Ein neues Börsenjahr steht vor der Tür. Ökonomen und Kapitalmarktstrategen wagen deshalb einen Blick in die Zukunft. Wie sie die Welt von morgen sehen, was dies für Anleger bedeutet und was das alles mit Bekleidung zu tun hat.
Gertrud Traud geht mit der Zeit. Die Chefvolkswirtin von Helaba hält ihren Kapitalmarktausblick nur noch rein virtuell ab. Und um die trockene Materie etwas unterhaltsamer zu gestalten, haben Traud und ihr Team ihren drei Szenarien die Label «Arbeitskleidung», «Haute Couture» und «Des Kaisers neue Kleider» verpasst. Schliesslich unterliegen sowohl Mode als auch Konjunktur und Kapitalmärkte gewissen Trends und Zyklen.
Geht es zu wie auf dem Laufsteg, wird der Markt sich mit einer Wahrscheinlichkeit von 65% im nächsten Jahr die «Arbeitskleidung» überstreifen – das Basisszenario. Demzufolge bleiben Aktien attraktiv, die Zinsen sinken, und die Inflation normalisiert sich weiter. Darüber herrscht weitgehend Konsens unter Ökonomen und Anlagestrategen, die jedes Jahr zum Ende hin einen Ausblick für die nächsten zwölf Monate geben. The Market hat mehr als ein Dutzend verschiedene Markteinschätzungen ausgewertet.
Trauds Ansicht nach sprechen sich verbessernde globale Wachstums- und Gewinnperspektiven 2025 für «moderat steigende Notierungen» – und das nach dem bislang sehr guten Börsenjahr 2024. Die Aktienmärkte steuern auf eine erfolgreiche Jahresbilanz zu, allen voran die US-Börsen. Nur der Goldpreis (+28,6%), den Bitcoin mal aussen vor gelassen, hat sich seit Jahresanfang noch besser entwickelt.
Viel wird an der Börse 2025 von der Entwicklung der Weltwirtschaft abhängen. Die Mehrheit der Experten geht mittlerweile davon aus, dass die Wirtschaft nicht in eine Rezession rutscht, also tatsächlich weich gelandet sein könnte. Das wäre ein äusserst seltener Fall, den es in den USA zuletzt 1995 gab. Die Lage normalisiert sich, lautet der Konsens.
«Die Weltwirtschaft erfährt erhebliche Strukturveränderungen, aber sie funktioniert», sagt Ulrich Kater, Chefvolkswirt von DekaBank. Er rechnet für 2025 mit einem konstanten weltweiten Wachstum von 3%. Die Wachstumsrate in den USA beziffert er auf 1,8%, die europäische Wirtschaft werde 1,2% zulegen, während er für Deutschland ein Plus von nur 0,4% prognostiziert. Die einstige Lokomotive der Weltwirtschaft, die Volksrepublik China, werde ihr selbst gestecktes Ziel von 5% mit 4,5% abermals verfehlen. Ähnlich sehen das andere Finanzinstitute wie die Schweizer Privatbank Union Bancaire Privée (UBP).
Ein Szenario, in dem sich die Konjunktur leicht abkühlt und die Inflation in den Zielbereich der Notenbank rückt, ist selten ein stabiler Zustand, heisst es bei Metzler Private Banking. Eine Rezession oder ein Anstieg der Teuerungsrate seien denkbar, wenn die Währungshüter zu restriktiv oder zu expansiv agierten. Und so schauen Ökonomen, Strategen und Analysten auf die Vorhaben des künftigen US-Präsidenten Donald Trump.
Der alte, neue Präsident hat jüngst Zölle von 25% auf alle Importe aus Mexiko und Kanada plus zusätzliche 10% auf alle Einfuhren aus China angekündigt. Solche Abgaben steigern das Risiko, dass die Teuerung anzieht. Die geplante Beschränkung der Einwanderung verknappt das Angebot an Arbeitskräften, lässt die Löhne steigen und wirkt wachstumshemmend. Steuersenkungen heizen wiederum die gesamtwirtschaftliche Nachfrage an. Sie würden wohl erst in einem bis zwei Jahren ihre Wirkung entfalten, schätzt man bei DekaBank.
Trumps Politik wird die schon hohe Staatsschuldenquote der USA von derzeit rund 122% des Bruttoinlandprodukts (BIP) kräftig steigen lassen. Damit gehen steigende Refinanzierungskosten der USA einher. «Eine Staatspleite bleibt unwahrscheinlich, solange die Vereinigten Staaten über eine eigene Notenbank verfügen und mit dem Dollar die Weltreservewährung stellen», so Carolin Schulze Palstring, Leiterin Strategie und Research bei Metzler Private Banking.
Zum gleichen Schluss kommt Bert Flossbach, Mitgründer der Fondsgesellschaft Flossbach von Storch. Den Dollar könnte man zwar leerverkaufen, also praktisch eintauschen, aber gegen was? Gemäss Flossbach besteht keine grosse Gefahr eines Handelskriegs. Auch die Vermutung, Trump wolle mit der Androhung von Zöllen nur die beste Ausgangsposition für Verhandlungen haben, ist eine Annahme, die aber bei weitem nicht jeder Stratege teilt.
Fondsmanager Flossbach, der bereits 2012 ein Buch mit dem Titel «Schuldenlawine» veröffentlicht hat, schaut ausser auf die derzeit desaströsen Verhältnisse in Deutschland besorgt auch auf Frankreich. Dort liegt die Schuldenquote derzeit bei 111% des BIP. Zum Vergleich: Die Maastrichtkriterien sehen eine Staatsverschuldung von maximal 60% vor. Noch spielen die hohen Staatsschulden an den Finanzmärkten keine allzu grosse Rolle, ist die einhellige Meinung. «Der Faktor könnte aber in den nächsten Jahren an Gewicht gewinnen», betont Sören Hettler, Leiter Anlagestrategie und Privatkunden bei DZ Bank. Spätestens dann, wenn Trumps Politik die US-Quote noch weiter nach oben katapultiert.
Weitgehende Einigkeit herrscht über die Geldpolitik der US-Notenbank (Fed) und der Europäischen Zentralbank (EZB). So dürften die Zinsen grundsätzlich weiter sinken. DZ Bank erwartet für Ende 2025 einen Einlagensatz der EZB von 1,75% (derzeit: 3,25%), der Konsens liegt eher bei 2%, und in den USA Leitzinsen von 3,75% (gegenwärtig: 4,5 bis 4,75%), was in etwa die Mehrheitsmeinung trifft.
Die EZB habe mehr Spielraum, die Zinszügel zu lockern, und die europäischen Währungshüter hätten in der jüngeren Vergangenheit an Reputation gewonnen, heisst es bei DekaBank. Das Wertpapierhaus der Sparkassen rechnet zunächst einmal mit drei aufeinanderfolgenden Zinssenkungen à 25 Basispunkte. In den USA erwarten die Ökonomen dagegen eine Unterbrechung der geldpolitischen Lockerung. Ähnlich sieht das Frank Engels, Vorstand der Fondsgesellschaft Union Investment. Er geht von Leitzinssenkungen der US-Notenbank um insgesamt 75 Basispunkte bis zur Jahresmitte aus. «Danach wird das Fed auf Sicht fahren.»
Union Investment rechnet mit einer Inflation in den USA von 2,6% und damit einem Verharren oberhalb der Zielmarke des Fed. Für den Euroraum sagt Engels 2,1% voraus. Deka erwartet zwar eine deutlichere Preissteigerung von 2,3% in der Eurozone, sieht die Inflation aber grundsätzlich «auf Normalisierungskurs».
Die Schweizerische Nationalbank (SNB) muss indes die Preisstabilität und das Wachstum, aber eben auch den Wechselkurs des starken Frankens im Blick behalten. Thomas Stucki, CIO der St. Galler Kantonalbank, hält niedrige Zinsen mit einem starken Franken für den wahrscheinlichsten Fall. Gegenwärtig liegt der Leitzins der SNB bei 1%. UBP sieht bereits einen SNB-Einlagensatz von 0,25% als eingepreist an. Die Schweiz steht also vor einer neuen Tiefzinsphase, so die übereinstimmende Meinung.
Wenn es nach der Schweizer Grossbank UBS geht, dürfte der Dollar zwischen kurzfristigen positiven Treibern, wie dem angespannten Arbeitsmarkt und den Zöllen in den USA, sowie längerfristigen Negativfaktoren, darunter der Überbewertung, festsitzen. «Zölle haben meistens Gegenzölle zur Folge», sagt Michael Holstein, Chefvolkswirt von DZ Bank. Er rechnet deshalb mit einem sprunghaften Anstieg der Inflation ab Mitte nächsten Jahres. Die Teuerungsrate in den USA sehen die Analysten bei 2,8%.
Am Ende könnten es im Fall von China Strafzölle nicht in der ursprünglich einmal angedrohten Höhe von 60%, sondern von ungefähr der Hälfte sein. Europa müsse sich auf 10% einstellen. Demzufolge rechnet DZ Bank auch für 2026 mit einem Wachstum der chinesischen Wirtschaft von nur noch 3,4% (2025: 4,5%) – das sticht gegenüber anderen Einschätzungen heraus.
Alles in allem ist die Ausgangslage für Aktien recht gut. Unterscheiden muss man allerdings klar zwischen den US-Börsen einerseits und Europa und dem Rest der Welt andererseits.
US-Aktien, allen voran die grossen Tech-Werte, sind nicht mehr günstig. Eine Blase sieht Frank Endres, Leiter Portfoliomanagement bei Metzler Private Banking, aber nicht – und ist damit nicht allein. Die Tech-Giganten aus den USA erzielen hohe Gewinne, was eine höhere Börsenbewertung rechtfertigt. Dennoch ist man beim Bankhaus Metzler etwas zurückhaltender. Der Markt rechnet für kommendes Jahr mit einem Wachstum der Unternehmensgewinne von 10 bis 15%. Endres erwartet etwa 6 bis 9,5%. Am europäischen Aktienmarkt dürften die Unternehmensgewinne gemäss dem Portfoliomanager 5 bis 8% zunehmen.
DekaBank erwartet zwar einen Rückgang der Dominanz der Big Techs. Trotzdem scheint kein Weg an den Giganten vorbeizuführen. Das erwartete Gewinnwachstum berge Enttäuschungspotenzial, mahnt Fondsmanager Flossbach. Würden die Erwartungen nicht erfüllt, seien die Titel eben alles andere als günstig. Amazon, Alphabet, Apple, Meta und Microsoft investieren 2024 schätzungsweise insgesamt 218 Mrd. $ (Capex), insbesondere in KI-Infrastruktur. Im Zehnjahresvergleich sind die Investitionen – mit der Ausnahme Apple – stark gestiegen.
Amundi, einer der grössten Anbieter von ETF, hält die Bewertungen insbesondere bei US-Mega-Caps für überzogen. Das scheint eher eine Einzelmeinung zu sein. Die französische Fondsgesellschaft rät zu gleich gewichteten Indizes, Value-Nischen in Europa sowie Sektoren wie Finanzen, Versorgungsunternehmen, Kommunikationsdienste und Konsumgüter. Sie seien eine gute Absicherung gegen einen möglichen Rückgang bei Wachstums- und Mega-Cap-Aktien.
Der S&P 500 ist mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 22 auf Basis des erwarteten Gewinns für die nächsten zwölf Monate bewertet. Gewichtet man alle 500 Unternehmen aus dem Index gleich, liegt das KGV bei 18.
Günstiger sind europäische Aktien (KGV des Stoxx 600: 14) – und bleiben dies, wenn es nach Bert Flossbach geht. Denn kaum jemand ziehe sie aufgrund der niedrigeren Wachstumsraten der Unternehmensgewinne den US-Titeln vor. Deutsche-Bank-Tochter DWS beziffert den Abschlag der europäischen Valoren gegenüber den Papieren aus dem S&P 500 auf 45%.
«Die USA sind der klare Gewinner», sagt Joachim Schallmayer, Leiter Kapitalmärkte und Strategie bei DekaBank. Dort hätten sich die Unternehmensgewinne in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt. Europäische Aktien sollten sich kurzfristig schwächer entwickeln. Nebenwerte aus Europa handelten allerdings mit einem erheblichen Bewertungsabschlag zur eigenen Historie. Schallmayer empfiehlt, «sie spürbar im Portfolio beizumischen». Bei DWS sieht man ebenfalls Chancen für Small und Mid Caps und favorisiert europäische Bankaktien. Auch UBS setzt auf Nebenwerte und mittelgrosse Titel aus der Eurozone sowie hochwertige Dividendenaktien aus der Schweiz.
Einigkeit herrscht darüber, dass es einen grösseren Impuls aus Europa geben müsste, damit internationale Investoren die Aktien des alten Kontinents wiederentdecken. Dieser Anstoss könnte zum einen von einer neuen deutschen angebotsorientierten Regierung kommen. Zum anderen, so ist man sich bei der Deutschen Bank sicher, könnten neue fiskalische Programme wie der Draghi-Plan mit Investitionen von jährlich 800 Mrd. € «Wachstumsimpulse geben».
So stark wie in der jüngeren Vergangenheit dürften Aktien nicht mehr steigen, wenn es nach der Analyse von DWS geht.
Die SGKB meint: Bewertungen spielten kurzfristig kaum eine Rolle. Entscheidend sei vielmehr: «Die relative Attraktivität von Aktien nimmt aufgrund der tieferen Zinsen zu, und die Geldpolitik wirkt unterstützend.» Kurzfristige Schwankungen angesichts zahlreicher geopolitischer Risiken einmal ausgeblendet.
Eine einzelne kritische Stimme kommt aus den Niederlanden. Die Investmenttochter der Triodos Bank gibt in ihrem Ausblick zu bedenken: «Angesichts der hohen Börsengewinne in diesem Jahr und der schwächeren Wachstumsaussichten für 2025 scheint eine Börsenkorrektur nur eine Frage der Zeit zu sein.»
Mit Blick auf Anleihenmärkte sind sich die Stimmen mehrheitlich einig. So sollen deutsche Bundesanleihen mit zehn Jahren Laufzeit eine Rendite von 2,5 bis 3% bringen (Ausnahme Deka: 2,25%), während zehnjährige US-Staatsanleihen auf 4,5 bis 5% kommen könnten (UBS: 4%). Das Zinsniveau steigt in Summe gerade für längere Laufzeiten moderat. Die Zinsstrukturkurven werden etwas steiler. Cash zu halten, wird damit unattraktiver. Letztlich werden die Zinsdifferenzen den Dollar gegenüber dem Euro stärken.
Wenn es um die Auswahl der festverzinslichen Papiere geht, driften die Meinungen etwas auseinander. Deutsche Bank rät zu Staatsanleihen in Europa, die Potenzial für Kursgewinne bieten. Unternehmensanleihen mit guter Bonität seien ebenfalls attraktiv. Für Union Investment sind Corporate Bonds von soliden Schuldnern dagegen erste Wahl, da sie einen Renditeaufschlag gewähren, den Staatspapiere nicht mehr liefern können.
Bei Deka favorisiert man Unternehmensanleihen aus dem High-Yield-Bereich mit hohem Spread. Die hoch verschuldeten Unternehmen spürten verbesserte Finanzierungsbedingungen stärker und schneller. Bei Metzler setzt man auf einen Mix aus Staats- und Unternehmensanleihen und auf eine durchschnittliche Restlaufzeit von vier Jahren, damit die Risiken überschaubar sind, sollte die Rendite am langen Ende im Laufe des Jahres steigen, wovon das Bankhaus ausgeht.
Kurzum: Anleihen sind eine Alternative.
Wegen des technologischen Wandels und der Elektrifizierung bleiben Industriemetalle wie Kupfer, Lithium und Kobalt 2025 gefragt, so Ulrich Stephan, Chefanlagestratege der Privatkundenbank von Deutsche Bank. Die grüne Transformation führt Engels von Union Investment ebenfalls ins Feld. Dazu können sich Rohstoffe als Beimischung positiv auf die Risikostreuung auswirken, ihre Entwicklung hängt weniger eng mit der Entwicklung anderer Anlageklassen zusammen. Basismetalle seien langfristig der Favorit des Fondshauses im Rohstoffsektor. Gold sei «zwar aus Bewertungssicht teuer, aber eine gute Risikoversicherung und profitiert ausserdem von höheren Fiskaldefiziten», sagt Engels. 2800 $ je Feinunze sind das Kursziel von Helaba. DZ Bank erwartet einen Goldpreis von 3100 $. SGKB empfiehlt eine Goldallokation von 5%, während UBP aus Genf dem kleinen Bruder Silber grosses Potenzial einräumt.
Eine untergeordnete Rolle spielt in den Vorhersagen dagegen der Ölpreis, der zwischen 70 und 85 $ je Fass (159 Liter der europäischen Sorte Brent) gesehen wird. Immobilien werden hingegen als attraktiv eingestuft.
Aktien bleiben 2025 Anlageklasse Nummer eins. In den USA sind eher Technologiewerte, Kommunikationsdienstleister, zyklische Konsumtitel und Finanzvaloren interessant. In Europa Industrieunternehmen, Versorger mit Schwerpunkt auf erneuerbare Energien und Finanzwerte sowie Rüstungskonzerne. Im negativen «Des Kaisers neue Kleider»-Szenario von Helaba rutscht die Weltwirtschaft in eine Rezession, Protektionismus und Lieferkettenstörungen sind an der Tagesordnung. Wie gut, dass die Wahrscheinlichkeit dafür gering ist.