In einem Prozess mit über 120 Zeugen soll geklärt werden, ob Diego Maradona vor seinem Tod ausreichend versorgt wurde und sieben Angeklagte ihren medizinischen Pflichten nachgekommen sind.
Derzeit versammeln sich an jedem Werktag Dutzende Fans mit Maradona-T-Shirts und Fahnen vor dem 3. Strafgericht von San Isidro, um lautstark Gerechtigkeit für ihr Idol zu fordern. In dem Vorort von Buenos Aires findet seit dem 11. März der Prozess um den Tod der Fussballlegende Diego Armando Maradona statt. Die Staatsanwaltschaft wirft sieben Ärzten und Pflegern fahrlässige Tötung vor. Ihnen drohen Haftstrafen zwischen 8 und 25 Jahren.
Nebst Maradonas Leibarzt, dem Neurochirurgen Leopoldo Luque, müssen sich die Psychiaterin Agustina Cosachov, der Psychologe Carlos Angel Díaz, der Arzt Pedro Di Spagna, die Ärztin Nancy Edith Forlini, der Krankenpfleger Ricardo Almirón und sein Chef, Mariano Ariel Perroni, verantworten. Die Krankenpflegerin Dahiana Gisela Madrid hatte erwirkt, dass ihr Prozess separat vor einem anderen Schwurgericht verhandelt wird.
Im Gerichtssaal von San Isidro wurde es gleich zu Beginn des Prozesses emotional. Angehörige von Maradona, unter ihnen seine Töchter, reagieren geschockt, als der Staatsanwalt Patricio Ferrari dem Gericht bisher unbekannte Bilder präsentierte. Darauf ist Maradonas Leiche mit einem gigantisch aufgeblähten Bauch zu sehen. Er werde Beweise vorlegen, dass die Angeklagten ihrer medizinischen Pflicht nicht nachgekommen seien, versprach der Staatsanwalt. Den Weltmeister von 1986 habe man einfach seinem Schicksal überlassen.
Maradonas lange Krankenakte
In einer ersten Untersuchung war nach dem Tod Maradonas im November 2020 ein Herzinfarkt diagnostiziert worden. Eine Obduktion stellte später ein schweres Lungenödem als Folge einer chronischen Herzinsuffizienz fest. Argentiniens Fussballgott, der an der Weltmeisterschaft 1986 in Mexiko auf dem Weg zu seinem Jahrhunderttor leichtfüssig die halbe englische Mannschaft schwindlig gespielt hatte, war am Ende seines Lebens ein Wrack. Er litt an Depressionen und den Folgen seiner jahrzehntelangen Alkohol-, Medikamenten- und Kokainsucht, hatte Übergewicht und Bluthochdruck, konnte kaum noch gehen.
Bereits als Spieler des italienischen Erstligisten SSC Neapel (1984 bis 1991) soll Maradona kokainsüchtig gewesen sein. Zahlreiche Klinik- und Kuraufenthalte änderten nichts daran. Auf Entziehungskur in Kuba feierte er stattdessen die Nächte mit Zigarren, Alkohol und weiblicher Begleitung durch.
2011 starb Maradonas Mutter, vier Jahre später der Vater, das habe Maradona psychisch gebrochen, berichteten seine Geschwister nach seinem Tod. Während der Corona-Pandemie fielen dann die sonntäglichen Familientreffen und die Grillabende mit alten Kumpels aus. Fotos aus jenen Tagen zeigen Maradona einsam in seinem Garten. Zuletzt soll er unkontrolliert Alkohol und Medikamente zu sich genommen haben. Sein Gesicht und sein Körper wirkten zunehmend aufgedunsen.
Maradona verabschiedet sich in einem leeren Stadion
Am 30. Oktober 2020, seinem 60. Geburtstag, trat er zum letzten Mal in der Öffentlichkeit auf. Man führte ihn in das Stadion des Klubs Gimnasia y Esgrima La Plata, den er seit 2019 trainierte. Es war das erste Spiel nach der Corona-Zwangspause, doch Zuschauer waren nicht erlaubt. Der Star, der einst Massen begeisterte, verabschiedete sich vor leeren Rängen. «Das war nicht mehr der Maradona, den ich kannte. Er konnte keine zehn Wörter hintereinander sprechen», sagte sein langjähriger Freund Mariano Israelit später über den bizarren Auftritt.
Am 3. November musste Maradona wegen eines Blutgerinnsels am Schädel notoperiert werden. Nach seiner Entlassung aus dem Spital brachte man ihn am 11. November in ein angemietetes Haus ausserhalb von Buenos Aires. Die vor Gericht gezeigten Bilder machen klar, wie ungeeignet dieses für den Schwerkranken war. Weil Maradona die Treppe zum Badezimmer nicht mehr hinaufsteigen konnte, improvisierte man mit einem Schlauch eine Dusche in einem kleinen WC. Die Notdurft musste er auf einem Toilettenstuhl verrichten.
An seinem Todestag habe die Nachtwache ihn um 6 Uhr 30 normal atmen gesehen. Die Krankenschwester Madrid gab an, um 9 Uhr 20 mit ihm gesprochen zu haben. Er habe sich geweigert, sich untersuchen zu lassen, worauf sie ihn habe schlafen lassen, bis gegen Mittag die Psychiaterin Agustina Cosachov zur Verabreichung der Medikamente eintraf. Man habe ihn ohne Lebenszeichen angetroffen, eine halbstündige Herz-Lungen-Wiederbelebung blieb erfolglos.
Urteile sollen im Juli fallen
Später widerrief die Krankenpflegerin ihre Aussage. Sie habe Maradonas Zimmer an jenem Morgen nicht betreten, sondern auf Weisung ihres Chefs gelogen. Nun muss das Gericht klären, was tatsächlich an jenem Morgen geschehen ist. Dazu sollen 120 Zeugen über das Verhalten der Ärzte und des Pflegepersonals aussagen, unter ihnen Angehörige, Freunde und frühere Ärzte des Ex-Fussballers sowie Gutachter.
Aufgrund der Geschichten über Drogenexzesse, mutmassliche Vergewaltigungen und uneheliche Kinder hat Maradona bei vielen Argentiniern längst an Bewunderung eingebüsst. Jugendliche verehren stattdessen Lionel Messi. Er verstehe nicht, wieso man so viel Aufhebens um Maradonas Tod mache, kommentiert ein junger Mann den Menschenauflauf in San Isidro. Schliesslich habe der sich selbst zugrunde gerichtet. Mit den Urteilen wird im Juli gerechnet.