Der grüne Stadtpräsident Alec von Graffenried würde gerne «wytermache», wird aber aus dem eigenen Lager attackiert. Auch der SP-Mann Matthias Aebischer und die Grünliberale Melanie Mettler wollen künftig in Bern mitregieren.
Und wieder einmal setzt Bern in Sachen Progressismus neue Massstäbe. Das Stadtparlament hat sich jüngst für eine Kaderquote für Queere ausgesprochen. Mindestens die Hälfte der Führungsstellen in der Verwaltung soll für Finta-Personen reserviert sein, also für Frauen, Intersexuelle, Nicht-Binäre, Trans- und Agender-Personen. Bern liegt zwar in Sachen Gleichstellung schon heute weit vorne, fast 40 Prozent der Kaderstellen in der städtischen Verwaltung sind von Frauen besetzt. Doch nun will man sich nochmals steigern, nämlich auf 50 Prozent Finta. Für Männer im herkömmlichen Sinn, die in der Stadtverwaltung aufsteigen wollen, ziehen düstere Zeiten auf.
Freuen dürfen sich hingegen 300 Auserwählte: Sie sollen von der Stadt ein bedingungsloses Grundeinkommen erhalten, und das für mindestens drei Jahre. Auch das hat das städtische Parlament vor kurzem beschlossen. Es will ein Experiment durchführen und dafür bis zu neun Millionen Franken einsetzen. Eigentlich hatte man beim bedingungslosen Grundeinkommen auf die Mitarbeit anderer Städte gezählt, auf ein urban-progressives Gemeinschaftsprojekt. Doch daraus wurde nichts, denn die anderen Städte sagten alle ab. Die Berner Parlamentarier lassen sich davon aber nicht bremsen. Woher die Stadt das Geld für die neue soziale Wohltat nehmen will, ist noch offen. Denn Geld ist keines da, Bern schreibt Defizite und ist hoch verschuldet.
Labor für sozialistische Projekte
Die zwei Beispiele zeigen: Wer in Bern regieren oder im Parlament mitbestimmen will, hat es mit einem extrem linken Umfeld zu tun. Und entgegen dem, was die Berner Politik fordert, nämlich Diversität auf allen Ebenen, ist sie selbst alles andere als divers. Die Bundesstadt wird ihrem Ruf, die am weitesten links stehende Stadt der Schweiz zu sein, seit Jahren mehr als gerecht. Das Stadtparlament ist fest in rot-grüner Hand, die Linken dominieren die verbliebenen Bürgerlichen nach Belieben und verstehen ihre Stadt als Labor für sozialistische Projekte.
Der Gemeinderat, die Stadtregierung, kommt im Vergleich zur radikalisierten Legislative fast schon gemässigt daher. Vier der fünf Sitze gehören seit Jahren Rot-Grün, der fünfte Sitz wird vom einsamen Mitte-Politiker Reto Nause besetzt. Für die Bürgerlichen ist Bern, die Stadt der Staatsangestellten und des staatsnahen Speckgürtels, ein unerhört hartes Pflaster.
Daran werden voraussichtlich auch die Wahlen am 24. November, wenn Stadtregierung und Parlament neu bestellt werden, nichts wirklich ändern. Bern wird die linke Hochburg bleiben, in der die Ökonomie nicht so eine Rolle spielt und das Geld scheinbar auf den Bäumen wächst.
Dennoch versprechen die Wahlen für die Stadtregierung für einmal Spannung, denn die Parteien aus der Mitte und aus dem bürgerlichen Lager haben von der Konkurrenz gelernt. Sie treten erstmals mit einer gemeinsamen Liste an, unter dem Titel «Einheitsbrei – oder meh Farb für Bärn». Die Chancen sind intakt, dass ihr breites Bündnis einen zweiten Sitz in der Regierung gewinnt. Drei der bisherigen Regierungsmitglieder treten Ende Jahr zurück: die Grüne Franziska Teuscher, der Sozialdemokrat Michael Aebersold und der in den Nationalrat gewählte Reto Nause.
Drei nicht-linke Frauen und ein «gmögiger» SVP-Mann
Aus Berner Perspektive ist die gemeinsame Liste von Mitte und Bürgerlichen fast schon ein Wagnis. Namentlich die Grünliberalen kämpften mit ihrem Gewissen, ob sie tatsächlich mit der SVP für einen Sitz in der Stadtregierung ein Zweckbündnis eingehen sollten. Doch am Ende überwog der Wille, mit vereinten Kräften vom Proporzverfahren zu profitieren und das Feld nicht einfach wie bisher den Linken zu überlassen. Die Kröte, welche die Grünliberalen schlucken müssen, ist denn auch nicht besonders gross, denn die SVP schickt keinen Polterer ins Rennen, sondern den als «gmögig» geltenden jungen Kandidaten Janosch Weyermann.
Die Favoritenrolle im Bündnis hat Melanie Mettler inne. Die grünliberale Nationalrätin und Nachhaltigkeitsberaterin hat sich im Bundeshaus vor allem in sozialpolitischen Dossiers hervorgetan. Allgemein wird damit gerechnet, dass sie in die Stadtregierung einziehen wird. Der zweite nicht-linke Sitz in der Stadtregierung könnte entweder an die FDP-Kandidatin Florence Pärli oder an die Mitte-Politikerin Béatrice Wertli gehen – sofern die gemeinsame Liste bei den Bernern ankommt und die Leute genügend mobilisiert.
Auch eine andere national bekannte Figur will in Bern künftig mitregieren. Es ist Matthias Aebischer, der langjährige SP-Nationalrat mit dem jugendlichen Auftritt, der auf der rot-grünen Liste antritt. Aebischer ist auch bekannt als mediengewandtes Mitglied einer Patchworkfamilie, in der er mit der grünliberalen Zürcher Ständerätin Tiana Moser lebt. Nachdem es mit dem Bundesrat, der Nachfolge für Alain Berset 2023, nicht geklappt hat, sollte Aebischer der Einzug in die Stadtregierung reibungslos gelingen.
Späte Rache?
Ebenfalls als gesetzt gilt Marieke Kruit. Die Sozialdemokratin ist seit bald vier Jahren in der Stadtregierung und gilt als fähig und nicht ideologisch. Sie stammt aus dem Berner Oberland, wo ihre Eltern ein Hotel führten. Wegen ihres familiären Hintergrunds wird ihr Verständnis für das Gewerbe nachgesagt, das es in Bern – wo das Stadtparlament sich für ein Verbot kommerzieller Werbung auf dem öffentlichen Grund ausgesprochen hat und ohnehin den Kapitalismus überwinden will – tendenziell schwer hat.
Kruit ist die schärfste Konkurrentin für den zweiten Bisherigen, den grünen Stadtpräsidenten Alec von Graffenried. Sein Wahlkampfslogan heisst «wytermache», ihrer lautet «Bern kann mehr». Die Kandidatur von Kruit strapaziert das rot-grüne Verhältnis. Ihr Griff nach dem Stadtpräsidium wird auch als späte Rache dafür gesehen, dass von Graffenried einst die SP-Frau Ursula Wyss ausgebootet hat.
Ob von Graffenried «wytermache» kann, ist offen. Im politischen Bern wird zwar ausgiebig über den Stadtpräsidenten gelästert. Für die Juso ist er zu wirtschaftsliberal, für die Bürgerlichen zu wankelmütig. Wie die Bevölkerung mit dem Stapi zufrieden ist, ist schwer zu beurteilen. Wegen seines Patriziernamens – von Graffenrieds Familie zählt zu den ältesten der Stadt – gelte er als reich und abgehoben, klagte er jüngst, doch das sei ein Vorurteil. Die Leute jedenfalls leben trotz der fast schon verboten hohen Steuerlast gerne in Bern, in Bevölkerungsumfragen erzielt die Stadt bei der Zufriedenheit stets Spitzenwerte.
«Stunde der Opposition»
Der zweite Sitz für das Mitte-rechts-Bündnis ist kein Selbstläufer. Doch vielleicht sieht inzwischen auch die Berner Bevölkerung ein, dass die Stadtoberen mit ihrer rot-grün-alternativ-feministischen Politik und dem Geldausgeben für die eigene Klientel überborden und finanzpolitisch masslos unterwegs sind. So wurde das tiefrote städtische Budget letztmals von über 40 Prozent der Stimmbevölkerung abgelehnt, was gemessen an Berner Massstäben einen gewissen Unmut erkennen lässt. Und auch die Berner Tamedia-Tageszeitung «Der Bund» beschwört geradezu «die Stunde der Opposition» in Bern: «Schaffen die Bürgerlichen heuer keinen zweiten Sitz, klappt das nie mehr.»