Jill Biden ist Joe Bidens wichtigste Beraterin und seine Beschützerin. Die desaströsen Auftritte des amerikanischen Präsidenten spielt sie herunter. Kann man es Liebe nennen, oder schadet die First Lady so ihrer Partei?
Bei einem Auftritt von Joe Biden vor vier Jahren verteidigte Jill Biden ihren Mann unter Körpereinsatz. Sie stiess zwei Veganismus-Aktivistinnen zurück, die Joe Biden auf der Bühne bedrängten. «Ich bin wahrscheinlich der einzige Präsidentschaftsbewerber, dessen Frau gleichzeitig der Secret Service ist», sagte Joe Biden über den Vorfall.
Fast eine Amtszeit später hat sie noch eine ganz andere Rolle übernommen. Anfang Februar schrieb Jill Biden eine E-Mail, in der sie die Zweifel am Geisteszustand ihres Mannes zerstreute. Das Schreiben war an die demokratischen Wahlkampfspender adressiert. Darin bezog sie sich auf Aussagen des Sonderermittlers Robert Hur. Dieser hatte Joe Biden in einem Bericht einen «gutmeinenden, älteren Herrn mit einem schlechten Gedächtnis» genannt. Der 81-Jährige könne sich nicht einmal an den Tag erinnern, an dem sein Sohn Beau gestorben sei.
In ihrer E-Mail bezeichnete Jill Biden die Kritik am Gedächtnis des Präsidenten als «falsch». Die persönlichen Angriffe seien politisch motiviert, sogar der Tod von Beau Biden werde dafür benutzt, schrieb sie. Sie fügte an: «Wenn man einen solchen Verlust erlebt hat, weiss man, dass man ihn nicht in Jahren misst – man misst ihn in Trauer.»
Die Nachricht war mit «In Liebe, Jill» unterzeichnet. Sie enthielt zwar keine direkte Aufforderung, Joe Bidens Wahlkampagne finanziell zu unterstützen, aber sie war mit einer Spendentaste versehen. Tatsächlich brachte sie mehr Geld ein als jede andere Nachricht in der laufenden Kampagne, die für Joe Bidens Wiederwahl Anfang November wirbt.
Jill Biden steht ihrem Mann unbeirrt zur Seite. Mehr noch: Sie stellt sich vor ihn hin und passt auf ihn auf. Die 71-Jährige ist Joe Bidens wichtigste Beraterin und zunehmend auch seine Beschützerin. Dabei verschleiert sie, was immer offenkundiger wird und selbst die Demokraten nervös macht: Joe Bidens Alter und die Spuren davon.
Joe Biden ist körperlich und mental angeschlagen. Er wirkt zerbrechlich, sein Blick scheint oft in die Ferne gerichtet. Hört man ihm zu, fürchtet man sich immer vor seinem nächsten Fehltritt. In öffentlichen Reden macht er den ägyptischen Staatschef al-Sisi zum Präsidenten von Mexiko, verwechselt Macron mit Mitterrand und vergisst den Namen der Terrororganisation Hamas.
Dennoch lobt Jill Biden die «Weisheit» des Präsidenten: Sein Alter sei in Verbindung mit seiner Erfahrung und seinem Wissen ein «unglaublicher Vorteil», schrieb sie in ihrer E-Mail. Das beweise er jeden Tag.
Die langjährige «New York Times»-Kolumnistin Maureen Dowd kommentierte die Situation so: «Es ist der Elefant im Raum – nur dass Elefanten nie vergessen.»
Jill Biden zeichnet ein Bild, das der Realität immer häufiger widerspricht. Klar ist auch: Ohne Jill Biden, mit der Joe Biden seit 46 Jahren verheiratet ist, hätte er kaum für eine zweite Amtszeit kandidiert.
Verliebt in einen Versehrten
Jill und Joe lernten sich 1975 bei einem Blind Date kennen, Joe Bidens Bruder hatte dieses eingefädelt. Jill studierte damals Englisch in Delaware, Joe war dort Senator. Sie war bereits verheiratet und liess sich bald darauf scheiden. Joe Bidens erste Frau und seine einjährige Tochter waren drei Jahre vorher bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Die Söhne Beau und Hunter überlebten. Joe Biden war nun alleinerziehender Vater. Jill verliebte sich in einen versehrten Mann.
Die älteste von fünf Schwestern, Tochter eines Bankiers und einer Hausfrau, war bisher mit Hippie-Männern von der Uni ausgegangen. Der neun Jahre ältere formelle Typ in Anzug und Lederschuhen kam aus einer anderen Welt. Er musste um sie werben, bis sie ihn heiratete. Sie hatte Respekt davor, auf einen Schlag für zwei kleine, traumatisierte Kinder mitverantwortlich zu sein. Die gemeinsame Tochter Ashley kam 1981 zur Welt.
Dieser Anfang mag erklären, weshalb Jill Biden nichts auf ihre Familie kommen lässt. Sie und Joe Biden haben nur wegen einer privaten Tragödie zusammengefunden. Diese wiederholte sich, als Beau Biden 2015 an einem Hirntumor starb.
Heute benutzt Jill Biden die Trauer manchmal, um Angriffe auf ihren Mann abzuwehren. «Wir haben das Schlimmste erlebt», sagte sie einmal, «da wirft uns so schnell nichts um.»
Auch zu Hunter Biden, Joe Bidens zweitem Sohn, steht Jill Biden vorbehaltlos. Dubiose Auslandgeschäfte, Steuerhinterziehung, Drogensucht, Frauengeschichten: «Hunter hat nichts falsch gemacht», so verteidigte sie ihren Stiefsohn während einer laufenden Untersuchung gegenüber dem Nachrichtensender MSNBC.
Die erste berufstätige First Lady
Bevor Jill eine zweite Ehe einging, zögerte sie aus einem weiteren Grund. Sie fürchtete um ihre Karriere. Sie legte für ihre neue Familie zwar eine Pause ein, ging später aber zurück an die Uni und doktorierte in Erziehungswissenschaften.
Jill Biden ist Lehrerin. Die Arbeit bedeutet ihr so viel, dass sie ihren Beruf weder während der acht Jahre als Vizepräsidentin aufgegeben hat noch als First Lady. Sie gilt als erste Präsidentengattin der USA, die einer bezahlten Tätigkeit nachgeht.
Sie übe nicht bloss einen Beruf aus, hat sie einmal gesagt: Sie sei ihr Beruf. Selbst während der Pandemie sass sie in ihrem Büro im East Wing des Weissen Hauses und unterrichtete ihre Collegeschüler via Zoom. Für diese ist sie «Dr. Biden» oder kurz «Dr. B».
An diesem Titel liegt ihr. Die Medien erweisen ihr die Ehre. Zumindest die den Demokraten zugeneigten Zeitungen sprechen konsequent von «Dr. Biden». Sie ist mehr als eine First Lady, so sagt sie mit dem Titel aus: gebildet, erfolgreich, selbständig. So betont sie auch den Gegensatz zu ihrer Vorgängerin, dem Model Melania Trump.
Ihre Hand auf seinem Knie
Jill Bidens Einfluss auf den Präsidenten ist gross. Zwar werden die meisten Staatschefs sich nicht gegen den Willen ihrer Frauen oder Männer um ein so hohes Amt beworben haben. Jill Biden gab aber den Ausschlag für den Entscheid. Als sich Joe Biden für 2004 eine Kandidatur überlegte, malte sie sich ein fettes «NO» auf den Bauch und spazierte im Bikini – sie lag gerade am Pool – in die Strategiegespräche, die Joe Biden bei ihnen zu Hause führte. So schreibt sie es in ihrer Autobiografie.
Vor vier Jahren war es umgekehrt. «Du musst kandidieren, weil so viel auf dem Spiel steht», zitierte Joe Biden seine Frau 2021 gegenüber der «Vogue». Der Zustand des Landes habe ihr Sorgen gemacht, und dank den acht Jahren als Second Lady in der Amtszeit von Barack Obama war sie vertraut geworden mit der Vorstellung, noch mehr Macht zu haben.
Nach fast vier Jahren im Weissen Haus vermissen manche jedoch ein politisches Ziel, das sie sich hätte setzen können. Ihr Beruf sei ihr wichtiger, als sich ein Profil als First Lady zu geben, das in Erinnerung bleiben werde, sagen Kritiker. Jill Biden setzt sich für die Krebsforschung ein oder dafür, dass die Familien von Armeeangehörigen mehr Geld erhalten. Das gehört aber schon fast zur Pflicht einer First Lady. Damit wird sie nicht in die Geschichte eingehen.
Sie selber hält sich zugute, dass sie dank ihrem Beruf nie den Kontakt zur Bevölkerung verloren habe. Sie reist viel, spricht an Wahlkampfveranstaltungen ihres Mannes, hört den Menschen zu. Sie komme jedes Mal mit Geschichten nach Hause, sagt sie, was sie davor bewahre, im Weissen Haus abzuheben.
Die Lehrerin gibt sie manchmal auch dem Präsidenten gegenüber. Wenn er sich in einem Monolog verliert, drängt sie ihn zur Eile. Sie gibt ihm ein Zeichen, falls er in einer Besprechung abschweift: legt die Hand auf sein Knie, um ihm zu signalisieren, dass er auf den Punkt kommen soll. So schützt sie ihn immer auch vor sich selber. Oft nimmt sie ihn am Arm, wenn sie ihn auf die Bühne begleitet.
Fragen nach seinem Alter tut sie dennoch als «lächerlich» ab. Lieber zählt sie dann auf, was er bisher alles erreicht habe in seinem Amt. Das Meistern der Pandemie, bessere Strassen, eine Beruhigung der Politik nach den chaotischen Jahren unter Donald Trump.
Jill massregelt Joes Berater
Nicht immer kann Jill Biden die Situation kontrollieren. Wenn sie merkt, dass seine Leute ihn zu lange reden lassen und er sich dann prompt verirrt oder einen Aussetzer hat, wird sie wütend.
So wie Anfang 2022, als der Präsident eine fast zweistündige Pressekonferenz im Weissen Haus abhielt. Irgendwann befragten ihn die Journalisten zu seiner kognitiven Leistungsfähigkeit und Hunter Bidens Geschäften in China. Joe Biden machte keine gute Figur. «Warum hat das niemand gestoppt?», fragte hinterher Jill Biden, die machtlos zusehen musste. Alle seien still geblieben, schreibt Katie Rogers, Washington-Korrespondentin für die «New York Times», in ihrem neuen Buch, «American Woman», über moderne First Ladys. Jeder habe den anderen betreten angeschaut. «Eingeschlossen der mächtigste Mann der Welt.»
Damit sich solche Vorfälle nicht wiederholen, bestimmt Jill Biden mit, wer eingestellt wird, sowohl für das Presse-Team wie als hochrangige Berater. Sie lässt Joe Biden kaum noch allein vor die Medien treten. Die Konferenzen enden immer früher.
Dennoch antwortet sie auf die Frage, wie viel Gewicht ihre Meinung im Alltag des Präsidenten habe: «Ich höre ihm zu. Er hört mir zu. Es ist eine Ehe.» Sie sei nicht seine Beraterin: «Ich bin seine Frau.» Das Understatement ist typisch für sie.
Doch in einem Gespräch mit Katie Rogers deutet Jill Biden an, dass sie weiss, wie belastet Joe Biden ist. Sie sehe ihren Mann vor dem Stapel Berichte an seinem Pult sitzen und denke: «Es ist viel.» Dann sagt sie den entscheidenden Satz: «Die Mühe ist es wert, um Donald Trump an der Rückkehr ins Amt zu verhindern.» Der Präsident und Dr. B haben einen Auftrag.