«Fashion Neurosis» heisst das Format von Bella Freud. Die Tochter des Malers Lucian und Urenkelin von Sigmund weiss, wie man die Stars zum Reden bringt.
Der Rocksänger Nick Cave ist passionierter Anzugträger, auch wenn er allein zu Hause am Schreibtisch sitzt. Der Anzug entspricht seinem tiefsitzenden Bedürfnis nach Struktur. «Für mich ist Ordnung das Antidot zur Verzweiflung», sagt er. Auch über die Bühne, seinen anderen Arbeitsplatz, tobt er im schwarzen Anzug. Dort geht es um sein Image, er möchte aussehen wie «eine grosse, alte Spinne».
Das erklärt Cave der Londoner Modeschöpferin Bella Freud, Tochter des Malers Lucian und Urenkelin von Sigmund Freud, in ihrem Podcast «Fashion Neurosis». Wobei der Titel irreführend ist. Denn es geht nicht um Mode, sondern um lebensbegleitende Kleider von Schriftstellern, Musikern, Models oder Modeschöpfern.
Und obwohl Bella Freud in einem abgewetzten Ledersessel dem auf der Couch liegenden Interviewpartner im Stil ihres Urgrossvaters gegenübersitzt, spielt sie sich nicht als Psychiaterin auf. (Man kann sich die «Sitzungen» auf Youtube ansehen.) Sie verteilt Komplimente, stellt mit ihrer etwas müden Stimme sanfte Fragen oder kommt auf ihr eigenes Leben zurück.
Es geht auch um den Vater Lucian
Wie ein roter Faden zieht sich ihr Verhältnis zum berühmten Vater durch die Gespräche: Lucian Freud, der Savile-Row-Anzüge liebte, aber manchmal wie ein Tramp aussah und das Firmenlogo seiner Tochter – einen Windhund im Profil – gezeichnet hatte; Lucian Freud, für den die Kunst wichtiger war als das (Privat-)Leben. Bella Freud fragt ihre Gesprächspartner oft, womit sie begännen, wenn sie sich anzögen – analog der Arbeit ihres Vaters, der ein Gemälde mit dem Punkt zwischen den Augen begann.
Mit ihren Bekenntnissen und ihrer Empathie bringt Bella Freud die Gäste zum Reden: das Model Kate Moss, die Musikerin Kim Gordon, den Modeschöpfer Rick Owens und den Schriftsteller Karl Ove Knausgård, der es spannend fand, das Leben durch das Prisma der Mode zu betrachten und sich deshalb auf die Unterhaltung einliess.
Knausgård erzählt von seinem Vater, der sich vom seriösen Tweed-Träger in einen hart trinkenden Hippie «in weichen Kleidern» verwandelte. Amüsiert erinnert sich Bella Freud an Martin Amis, der eine Romanfigur als Träger von «cool trousers» einführte, und jeder habe gleich gewusst, was gemeint sei.
Auch Zadie Smith, die sich mit dem Roman «White Teeth» ihren Durchbruch erschrieb, legt Wert auf ihre Garderobe. Einen kompletten Reinfall erlebte die Autorin allerdings einmal, als sie zu einer Veranstaltung im Business-Look erscheinen sollte. «Was ist das überhaupt, ein Business-Look?», fragte sich die Schriftstellerin. «In meinem Fall ein Pyjama und eine Wollmütze.»
Schliesslich ahmte sie den Look einer Bankangestellten nach und fühlte sich dabei so schrecklich, dass sie nicht mehr klar denken und sprechen konnte und anfing, stark zu schwitzen. So viel zu Bella Freuds Frage, ob Kleidung das Denken beeinflussen könne.
Zadie Smith hält es mit ihrer Mutter. «Meine Mutter betritt einen Raum wie eine Königin. Das liegt mir mehr, als einen Raum zu betreten wie eine Maus.» Für den Superfrau-Auftritt wählt Smith gern Capes, und sie mag Plateauschuhe, weil sie darin noch grösser aussieht, als sie ohnehin ist. Lange war sie in Streetwear unterwegs, denn in «hübscher» Kleidung kam sie sich verwundbar vor. Es sei, als ob man einen Raum betrete und frage: «Bin ich hübsch?»
Der tränenreiche Weg von Kate Moss
Das Topmodel Kate Moss hat solche Probleme längst hinter sich gelassen. Wenn sie arbeitet, betrachtet Moss sich selbst als Instrument, als Gefäss der Phantasie anderer. Dann gehöre ihr Körper nicht mehr ihr, erzählt sie. Heute ist sie hochbezahlt und einverstanden mit diesem Handel. Aber sie erinnert sich noch genau, wie tränenreich der Weg zu dieser Haltung war, den sie als Teenager begann.
Die Modedialoge mit Bella Freud führen immer wieder zum Biografischen. Denn was ist näher am Körper – und für einige der Befragten näher an der Seele – als Kleider? Dabei geht es um Aussenwirkung und Selbstbild, um das Verhältnis zum eigenen Körper und zur Gesellschaft. Mode wird als Sprache begriffen, die ernst genommen wird, und nicht als weicher Stoff. Die dahindriftenden Gespräche haben mäandernden Charakter und werden trotzdem selten langweilig.