George Bernard Shaw wollte mit seinem Stück «Helden» die Unsinnigkeit des Krieges blossstellen. Bulgarische Nationalisten sehen in der Komödie aber eine Verunglimpfung der nationalen Geschichte.
Wenn ein Künstler von Weltformat das kleine Bulgarien für eine Produktion auswählt, ist das für die lokale Kulturszene eigentlich ein Coup. Der amerikanische Schauspieler John Malkovich inszeniert dieser Tage am Nationaltheater in Sofia die Komödie «Arms and the Man» des irischen Dramatikers George Bernard Shaw. Doch nun hat die Erstaufführung am Donnerstag zu einem Skandal geführt.
Versagen der Sicherheitskräfte
Anhänger nationalistischer Organisationen hinderten die Theaterbesucher am Zugang zum ehrwürdigen Haus und forderten einen Landesverweis für Malkovich. Das Stück, das in der deutschen Übersetzung «Helden» heisst und in dem ein Schweizer Söldner eine Hauptrolle spielt, verhöhne die ruhmreiche Geschichte Bulgariens, lautet der Vorwurf.
Als der Theaterdirektor das Gespräch mit den Demonstranten suchte, kam es sogar zu Handgreiflichkeiten. Am Ende musste das Stück vor leeren Rängen gespielt werden und wurde per Fernsehen übertragen.
Weil keine Vorkehrungen für die Sicherheit der Aufführung getroffen wurden, fordern prominente Stimmen den Rücktritt von Innenminister Atanas Ilkow. Schliesslich werde seit Tagen kontrovers über das Stück debattiert.
Serbisch-Bulgarischer Krieg als Hintergrund
«Arms and the Man» spielt während des Serbisch-Bulgarischen Krieges von 1885, zur Zeit der bulgarischen Vereinigung. Die noch osmanisch kontrollierte, mehrheitlich bulgarisch besiedelte Provinz Ostrumelien um die heutige Stadt Plowdiw hatte sich damals mit dem bereits seit einigen Jahren unabhängigen Fürstentum Bulgarien zusammengeschlossen.
Das Königreich Serbien, das mit Bulgarien um die Vorherrschaft auf dem Balkan konkurrierte, erklärte Sofia wegen dieses Machtzuwachses den Krieg. Bulgarien war zu jenem Zeitpunkt nicht auf ein Kräftemessen mit dem Nachbarn im Westen eingestellt, sondern hatte den Grossteil seiner Truppen an der Grenze zum Osmanischen Reich stationiert.
Dennoch gelang es der bulgarischen Armee bereits nach zwei Wochen in der Schlacht von Sliwniza, den serbischen Vorstoss aufzuhalten und später sogar in Serbien einzumarschieren. Der Krieg endete mit dem Frieden von Bukarest 1886, in dem Serbien die bulgarische Vereinigung anerkannte, es aber zu keinen territorialen Veränderungen kam.
Unsinnigkeit des Krieges
Für Shaw spielte der politische Kontext, als er das Stück einige Jahre nach dem Friedensschluss schrieb und 1894 in London uraufführte, freilich nur eine untergeordnete Rolle. Dem Schriftsteller diente der Waffengang zwischen zwei kleinen Staaten am Rande Europas vor allem als Beispiel für die Unsinnigkeit des Krieges. Schliesslich stand an dessen Ende die Rückkehr zur vorherigen Ausgangslage.
Eine prominente Rolle spielt der Schweizer Söldner und Hauptmann Bluntschli, der auf serbischer Seite kämpft und nach der Niederlage von Sliwniza ins Haus der jungen Raina flieht. Deren Verlobter stellt sich später als Sergius heraus, jener bulgarische Offizier, der Bluntschli auf dem Schlachtfeld in die Flucht geschlagen hat.
Während die Bulgaren von der heroischen Selbstaufgabe für die nationale Sache beseelt sind, ist für den nüchternen Bluntschli der Krieg vor allem Broterwerb. Sergius, der seinen tollkühnen Sturmangriff nur dank einer glücklichen Fügung überlebt, nennt er einen Trottel.
Die erste Aufgabe eines Soldaten sei es, am Leben zu bleiben, sagt Bluntschli. Deshalb führe er in seiner Patronentasche lieber Schokolade als Munition mit sich. Nach vielen kuriosen Wendungen kommt Bluntschli am Ende mit Raina zusammen und Sergius mit ihrem Hausmädchen.
«Arms and the Man» ist eines der erfolgreichsten Stücke von Shaw und diente als Vorlage für viele Adaptationen, auch im deutschsprachigen Raum. Als Kinofilm war «Helden» mit Liselotte Pulver als Raina 1959 als bester fremdsprachiger Film für den Oscar nominiert. In den siebziger Jahren schrieb der Schlagersänger Udo Jürgens das Musical «Helden, Helden». In einer Verfilmung des Schweizer Fernsehens von 1986 spielt Emil Steinberger den Hauptmann Bluntschli.
Historische Fragen haben grosse Sprengkraft
Das nationalistische Milieu fühlt sich in Bulgarien im Aufwind. Unter den Demonstranten vor dem Nationaltheater fanden sich ehemalige Abgeordnete von Rechtsaussenparteien, vor allem der Wiedergeburt. Die ultranationalistische, prorussische Partei profitiert von der politischen Dauerkrise in Bulgarien.
Bei den jüngsten Parlamentswahlen wurde sie mit 12,9 Prozent drittstärkste Kraft. Der Parteipräsident Kostadin Kostadinow stellte die Proteste in einen Zusammenhang mit den Wahlen und sprach von einem weiteren Schlag gegen die liberalen Kräfte im Land.
Auch wenn die Provokateure vom rechten Rand solche Eskalationen gezielt herbeiführen, veranschaulicht die Affäre, welche Sprengkraft historische Fragen in Bulgarien haben. Selbst der Schriftstellerverband stimmte in die Kritik gegen Malkovichs Aufführung ein.
Sofia blockiert die EU-Beitritts-Verhandlungen des Nachbarn Nordmazedonien wegen eines Streits um die Interpretation der Nationalgeschichte im 19. Jahrhundert. Die Bulgaren werfen den Mazedoniern vor, ihnen ihre Geschichte zu stehlen.
Es geht dabei um Heldenfiguren im Kampf gegen die osmanische Herrschaft, die beide Länder für sich beanspruchen. Ende letzten Jahres schliesslich sorgte die Demontage eines sowjetischen Kriegsdenkmals in Sofia für heftige innenpolitische Kontroversen.
Ein «Sohn des Balkans»
Für John Malkovich ist «Arms and the Man» nicht das erste Engagement am Nationaltheater in Sofia. Vergangenes Jahr trat er in einem Stück des Franzosen Bernard-Marie Koltès auf. Damals gaben vor allem die hohen Eintrittspreise zu reden.
Malkovich, dessen Familie väterlicherseits aus Kroatien stammt und der sich selber als Sohn des Balkans bezeichnet, ist immer wieder in der Region tätig. In der nordmazedonischen Hauptstadt Skopje etwa unterstützt er den Bau von Filmstudios. Vor der Erstaufführung in Sofia sagte er, dass er nicht nach Bulgarien gekommen sei, um sich über das Land lustig zu machen, sondern weil er viele grossartige bulgarische Künstler kenne.