Unternehmen wie Nvidia, Alphabet wurden diese Woche nach einem unheimlich langen Steigflug an den Aktienmärkten abgestraft. Dafür gibt es gute Gründe.
Noch handelt es sich bloss um eine Delle, keinen richtigen Bärenmarkt. Aber die Investoren rieben sich dennoch die Augen, als der Nasdaq 100, der technologielastige amerikanische Leitindex, am Mittwoch über 3 Prozent an Wert verlor. Eine Billion Dollar an Marktkapitalisierung lösten sich in Luft auf.
Ein Teil der Korrektur war nachvollziehbar: Die Anleger reagierten auf enttäuschende Zahlen von Tesla, und auch mit dem Google-Mutterkonzern Alphabet waren sie nicht zufrieden. Die Titel des Autobauers gaben in einer Woche um mehr als 10 Prozent nach, Alphabet büsste knapp 6 Prozent ein.
Doch die beiden Schwergewichte zogen die Indizes nicht im Alleingang nach unten. Auch die Valoren der anderen Giganten Microsoft und Apple und speziell Halbleiterunternehmen wie Nvidia, AMD und Micron wurden verkauft, ohne dass es einen unternehmensspezifischen Grund gegeben hätte.
An den Märkten wird nun rege diskutiert, ob der Kursrückgang eine Kaufgelegenheit bietet oder erst der Vorbote von schweren Verwerfungen im Tech-Sektor ist.
Es gibt jedoch eine Reihe von Gründen, weshalb die Investoren plötzlich an den Tech-Unternehmen zu zweifeln begonnen haben; und sie die Firmen in den kommenden Wochen weiterhin scharf beobachten werden.
Hohe Bewertungen – hohe Erwartungen
Die unwirsche Reaktion auf die Resultate von Alphabet und Tesla hat mit den sehr hohen Erwartungen zu tun, die in den Bewertungen der Unternehmen stecken. Die Anleger erwarten eine KI-Revolution, die massgeblich von den Tech-Unternehmen vorangetrieben und monetarisiert werden soll.
Diese Erwartungen müssen nicht falsch sein, aber sie sorgen für Absturzgefahr, wenn es anders kommt als geplant. Allen voran Tesla weist ein sehr hohes Kurs-Gewinn-Verhältnis auf. Elon Musk hat seinen Aktionären Robotaxis versprochen, welche das Mobilitätsverhalten auf den Kopf stellen würden. Die Vorstellung der neuen Gefährte wurde nun aber mehrfach verschoben.
Alphabet hat im laufenden Quartal die Erwartungen erfüllt, aber in Bezug auf die Zukunft zu wenig inspiriert. So scheiterte jüngst der Kauf des Cybersicherheit-Startup Wiz, den sich der Google-Konzern 23 Milliarden Dollar hätte kosten lassen. Aber es bestanden offenbar Bedenken, dass die Kartellbehörden das Vorhaben verhindern oder zumindest stark ausbremsen könnten, so dass sich Wiz aus den Verhandlungen zurückzog.
Der Alphabet-Chef Sundar Pichai sagte gegenüber Analysten, das Risiko von zu geringen Investitionen sei viel bedeutender als dasjenige von Überinvestitionen. Was er meint: Stellt sich später heraus, dass Alphabet zu viel Geld in KI-Programme gesteckt hat und niemand den «Heiligen Gral» findet, ist der mögliche Schaden begrenzt. Alphabet behält seine führende Position im Markt. Die Milliarden werden abgeschrieben, und die Suche nach der nächsten Revolution im Technologiesektor geht weiter.
Wenn Google jedoch den entscheidenden Fortschritt im KI-Rennen verpasst, verliert der Konzern seine einzigartige, lukrative Stellung in der Onlinesuche. Die damit einhergehenden Gewinne aus dem Werbegeschäft könnten einbrechen.
Neue Konkurrenz: Es geht ums Ganze
Chat-GPT war für Alphabet ein Weckruf: Google könnte seine zentrale Rolle im digitalen Leben der Kundschaft verlieren, wenn niemand mehr via Webbrowser ins Internet geht, sondern alle direkt ihre digitalen Assistenten befragen. Am Donnerstag hat nun Open AI, das Unternehmen hinter Chat-GPT, angekündigt, ein neues Tool namens Search-GPT zu testen, was die Alphabet-Aktie zusätzlich unter Druck setzte.
Noch ist die Google-Suche stark verankert, und die Konkurrenzprodukte bieten Nutzerinnen zu wenige Vorteile. Aber der Konzern weiss, wie brutal der Wettbewerb im Plattformgeschäft sein kann. Im ersten Internetzeitalter hat seine Suchmaschine Enzyklopädien, Telefonbücher und zahlreiche weitere Dienstleistungen schlicht überflüssig gemacht, und anschliessend den Medienkonzernen die Werbemilliarden abspenstig gemacht. Spätere Innovationsschübe räumten Gewinner der ersten Stunde weg. Apple beseitigte Nokia, Facebook stiess Myspace in die Bedeutungslosigkeit.
Diese Geschichte haben die Tech-Konzerne auch den Regulatoren immer wieder erzählt: Unsere starke Stellung geht im Nu verloren, wenn ein Startup mit einer besseren Idee um die Ecke kommt.
Der Antrieb für die hohen KI-Investitionen ist also klar. Aber selbst beim Branchenkrösus Alphabet fällt es ins Gewicht, wenn der Konzern rund 50 Milliarden Dollar pro Halbjahr in Zukunftspläne investiert, statt sie den Anlegern zurückzugeben.
Zinssenkungen helfen den anderen
Die Märkte rechnen fest mit einer ersten Zinssenkung durch die US-Notenbank Fed im September, und die Fed-Vertreter haben in ihren jüngsten Aussagen nicht versucht, sie davon abzubringen. Die jährliche Teuerung ist – gemäss der vom Fed bevorzugten Erhebung – im Juni auf 2,5 Prozent gefallen, wie am Freitag bekanntwurde.
Das nächste Treffen des Geldmarktausschusses des Fed findet kommende Woche statt; erwartet wird eine Bestätigung des Fahrplans bis September. Die Märkte glauben sogar, dass das Fed bis Ende Jahr noch ein oder zwei weitere Senkungsschritte anordnen wird.
Diese Erwartung trägt zu einer bemerkenswerten Sektorrotation bei. Investoren verkaufen Tech-Aktien und decken sich mit Titeln aus anderen Branchen ein. Auf den ersten Blick widerspricht das dem Verständnis, dass es sich bei Alphabet und Co. um Wachstumstitel handelt. Deren Bewertung basiert stärker auf zukünftigen als heutigen Gewinnen und sollte folglich bei sinkenden Zinsen besonders stark ansteigen.
Dem wirkt entgegen, dass die meisten Magnificent Seven kaum auf fremdes Geld angewiesen sind. Allen voran Alphabet verfügt über sehr grosse Cash-Reserven von rund 100 Milliarden Dollar, aus denen der Konzern Investitionen finanzieren kann. Auch bei Apple und Microsoft ist die Kriegskasse voll. Die Unternehmen anderer Branchen, die sich stärker verschuldet haben, profitieren dagegen direkt von sinkenden Zinsen. Das lässt sie derzeit attraktiver erscheinen als die bekannten Tech-Titeln.
Wie umfassend kann diese Sektorrotation ausfallen? Jim Reid, Head of Global Macro bei der Deutschen Bank, verwies in seiner Einschätzung jüngst auf Parallelen zur Dotcom-Blase zur Jahrtausendwende. Die Anleger verliessen die Tech-Branche damals in Scharen und wandten sich defensiven Titeln etwa im Energie- oder Gesundheitssektor zu, die in der Folge stark zulegten.
Falls sich die Flucht aus den Magnificent Seven fortsetzen sollte – was keinesfalls gesetzt ist –, könnten andere Branchen auch heute deutlich dazugewinnen, argumentiert Reid. Und zwar deshalb, weil der Tech-Sektor heute derart viel Platz in den Portfolios einnimmt. Die grossen sieben machen fast einen Drittel des S&P 500 aus.
Robuste Wirtschaft
Möglich ist zudem, dass dem US-Markt nicht bloss eine Sektorrotation bevorsteht, sondern ein breiter Abschwung, der alle Unternehmen trifft.
Bereits seit zwei Jahren sind die USA mit einer inversen Zinskurve konfrontiert; sprich der Zinssatz für kurzlaufende Staatsanleihen ist höher als für langlaufende. Die ungewöhnliche Konstellation hatte früher selten lange Bestand und war oft ein Vorbote von Rezessionen.
Anzeichen für eine Abkühlung der amerikanischen Wirtschaft bestehen. Immer mehr Amerikaner haben Mühe, ihre Kreditkartenschulden zu bedienen. Auch führende Fed-Vertreter betonten jüngst, dass die Notenbank das Risiko zunehmender Arbeitslosigkeit wieder stärker in seiner Entscheidungsfindung berücksichtigt. Sie wollen den richtigen Moment zur Lockerung der Geldpolitik auf keinen Fall verpassen.
Das Argument hat indes seine Schwächen. Die Pessimisten warnen seit zwei Jahren davor, dass die USA bald in eine Rezession rutschen würden – nichts dergleichen ist passiert. Noch jetzt deutet vieles darauf hin, dass sich die amerikanische Wirtschaft zwar abkühlt, aber nur graduell. Im zweiten Quartal ist sie gegenüber dem Vorjahr gemäss ersten Schätzungen noch einmal um 2,8 Prozent gewachsen – ein stattliches Tempo.
Die wöchentliche Zahl der Erstanmeldungen für Arbeitslosengelder, ein sensibel und rasch reagierender Indikator, hat sich seit Jahresbeginn zwar von rund 200 000 auf 235 000 erhöht. Aber das ist klagen auf hohem Niveau, denn Anfang 2024 lag die Zahl der Erstanmeldungen auf dem tiefsten Stand seit 1970 – und das, obwohl sich die amerikanische Arbeitsbevölkerung seither mehr als verdoppelt hat.
Apple und Microsoft müssen liefern
Die nächste Bewährungsprobe für die Mag 7 steht nächsten Dienstag bis Donnerstag an, wenn Microsoft, Meta, Amazon und Apple ihre Quartalszahlen präsentieren. Können sie die Zweifel zerstreuen und belegen, dass ihre Investitionen in KI bald reiche Früchte tragen?
Was als Nächstes passiere, hänge von den Fundamentaldaten ab, schreibt denn auch Damir Tokic von Seeking Alpha. «Die Gewinnzahlen von Alphabet haben uns keinen Beleg geliefert, dass die Blase bereits geplatzt wäre.» Gemäss Tokic wird man hierfür die Zahlen des Chipherstellers Nvidia abwarten müssen – die aber erst Ende August folgen. Erst wenn der Star unter den KI-Profiteuren stark enttäusche, sei mit einer grösseren Korrektur zu rechnen.