Die Aktienmärkte entwickelten sich jüngst erfreulich, gerade weil die US-Wirtschaft Schwäche zeigte: Die Hoffnung auf baldige Zinssenkungen ist zurück. Die Aussichten für die US-Börse sind jedoch nebulös, wogegen vieles für günstige europäische Werte spricht.
Die wichtigste Entwicklung der vergangenen zwei Wochen war vordergründig negativ, sorgte aber dennoch für Optimismus bei den Anlegern: Die US-Konjunktur schwächt sich erstmals deutlicher ab. Neben dem Arbeitsmarkt-, dem Service-Frühindikator- und dem Economic-Surprise-Index zeigt sich auch der US-Konsum deutlich verhaltener, wie zum Beispiel an den Geschäftszahlen von Starbucks zu erkennen ist.
Die Weltaktienmärkte reagierten positiv auf die erstmals schwächeren US-Konjunkturzahlen. Damit wird an den Terminbörsen jener Termin, an denen die US-Zentralbank erstmals die Zinsen senken wird, wieder nach vorne gezogen. Während noch vor kurzem der Dezember mit einer ersten Zinssenkung von 0,25% im Raum stand, war es zuletzt der September und selbst der Juni wies eine Wahrscheinlichkeit von 50% auf.
Die Zinserhöhungen beginnen schliesslich zu wirken
Der US-Arbeitsmarkt zeigte nach den letzten Zahlen nur noch 175’000 neue Arbeitsplätze und damit erstmals deutlich weniger als die erwarteten 230’000. Weil von den 175’000 neuen Arbeitsplätzen gut 40% nur geschätzt wurden, ist anzunehmen, dass der US-Arbeitsmarkt in Wirklichkeit weit weniger neue Stellen bietet.
Auch andere Indikatoren wie zum Beispiel der US-Frühindikator für die Dienstleistungen zeigten einen überraschenden Einbruch. Der Indikator lag erstmals unter 50, also in der Schrumpfungszone. Sehr negativ auch der amerikanische Economic Surprise Index. Dieser Indikator ist eine Zusammenfassung der neuen wirtschaftlichen Nachrichten, ob diese über oder unter den Erwartungen ausgefallen sind. Auch hier ist ein Einbruch in die Schrumpfungszone zu beobachten. Übrigens im Gegensatz zu Europa, wo der Economic Surprise Index einen Anstieg verzeichnet.
Negativ in den USA war auch der Index zum Konsumentenvertrauen der Universität von Michigan und der Conference Board Consumer Confidence Index, wobei Letzterer auf ein Zweijahrestief zurückfiel. Auch hier ist wieder eine gegenteilige Entwicklung zu Europa zu beobachten.
Dazu kamen auch erstmals negative Nachrichten, die zeigen, dass Unternehmen, die das Verhalten des amerikanischen Konsumenten spiegeln, überraschend schlechte Ergebnisse publizierten. Starbucks veröffentlichte überraschend einen deutlichen Umsatzrückgang, was die Börse unerwartet traf. Vor einem halben Jahr notierte die Aktie noch rund die Hälfte höher.
Der Einbruch des US-Konsums dürfte hauptsächlich darauf zurückzuführen sein, dass jene Gelder, die im Zuge der Covid-Pandemie an die amerikanischen Haushalte verteilt wurden (bis zu 40’000 $ pro Haushalt) inzwischen aufgebraucht sind. Die Sparquote liegt inzwischen nur noch bei der Hälfte des Vor-Pandemie-Niveaus. Zuletzt versuchten die Konsumenten durch Rückführung der Sparquote ihr Konsumniveau aufrechtzuerhalten.
Ähnliches gilt für den Anstieg der Kreditkartenkredite auf ein Niveau, das nicht mehr wesentlich steigerungsfähig ist. Auch durch die neue Zahlungsmode «Buy now, pay later» wurde versucht, das Konsumniveau aufrechtzuerhalten. Aber auch hier dürften bisherige Inanspruchnahme und oft über 20% gestiegene Schuldzinsen eine weitere Konsumsteigerung verhindern.
Zinssenkungen sind nicht unbedingt gut für die US-Börse
Gesamtwirtschaftlich ist es in jedem Falle realistisch auf Sicht eines Jahres von niedrigeren Inflationsraten auszugehen. Wallstreet hofft nun, dass die US-Zentralbank ihre bisherige Angst vor der Inflation möglichst schnell aufgibt und mit schnellen Zinssenkungen Konjunktur und Aktienmarkt ankurbelt.
In der Vergangenheit haben sich die Börsen in den USA und auch weltweit positiv entwickelt, wenn Zinssenkungen und gute Entwicklung bei Konjunktur und Unternehmensgewinnen zusammenfielen. Negativ reagierte die Börse, als mit den Zinssenkungen die Börsenbaisse überhaupt erst begann (zum Beispiel in den beiden letzten grossen Krisen nach der Jahrtausendwende und nach 2007 bei der Finanzkrise). Ein klares Hausse- oder Baisse-Szenario für Wallstreet lässt sich vor einem solchen fundamentalen Hintergrund nicht festlegen.
Aus dem Blickwinkel der Aktienrisikoprämie (Equity Risk Premium) sind amerikanische Aktien heute also durchaus teuer. Warum dann amerikanische Pensionskassen ihren Aktienanteil zuletzt auf 80% und damit nahe dem historischen Hoch von 83% aufgestockt hatten, ist analytisch schwer verständlich.
Europäische Aktien haben US-Titel 2024 geschlagen
Die Stimmung für europäische und insbesondere deutsche Aktien war dagegen zuletzt national und international so schlecht wie selten zuvor. Es gibt zwar Gründe, gerade deutsche Aktien zu meiden (zum Beispiel wegen der katastrophalen Energiepolitik der Regierung), aber dabei wird übersehen, dass die grossen deutschen Aktien rund 80% ihrer Umsätze nicht in Deutschland machen und auch dass ihre Aktionäre schon lange mehrheitlich Ausländer (Anglo-Amerikaner) sind, die sich in ihrem Handeln an der generellen Entwicklung der Weltbörsen im Trend orientieren und mehr Vertrauen zur zukünftigen Konjunkturentwicklung haben als europäische beziehungsweise deutsche Anleger. Vor dem Hintergrund der extrem negativen Grundmeinung hat zuletzt eine Reihe von volkswirtschaftlichen Zahlen positiv überrascht (deshalb auch der Anstieg des European Economic Surprise Index).
Tatsächlich haben sich europäische Aktien in diesem Jahr auch besser entwickelt als die Aktien der Schwellenländer oder amerikanische Aktien. Zuerst erreichte der Europa-Aktien-Index neue Höchststände, dann der britische FTSE 100 Index und zuletzt der DAX. Berücksichtigt man, dass die Index-Höchststände Europas aus dem Jahr 1999/2000 lange nicht überboten wurden, so verwundert es nicht, dass der britische FTSE 100 Index von seinem Hoch von vor 25 Jahren bis heute nur durchschnittlich um 0,65% pro Jahr gestiegen ist, bis er zuletzt sein neues historisches Hoch erreichte. Für den Europa-Index ist die jährliche Zuwachsrate nur unwesentlich höher. Die Kaufkraft nach Inflation konnten Anleger damit nicht erhalten.
Da Unternehmen in einem 25-Jahreszeitraum reale Werte und wertvolles Know-how aufbauen, sind europäische Aktien (auch im Vergleich zu den wesentlich deutlicher gestiegenen amerikanischen Aktien) substanzmässig kaum zu teuer. Das lässt sich auch aus dem Ertragsblickwinkel bestätigen. US-Aktien werden heute hoch bewertet. Kurzfristige amerikanische Staatsanleihen bringen das 3,8-Fache der durchschnittlichen amerikanischen Dividendenrendite von 1,4%.
Auch 1929 waren US-Aktien renditeschwach, nachdem die US-Zentralbank vorher die Zinsen auf 5% angehoben hatte. 1932 brachten US-Aktien dann eine Dividendenrendite von 7,8%, während die kurzfristigen Staatsanleihen praktisch bei null lagen.
Europäische Aktien sind dagegen aus dem Blickwinkel der Dividendenrendite im Verhältnis zur Verzinsung von Staatsanleihen keineswegs zu teuer. Auf Basis der Aktienrisikoprämie ist der US-Markt damit krass überteuert, Europa dagegen durchschnittlich bewertet. Die relativ bessere Aktienmarktentwicklung in Europa könnte daher weitergehen, jedenfalls im Vergleich zu den USA.
Dieser Artikel ist ein Auszug aus der «Finanzwoche», dem seit 1974 erscheinenden Investmentbulletin von Jens Ehrhardt.
Jens Ehrhardt
Jens Ehrhardt ist Gründer, Hauptaktionär und Vorstandsvorsitzender von DJE Kapital. Nach fünfjähriger Partnerschaft in der seinerzeit grössten deutschen Wertpapier-Vermögensverwaltungs-Gesellschaft promovierte er 1974 über «Kursbestimmungsfaktoren am Aktienmarkt». Im selben Jahr legte er den Grundstein für den Aufbau seiner Firmengruppe, die er von Beginn an leitet. Ehrhardt verantwortet neben seiner Rolle als Vorstandsvorsitzender noch die Bereiche Risikomanagement und Unternehmens-/Anlagestrategie.