Die überraschend grossen Proteste haben die argentinische Regierung aufgescheucht. Während der Präsident seine politischen Gegner attackiert, soll nun mit den Rektoren verhandelt werden.
«Bildung verkauft man nicht, man verteidigt sie!» Mit Spruchbändern wie diesem wurde am Dienstag in ganz Argentinien gegen den Sparkurs von Präsident Javier Milei und für die Finanzierung öffentlicher Universitäten protestiert. In der Hauptstadt Buenos Aires nahmen laut der Polizei 150 000 Demonstranten teil. Die Organisatoren sprachen gar von 800 000, die konservative Zeitung «La Nación» von 450 000. Auch im Landesinneren wurde protestiert. Insgesamt sollen Studierende und Professoren von 57 öffentlichen Universitäten mitgemacht haben. Es waren die grössten Proteste gegen die Regierung seit Mileis Amtsantritt Mitte Dezember.
Stark reduzierte Mittel bei massiv steigenden Kosten
Milei steht für einen radikalen Sparkurs. Ohne einen solchen geriete Argentinien in eine «soziale Katastrophe biblischen Ausmasses», mahnte der Präsident angesichts leerer Staatskassen. Der Wahlsieg Ende November mit über 55 Prozent der Stimmen zeigt seiner Ansicht nach die Zustimmung für tiefe Kürzungen, die kurzfristig schmerzhaft, langfristig aber der Weg aus der Krise seien. So wurden Ausschreibungen für öffentliche Bauten storniert, Subventionen gekürzt, Beamte entlassen und Renten und Löhne nur deutlich unter der Inflation angehoben.
Die Budgets für die öffentlichen Universitäten wurden nominal nicht gekürzt, sondern auf dem Stand von 2023 belassen. Da Argentinien über die letzten zwölf Monate eine Inflation von fast 300 Prozent aufweist, haben die Rektoren jedoch effektiv nur noch einen Bruchteil der Kaufkraft zur Verfügung. Ohne zusätzliche Finanzmittel müsse er die Universität in spätestens drei Monaten schliessen, sagte Ricardo Gelpi, der Rektor der Universidad de Buenos Aires (UBA). Diese ist mit 350 000 Studierenden die grösste des Landes.
Argentinien besitzt hochstehende öffentliche Universitäten
Die UBA zählt zu den besten Universitäten Lateinamerikas, fünf Nobelpreisträger hat sie hervorgebracht. In der vergangenen Woche zirkulierten jedoch Bilder von bei Kerzenlicht abgehaltenen Seminaren. Nicht nur sei das Budget durch die Inflation um 80 Prozent geschrumpft. Durch Subventionskürzungen seien die Stromrechnungen im Jahresvergleich um 600 Prozent gestiegen. Man werde nun die Aufzüge abstellen und die Bibliotheken ausschliesslich bei Tageslicht öffnen, erklärte die Verwaltung. Obwohl die Gehälter nur unter der Inflation angehoben wurden, sind sie die grösste Belastung. Doch die Regierung weigert sich bis jetzt, hier mit Finanzspritzen zu helfen.
Laut Milei, der Wirtschaftswissenschaften an privaten Universitäten studierte, würden die Studierenden an öffentlichen Universitäten sozialistisch indoktriniert und einer intellektuellen Gehirnwäsche unterworfen. Zudem würden dort Posten nach linkem Parteibuch besetzt und Gelder veruntreut. Vergangene Woche hatte die Regierung angekündigt, die Bücher der Universitäten gründlich prüfen zu lassen. Die Rektoren sprachen von einer Verletzung der universitären Autonomie. Man sei dem Kongress gegenüber rechenschaftspflichtig, nicht aber der Exekutive.
Milei reagierte mit dem ihm eigenen Spott auf die Proteste und postete in sozialen Netzwerken einen Löwen, sein Symboltier, das aus einer Tasse voll «linker Tränen» trinkt. Am Mittwoch erklärte er, dass die Proteste von Kräften missbraucht worden seien, die ihre Privilegien, und nicht die Bildung, verteidigen. Es ist Mileis bekanntes Narrativ einer parasitären Kaste, die er bekämpfen will.
Doch die überraschende Grösse der Proteste hat im Regierungslager Unruhe ausgelöst. Denn auch in Hochburgen von Milei – wie etwa in Córdoba, der zweitgrössten Stadt des Landes – war der Zulauf gross. Sein Regierungssprecher beeilte sich zu verkünden, dass man keine einzige Universität schliessen werde. Zudem soll nun der Staatssekretär für Bildung, Carlos Torrendell, die unterbrochenen Gespräche über Finanzspritzen mit den Rektoren führen. Er ist der ranghöchste Regierungsvertreter für Bildungsfragen, da es keinen Bildungsminister mehr gibt. Das dafür zuständige Ministerium ist Mileis Sparprogramm zum Opfer gefallen und mit den Bereichen Arbeit und Soziales in einem neuen Ministerium für Humankapital zusammengelegt worden.
Milei darf die Proteste nicht auf die leichte Schulter nehmen. Denn die öffentlichen Universitäten, an denen zurzeit 2,2 Millionen der 47 Millionen Argentinier studieren, gehören zu den wenigen Einrichtungen, auf die viele Argentinier noch stolz sind. Man sieht sie als oft einzige Möglichkeit des sozialen Aufstiegs für Jugendliche aus armen Familien. Im Milei-Lager wird dagegen argumentiert, dass die kostenlose Hochschulbildung vor allem der Mittelschicht zugutekomme, da Jugendliche aus armen Familien seltener ein Studium anstrebten.