird ein neuer Anlauf möglich.
Kurti dagegen, ein Gegner des Landtausches, hat es eilig. Er versucht in Nordkosovo vollendete Tatsachen zu schaffen. Mit harten administrativen Massnahmen und polizeilichen Mitteln setzt er in dem Landesteil die kosovarische Souveränität durch. Er lässt Basen für die schwerbewaffnete Spezialpolizei bauen, schickt die Finanzkontrolle los und beschlagnahmt Gebäude, die ohne Bewilligung gebaut wurden. Der bisher tolerierte Gebrauch des serbischen Dinar wird verboten, und kyrillisch beschriftete serbische Ortstafeln werden ausgewechselt.
In den Augen der serbischen Bevölkerung tritt die kosovarische Staatsmacht wie eine Besetzungsmacht auf. Denn bis zu Kurtis Machtantritt 2021 war der kosovarische Staat in Nordkosovo eher Mitbewohner als der Hausherr.
Nach dem Krieg 1999 war der serbische Staat nie ganz aus Nordkosovo verschwunden. Das Gesundheitswesen, die Spitäler und Ambulatorien werden seit je von Belgrad finanziert. Ebenso die Schulen und die Universität, die nach serbischen Curricula betrieben werden. Bis 2013 waren auch die Justiz, die Gemeindeverwaltungen und ein Teil der Polizei in serbischer Hand. Erst 2013 führte ein Abkommen zwischen Pristina und Belgrad zur Integration von Polizei und Gerichten in das kosovarische System. Im Gegenzug hätte Kosovo den autonomen Gemeindeverbund einführen müssen, was allerdings nicht geschah.
Diese geteilte Souveränität funktionierte im Alltag recht gut. Die Bewohner bezogen ihre Dienstleistungen je nachdem von Kosovo oder von Serbien. Manche genossen das Privileg, sowohl in der einen als auch in der anderen Verwaltung angestellt zu sein. Und die Energiekosten bezahlte Pristina, da es keinen Weg sah, die offenen Rechnungen im Norden einzutreiben. Kurti hatte sich von Anfang an zum Ziel gesetzt, diesem Zustand ein Ende zu setzen. Denn er betrachtet diese Anomalien als Bedrohung der territorialen Integrität seines Landes. Nur: Wie soll der kosovarische Staat dieses Gebiet wirklich integrieren?
Kurti hat Angst vor der Autonomie der Serben
Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten: via Autonomie oder via Zentralisierung. Für die erste Option wäre die Gemeinschaft serbischer Gemeinden der Nukleus gewesen. Sie hätte die Kooperation zwischen den Gemeindebehörden institutionalisiert und eine politisch-administrative Infrastruktur für die Kosovo-Serben geschaffen: eine weitgehende Selbstverwaltung, aber eingebunden in den kosovarischen Staat. Um den Einfluss Belgrads zurückzudrängen, müsste Pristina allerdings im grossen Stil investieren. Was bis anhin von Serbien alimentiert wird, die Bildung, die Gesundheit, müsste Pristina aus seinem Haushalt bezahlen. Doch dafür fehlt das Geld, und vor allem fehlt der politische Wille.
Kurti misstraut der serbischen Autonomie. Er sieht sie nicht als Instrument der Selbstbestimmung, sondern als Einfallstor für Belgrads Einfluss. Dagegen mobilisiert er den Zentralstaat, der notfalls mit Gewalt seine Regeln durchsetzen soll. Das führt immer wieder zu heftigen Konfrontationen und zu einer wachsenden Entfremdung der Kosovo-Serben vom Staat, dessen Autorität die meisten ohnehin nie akzeptiert haben.
Im November 2022 eskalierte eine Auseinandersetzung um den Gebrauch serbischer Autokennzeichen. Darauf wurde der kosovo-serbische Polizeikommandant im Norden von Pristina wegen Ungehorsams entlassen. Innerhalb von wenigen Tagen – und zweifellos nach Rücksprache mit Belgrad – verliessen die Kosovo-Serben geschlossen den Staatsdienst: die Polizei, die Gerichte, die Gemeindebehörden.
Seither sind es kosovarische Polizisten, die im Norden für Ruhe und Ordnung sorgen. In den Gemeindehäusern sitzen kosovarische Gemeindepräsidenten, die nur von einem Bruchteil der Bevölkerung gewählt wurden – die Serben hatten die Wahlen boykottiert. Es ist ein Teufelskreis aus Verweigerung, Widerstand und Repression in Gang gekommen, der für die Zukunft nichts Gutes verspricht.
Im September 2023 ereignete sich der bisher schwerste Zwischenfall. Eine uniformierte serbische Miliz griff eine kosovarische Polizeipatrouille an. Bei dem Gefecht starben ein Polizist und drei Angreifer. Die Polizei fand später grosse Waffenlager mit Maschinengewehren, Minenwerfern und Panzerfäusten. Die Waffen stammten aus Serbien.
Die EU und die USA wirken ratlos – Nato als Sicherheitsgarant
Die vereinten Bemühungen der EU und der Amerikaner, Pristina und Belgrad zur Umsetzung des Normalisierungsabkommens zu bewegen, hat absolut nichts bewirkt. Das ist auf den ersten Blick erstaunlich. Doch was den Unterhändlern im diplomatischen Arsenal fehlt, sind positive Anreize. Was vor fünfzehn Jahren noch wirkte, sticht nicht mehr: das Lockmittel der EU-Integration. In Serbien ist die Zustimmung zum Beitritt unter 50 Prozent gefallen. Und Kosovo hat noch nicht einmal Kandidatenstatus. Fünf EU-Staaten verweigern ihm die Anerkennung.
So liegt die Verantwortung für die Sicherheit Kosovos zurzeit massgeblich auf den Schultern der von der Nato geführten Kfor-Truppe. Die knapp viertausend Männer und Frauen sowie die EU-Rechtsstaatsmission Eulex füllen ein gefährliches institutionelles Vakuum, das in den vergangenen zwei Jahren entstanden ist.