In extremis verhindert der SC Bern das jähe Saisonende. Der Topskorer Waltteri Merelä wird in der Verlängerung gegen den Kopf gecheckt. Doch der Finne kehrt mit einer lädierten Nase zurück und erzielt kurz darauf den Siegtreffer. Es ist ein Play-off-Epos, das im SCB neuen Glauben wecken wird.
Als Waltteri Merelä nach Spielschluss in den Katakomben der Berner Postfinance-Arena steht, sieht er aus wie ein versehrter Krieger; die Nase ist frisch genäht. Julien Sprunger, die alternde Ikone Gottérons, hatte ihn in der Verlängerung mit dem Ellbogen umgenietet und hätte sich gewiss nicht beklagen können, hätte er dafür eine Fünf-Minuten-Strafe erhalten. Doch das Foul blieb ungeahndet, das Niveau der Schiedsrichter erreicht in dieser Saison nicht annähernd die Qualität der Spieler.
Doch Merelä steckt den Check weg. Er verschwindet kurz in der Garderobe, lässt sich einen tiefen Schnitt an der Nase nähen und kehrt zurück. In der 80. Minute ist er es, der per Ablenker den Siegtreffer erzielt. «Es war keine Strafe. Ich habe in dieser Serie schon einen Zahn verloren. Da war der gleiche Schiedsrichter auf dem Eis, übrigens auch ein Finne. War ebenfalls keine Strafe», sagt er mit schneidender Ironie in der Stimme.
Es ist kein Zufall, dass Merelä es war, der die Saison seines Teams gerade zumindest um zwei weitere Tage verlängert hat. Nicht nach diesem Check. Und auch sonst nicht, ganz grundsätzlich. Der Flügelstürmer ist nicht weniger als ein Glücksgriff für den SCB, dessen sportliche Leitung sich in den letzten Jahren bei der Selektion der Ausländer mit bemerkenswerter Konstanz trumpierte. Man muss unter den Berner Lauben nur einmal den Namen Andrew MacDonald flüstern – selbst für hartgesottene SCB-Anhänger die in den 1980er Jahren noch die Nationalliga B erlebten, ist das schauriger als jeder Stephen-King-Roman.
Sogar der Liga-Topskorer schätzt Merelä als zu gut für die National League ein
Merelä, 26, wechselte im Sommer aus Nordamerika nach Bern, er ist ein Protegé des Trainers Jussi Tapola. Bei Tappara Tampere wurde das Duo 2022 und 2023 finnischer Meister, seither schätzen sie sich. In Bern hat Merelä auf Anhieb geskort, er erzielte 21 Treffer, und hat sich zu einem der besten, dominantesten Angreifer der Liga aufgeschwungen. Sein derzeit verletzter Linienpartner, der Liga-Topskorer Austin Czarnik, sagt: «Ich fragte ihn kürzlich, was er eigentlich in dieser Liga mache. Er hat so viel Qualität, dass ich überzeugt davon bin, dass er den Durchbruch in der NHL schaffen würde.»
Aber Merelä will das derzeit nicht einmal versuchen. Eigentlich könnte er im Sommer zurück nach Übersee wechseln, so sieht es das Transferabkommen mit der NHL vor: Gegen eine Entschädigung von 260 000 Dollar kann jeder bis zum 15. Juni aus seinem Vertrag aussteigen. Nach den starken Darbietungen dieses Winters hätte er beste Aussichten, noch einmal eine Chance zu erhalten, nachdem er sich in der Saison 2023/24 bei Tampa nicht hatte durchsetzen können. Doch er sagt: «Ich kann sagen, dass ich auch nächste Saison hier sein werde. Ich bin ein Mann, der zu seinem Wort steht. Und Bern ist der Ort, an dem ich sein will.»
Merelä sagt, er habe sich in diese Stadt verliebt, in die Schweiz, die National League. Und den Umstand, dass er hier jeden Tag mit seiner Hündin Frida im Wald spazieren gehen kann – in die USA hatte er sie arg vermisst.
Die Launen der Liebe können bekanntlich sehr unberechenbar sein, aber es ist schon bemerkenswert, dass sich einer einem Ort so verschreibt, den er bis zum Sommer noch nie gesehen hatte. Doch es gibt Gründe für diese Amour fou; Merelä sagt: «Ich bin eigentlich nicht extrem erpicht darauf, in einer vierten Linie zehn Minuten pro Abend zu spielen. Dann lieber hier Verantwortung übernehmen und ein Vorbild sein können. Ich bin ein Typ, der sich kümmert und versucht, involviert zu sein. Das ist schwierig, wenn Du sportlich nicht wirklich eine Rolle spielst. Wer soll dir da zuhören?».
Wie vor Jahresfrist überrascht der SCB-Trainer mit wilden Torhüterrochaden
In Bern ist das anders, da ist Merelä innert kürzester Zeit zu einem Leader geworden. Aktuell dürfte es sich bei ihm um den wichtigsten Einzelspieler im SCB-Kollektiv handeln. Nach seinem Treffer am späten Samstagabend sagte er: «Gottéron ist in einer schwierigen Situation. Ich habe das selbst schon erlebt, es ist verdammt schwierig, eine Serie nach einer klaren Führung erfolgreich zu Ende zu spielen.»
Nach 40 Minuten war der SCB noch zurückgelegen, 1:2, obwohl er wie schon zwei Tage zuvor das klar bessere Team war. Am Donnerstag unterlagen die Berner trotz drückender Dominanz auswärts 1:2. Der «Expected Goals»-Wert lag bei 0,75 zu 4,5, Gottéron verzeichnete in den finalen 27 Minuten keinen einzigen Schuss aufs Tor mehr.
So kann der Sport sein, manchmal, aber für den SCB-Trainer Tapola wäre es trotzdem ungemütlich geworden. Bevor der Tapola 2023 in Bern anheuerte, hatte er mit seinen Teams in den letzten 13 Jahren elf Mal den Final erreicht. Doch 2024 scheiterte er im Viertelfinal an Zug und nun wäre sein Team beinahe vom erbitterten Rivalen Gottéron eliminiert worden. Tapola hat in seinen knapp anderthalb Jahren in Bern zahlreiche kontroverse Entscheide gefällt oder zumindest beeinflusst – zuletzt den vorzeitigen Abgang des Starstürmers Dominik Kahun nach Lausanne. Und wie vor einem Jahr wechselt er im Play-off in verwirrender Kadenz die Torhüter.
Es sind Beschlüsse, mit denen Tapola sich angreifbar macht, in der Stunde des Misserfolgs. Waltteri Merelä hat seinen alten Weggefährten vor einem unbequemen Frühjahr bewahrt – vorläufig jedenfalls.