Fünf Jahre nach der Abschaffung des Sonderstatus von Kaschmir haben die Befürworter der Autonomie einen klaren Sieg errungen. Der Wahlsieger Omar Abdullah dringt auf eine Wiederherstellung der Eigenständigkeit.
Es ist ein Triumph für Kaschmirs früheren Ministerpräsidenten Omar Abdullah: Der 54-jährige Führer der National Conference (NC) hat die Wahl in der nordindischen Region klar gewonnen. Allerdings hat sein Sieg eine bittere Note. Denn die Himalaja-Region untersteht seit der Abschaffung ihres Autonomiestatus im Jahr 2019 direkt der Regierung von Narendra Modi in Delhi. Wichtige Befugnisse liegen seither bei deren Vertreter, dem Gouverneur. Als Ministerpräsident wird Abdullah nur über begrenzte Macht verfügen.
Abdullah erneuerte am Dienstag seine Forderung zur Wiederherstellung des Autonomiestatus von Kaschmir. Die Wahl sei ein «Mandat des Volkes von Jammu und Kaschmir für die Retablierung der Staatlichkeit gewesen», sagte er nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses. Wenn er vom Regionalparlament in Srinagar zum Ministerpräsidenten gewählt werde, werde er sich bei Modis Regierung in Delhi dafür einsetzen, dass Kaschmir seinen früheren Status zurückerhalte.
Das Himalaja-Tal war bei der Unabhängigkeit 1947 Indien zugeschlagen worden, obwohl seine Bevölkerung vorwiegend muslimisch ist. Dies führte zum Krieg mit Pakistan, das die Region ebenfalls beanspruchte. Dafür erhielt Kaschmir zusammen mit der mehrheitlich hinduistischen Region Jammu einen Sonderstatus in Indien. Gemäss Artikel 370 der Verfassung hatte es fortan das Recht auf eine eigene Verfassung, eine eigene Flagge und weitgehende innere Autonomie.
Modi stufte Kaschmir zum Unionsgebiet herab
Im August 2019 schaffte die Regierung von Narendra Modi den Autonomiestatus von Jammu und Kaschmir jedoch ab und stufte den Staat zu einem Unionsterritorium herab, das direkt Delhis Kontrolle untersteht. Die Annullierung von Artikel 370 war ein langjähriges Wahlversprechen von Modis Hindu-nationalistischer Bharatiya Janata Party (BJP) gewesen. Die Proteste gegen den Schritt in Kaschmir liess Modis Regierung mit Gewalt niederschlagen. Zahlreiche Kritiker wurden inhaftiert, darunter auch Omar Abdullah.
Abdullah kommt aus einer einflussreichen Familie, die Kaschmirs Politik seit 1947 massgeblich geprägt hat. Sein Grossvater Sheikh Abdullah war Kaschmirs erster Ministerpräsident nach der Unabhängigkeit. Auch sein Vater Farooq war in den achtziger Jahren Regierungschef der Region. Noch heute hat Farooq den Parteivorsitz der National Conference inne. Omar Abdullah selbst war bereits einmal von 2009 bis 2014 Chief Minister in Srinagar.
Seine Partei und seine Familie sind daher aufs Engste mit der Geschichte Kaschmirs verbunden. Kritiker werfen ihnen aber vor, um des eigenen Machterhalts willen zu oft Kompromisse mit der Zentralregierung eingegangen zu sein. Eine Abspaltung Kaschmirs lehnte die NC stets ab und trat für den Verbleib bei Indien ein. Auch nach dem Ausbruch eines bewaffneten Aufstands 1987, der zu einer Eskalation der Gewalt in der Region führte, blieb die Partei bei dieser Position.
Abdullahs Protest hat seine Popularität gestärkt
Während ihrer Zeit an der Macht trat die Partei gegenüber Delhi als Verteidiger der Rechte der Kaschmiri auf, doch war sie auch in die staatliche Repression verwickelt. Im Jahr 1999 schloss die NC sogar eine Allianz mit der BJP, woraufhin Omar Abdullah in Delhi kurzzeitig Handels- und Aussenminister wurde. Für seine Partei erwies sich das Bündnis mit den Hindu-Nationalisten als Fehler, und bei der Regionalwahl in Kaschmir 2002 erlitt sie ein Debakel.
Seither ist Omar Abdullahs Partei auf Distanz zur BJP gegangen. Nach der Abschaffung von Artikel 370 im August 2019 profilierte er sich als scharfer Kritiker der Entscheidung. Dass er dafür länger als andere Politiker inhaftiert wurde, stärkte seine Glaubwürdigkeit. Allerdings erlitt er bei der nationalen Wahl im Juni einen Rückschlag, als er seinen Parlamentssitz an Abdul Rashid verlor, einen scharfzüngigen und umstrittenen Befürworter der Eigenständigkeit Kaschmirs.
Der hagere Politiker, der allgemein Engineer Rashid genannt wird, gewann die Wahl, obwohl er unter dem Vorwurf der Finanzierung von Separatistengruppen im Gefängnis sass. Für die jetzige Regionalwahl wurde er auf Kaution freigelassen, um am Wahlkampf teilnehmen zu können. Viele Beobachter erwarteten, dass er die NC Stimmen kosten würde. Letztlich blieb Rashids Partei aber hinter den Erwartungen zurück und konnte nur einen Sitz gewinnen.
Der Rückhalt für die Separatisten ist in letzter Zeit zurückgegangen
Die Kaschmiri haben damit gezeigt, dass sie zwar eine Rückkehr zum Autonomiestatus wollen. Den radikalen Forderungen der Separatisten erteilten sie aber eine Absage. Auch den Aufrufen zum Boykott folgten sie mehrheitlich nicht. Viele Kaschmiri sahen die Wahl offenbar als Gelegenheit, sich fünf Jahre nach dem Verlust der Autonomie wieder Gehör zu verschaffen. Selbst in Hochburgen der Separatisten war die Wahlbeteiligung dieses Jahr höher als bei früheren Wahlen.
Trotz dem Unmut über den Verlust der Autonomie ist die Unterstützung für die Separatisten zurückgegangen. Laut den Behörden haben sich in den vergangenen zwei Jahren nur noch wenige junge Männer den von Pakistan unterstützten Unabhängigkeitskämpfern angeschlossen. Diese verübten zwar in letzter Zeit mehrere Angriffe in Jammu, das zuvor von der Gewalt verschont geblieben war. Doch sonst ist die Zahl der Anschläge rückläufig und befindet sich an einem langjährigen Tiefpunkt.
Die Regionalwahl kann als Zeichen interpretiert werden, dass die Wähler nach den Jahrzehnten der Gewalt bereit sind, dem demokratischen Prozess eine Chance zu geben. Allerdings ist ungewiss, ob die Forderung nach der Retablierung des Autonomiestatus in Delhi Gehör finden wird. Als künftiger Ministerpräsident steht Omar Abdullah damit vor einem Dilemma: Um seine Glaubwürdigkeit zu wahren, kann er den Status quo nicht einfach akzeptieren. Seine Chancen, Modi zur Rückgabe der Autonomie zu bewegen, scheinen derzeit aber gering.