Die Kommunistische Partei Chinas stand zweimal kurz vor dem Untergang. Dann gewann sie den Bürgerkrieg gegen die Nationalisten doch noch. Rückblick auf ein vergessenes Stück Geschichte.
Vor 75 Jahren stieg der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas, Mao Zedong, die Treppen hinauf zum Balkon des Tors des Himmlischen Friedens. Dort überblickte er die Menge auf dem Tiananmen-Platz in Peking. Dann rief er eine Erklärung in die Lautsprecher, die Weltgeschichte schreiben sollte: «Liebe Landsleute. Die Zentralregierung der Volksrepublik China ist heute gegründet worden.» Die Rede vor einem so grossen Publikum strengte Mao sichtlich an, nach drei Worten musste er jeweils eine Pause einlegen.
Das neue China würde in den kommenden 75 Jahren unter der Führung der Kommunistischen Partei zu einer Supermacht aufsteigen, zu einem Wirtschaftswunder und zum Hauptrivalen der USA. Doch was war China eigentlich, bevor es kommunistisch wurde?
Vom Sturz des Kaisers ins Chaos
Bevor in China die Moderne Einzug hielt, erlebte das Land eine Periode des Experimentierens mit neuen politischen Ideen, aber auch grosser Instabilität und Kriegen. China nannte sich von 1912 bis 1949 zwar offiziell «Republik», war aber in Tat und Wahrheit ein zerbrochenes Kaiserreich. Nachdem der letzte Kaiser 1911 abgedankt hatte, kämpften lokale Kriegsherren, Separatisten, die nationalistische Volkspartei und die Kommunisten gegeneinander.
Der Arzt und Christ Sun Yat-sen hatte den Sturz des Kaisers, damals ein sechsjähriger Knabe, mitverantwortet. Er wollte ein modernes, unabhängiges China schaffen, in dem die materiellen Lebensgrundlagen, aber auch die Rechte der Menschen gesichert sein sollten. Und er wollte China wieder vereinen.
Heute noch wird Sun Yat-sen als Landesvater des modernen Chinas verehrt. Dabei wird auf dem Festland gerne verschwiegen, dass Sun Yat-sen der Gründer jener Partei war, der es zweimal gelang, die Kommunisten fast vollständig zu besiegen: der nationalistischen Volkspartei Chinas, Kuomintang (KMT).
Massaker an den Kommunisten
Dabei bekämpften sich die Kommunisten und die KMT nicht von Beginn weg. Es gab sogar zwei lange Phasen der taktischen Zusammenarbeit. Die Kommunistische Partei wurde 1921 in Schanghai gegründet, zu einem Zeitpunkt, als die KMT bereits breite Unterstützung fand. Mao Zedong war einer der jungen Gründungsväter. Selbst auf dem Land aufgewachsen, erkannte er früh das revolutionäre Potenzial der Bauern, was ihn mit dem linken Flügel der KMT verband. In der eigenen Partei jedoch nahm er mit dieser Haltung eine Aussenseiterrolle ein, dort wollte man sich nach sowjetischem Vorbild lieber auf das Proletariat in den Städten konzentrieren.
Im Jahr 1925 verstarb Sun Yat-sen. Er hatte mit der Sowjetunion eine Vereinbarung getroffen, erhielt von den Russen Waffen, Geld und Berater unter der Bedingung, mit der kleinen kommunistischen Partei zusammenzuarbeiten.
Doch Sun Yat-sens Nachfolger, Chiang Kai-shek, sah die Kommunisten als Bedrohung seiner Macht. Mithilfe der chinesischen Mafia in Schanghai organisierte er ein blutiges Massaker an den Kommunisten und Gewerkschaftern. Auch in anderen Städten gab es Massenhinrichtungen, auf dem Land wurden Tausende aufständische Bauern ermordet. Über eine Million Menschen kamen in diesem «weissen Terror» um.
Die Kommunistische Partei wurde durch diese Verfolgung stark geschwächt. Nur ein Sechstel – zirka 10 000 von 60 000 Parteimitgliedern – überlebte, vor allem die, die sich auf dem Land versteckt hatten. So wie Mao Zedong. Er wurde 1927 zum Oberbefehlshaber über die «Rote Armee» ernannt. Die Kommunisten hatten die Streitmacht gegründet, um sich gegen die KMT zu wehren, die China von Nanjing aus regierte. Der chinesische Bürgerkrieg hatte begonnen.
Der Lange Marsch
Der «Lange Marsch» der Roten Armee in den Norden des Landes ist jene Episode des chinesischen Bürgerkriegs, die propagandistisch am meisten ausgeschlachtet wird. Das hat einen einfachen Grund: Während des Langen Marschs bewies sich Mao Zedong als Anführer. Das markierte den Beginn seines unaufhaltsamen Aufstiegs in der Partei. Mit seiner Taktik des Partisanenkriegs erzielte er einige Erfolge gegen die Armee der KMT, die mehr Soldaten hatte und besser ausgerüstet war.
Der Lange Marsch war jedoch kein geniales strategisches Manöver, sondern ein Rückzug. Der Roten Armee, bestehend aus rund 90 000 Mann, blieb 1934 unter dem wachsenden Druck durch die Nationalisten nur noch die Flucht. Auf ihrer ersten Etappe nach Zunyi verloren sie bei Kämpfen über die Hälfte der Soldaten, ein Teil desertierte. Die Rote Armee benötigte über ein Jahr, bis sie Ende 1935 erschöpft an ihrer neuen Basis in Yanan ankam. Nur gerade 8000 bis 9000 Soldaten kamen ans Ziel. Wer zuvor nicht bei den Kämpfen umgekommen war, war an Krankheit oder Hunger gestorben.
Auf dem Langen Marsch waren nur wenige Frauen dabei. Eine davon war die dritte Ehefrau von Mao Zedong, He Zizhen. Sie war eine talentierte Partisanin und ausgezeichnete Schützin, so dass man sie die «Generalin mit zwei Pistolen» nannte. Nachdem Mao Zedong sie 1928 geheiratet hatte, wurde sie seine persönliche Sekretärin. Sie war während ihrer Ehe mit Mao fast durchgehend schwanger und gebar sechs Kinder, von denen nur eines überlebte. Auch während des Langen Marschs brachte sie ein Mädchen auf die Welt und liess das Neugeborene bei örtlichen Bauern zurück. Es heisst, sie habe nach dem Langen Marsch mit schweren Depressionen gekämpft. 1937 verliess sie Mao, nachdem dieser eine Affäre gehabt hatte. Mao heiratete 1939 die Schauspielerin Jiang Qing.
Hilfe aus der Sowjetunion
Der Bürgerkrieg war indes unterbrochen, da die Japaner 1937 in China einmarschiert waren. Die Kommunisten und die KMT beschlossen nach einigem Zögern, mit einer gemeinsamen Armee gegen die japanischen Invasoren zu kämpfen. Japan zog sich erst 1945 nach den Atombombenabwürfen der Amerikaner auf Hiroshima und Nagasaki aus China zurück.
Die Armee und die Regierung der KMT kamen geschwächt aus dem Krieg gegen die Japaner hervor. Das Land kämpfte mit einer Hyperinflation, die Regierung der KMT war korrupt und konnte ihre Soldaten nicht mehr bezahlen. Die Unterstützung der Bevölkerung schwand. So konnten die Kommunisten ihren Machtbereich immer weiter ausdehnen – obwohl die Rote Armee den Streitkräften der Nationalisten weiterhin unterlegen war.
Entscheidend für den Sieg der Kommunisten war die Sowjetunion, die ihnen schliesslich doch noch zu Hilfe kam – nachdem sie jahrelang die KMT unterstützt hatte. Nachdem die Sowjets 1946 aus der Mandschurei abgezogen waren, hinterliessen sie der Roten Armee das nördliche Terrain sowie Waffen, Munition, Flugzeuge und Panzer, die sie von den Japanern erbeutet hatten. Sie bildeten auch Generäle der Roten Armee aus – die 1948 in «Volksbefreiungsarmee» umgetauft wurde.
Stalin bekannte sich erst dann offen zu Chinas Kommunisten, als deren militärischer Sieg im Bürgerkrieg bereits feststand. Zuversichtlich dank der Freundschaftsbekundung des grossen Vorbilds, rief Mao Zedong am 1. Oktober 1949 die Volksrepublik China aus. Die Kämpfe gegen die Armee der KMT waren zu dem Zeitpunkt noch nicht ganz ausgefochten. Im Dezember fiel die letzte Stadt, Chengdu, und Chiang Kai-Shek floh nach Taiwan zusammen mit zwei Millionen Soldaten und einer Million Zivilisten. Seither ist China kommunistisch.