Die Parlamentarische Untersuchungskommission legte heute ihre Aufarbeitung zum Untergang der Credit Suisse vor – und spricht Empfehlungen aus. Sie sind für die Neukalibrierung der Kapitalanforderung an die verbliebene Schweizer Grossbank relevant.
Am 10. April dieses Jahres hat der Bundesrat 22 Massnahmen vorgestellt, entlang derer er die Schweizer Bankenregulierung nach dem Untergang der Credit Suisse weiterentwickeln will.
Das hat seither den Lauf der Aktien der UBS jäh gebremst. Denn das bundesrätliche Dokument enthält Passagen, die nahelegen, dass die UBS gezwungen werden könnte, ihr Eigenkapital um bis zu 25 Mrd. $ zu erhöhen.
Entscheide erst nach der PUK
Dass das Schweizer «Too big to fail»-Regime nach dem Fall der Credit Suisse angepasst werden muss, steht ausser Frage. Doch bevor Entscheide gefällt werden, wollte die Politik den Bericht der Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) abwarten, der die Entwicklung und Verantwortlichkeiten aufgearbeitet hat, die zur Notfusion der Credit Suisse mit UBS geführt haben.
Heute hat die PUK ihren Bericht vorgelegt. Auf 569 Seiten breitet sie die Entwicklung seit 2015 aus und ordnet die Ereignisse ein.
Explizit nicht zu ihrem Auftrag gehörten konkrete TBTF-Vorschläge. Dennoch machten die Verantwortlichen heute erhellende Aussagen dazu.
Ein erstes Verdikt lautet, dass die Schweiz bei der regulatorischen Entwicklung im Nachgang der Finanzkrise international führend war – sprich: bei der Verschärfung der Kapitalanforderungen an die Banken. Danach sei die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Finanzindustrie höher gewichtet worden und die Regulierung ins Hintertreffen geraten.
In einer ersten Empfehlung an den Bundesrat schlägt die PUK deshalb vor, bei der zukünftigen Ausgestaltung der TBTF-Regulierung die internationalen Abhängigkeiten von systemrelevanten Banken sowie die vergleichsweise bedeutende Grösse der UBS angemessen zu berücksichtigen.
Gleichzeitig betonten bei der Präsentation mehrere PUK-Mitglieder, dass dabei als Kernelement nicht primär neue Regulierungen gemeint seien, sondern der Fokus des Berichts der zielgerichtetere Einsatz bestehender Instrumente sei.
Regulatorischer Filter im Fokus
Hervorgehoben wurde der regulatorische Filter, der die Finma der Credit Suisse ab 2017 gewährt hatte.
Dieser führte im Rahmen einer Änderung der regulatorischen Erfassung der Auslandstöchter bei der Credit Suisse zu einer Verwässerung der Kapitalvorschriften. Und diese Verwässerung ging weit über das hinaus, was die Finma ursprünglich selbst erwartet hatte und vernebelte gleichzeitig für Aussenstehende die wahre Kapitalausstattung der Grossbank.
Die Finma hatte offenbar eingewilligt, dass der von ihr gewährte regulatorische Filter im Rahmen des Wechsels von einer Sammel- zu einer Einzelbewertung der Auslandstöchter der Credit Suisse den Aufbau von 8 Mrd. Fr. Eigenkapital erspart – und die Kapitalquoten nach aussen trotzdem solide erscheinen.
Faktisch machte der Filter bei seiner erstmaligen Anwendung 2019 dann 15,3 Mrd. Fr. aus. Sprich: Die Credit Suisse konnte weiterhin eine Eigenkapitalquote CET 1 von über 10% ausweisen, obwohl mehr als 15 Mrd. Fr. des Eigenkapitals faktisch nicht vorhanden, sondern lediglich aufgrund des Filters in deren Berechnung einflossen.
Nur halb so viel Kapital wie ausgewiesen
Da sich der Geschäftsgang der Grossbank ab 2021 massiv verschlechterte, sank das Eigenkapital der Credit Suisse zwar, der regulatorische Filter jedoch dämpfte den von aussen ersichtlichen Rückgang. Er gewann gar weiter an Gewicht.
Der PUK-Bericht kommt zum Schluss, dass sein Anteil an der im dritten Quartal 2022 ausgewiesenen Eigenkapitalquote auf 50% gestiegen war: Die Credit Suisse wies damals eine CET-1-Quote von 10% aus. Ohne Filter wären es nur noch 5% gewesen – eine eklatante Unterkapitalisierung, die sich von aussen kaum erkennbar bereits ab 2021 eingeschlichen hatte.
Der Untergang der Credit Suisse war damit nicht nur ein Liquiditätsproblem, sondern auch ein Kapitalproblem, lautet ein Fazit der PUK.
Ausnahmefall oder grundsätzliches Problem?
Nationalrat und PUK-Mitglied Thomas Matter betonte, dass die Ausnahmeregelung des regulatorischen Filters, den die Finma der Credit Suisse gewährt hatte, nicht dahingehend verwechselt werden dürfe, dass die gesetzlich vorgesehen Eigenkapitalanforderungen zu tief seien. Diese seien zehnmal so hoch wie vor zehn Jahren: «Wir dürfen nicht eine gut arbeitende Bank wie die UBS wegen der schlecht arbeitenden Bank Credit Suisse bestrafen.»
Dabei ist wichtig zu verstehen, dass UBS im Gegensatz zu Credit Suisse nie einen solchen regulatorischen Filter beanspruchte, mit dem die Bewertung von Auslandstöchter kapitalsparend miteinander verrechnet werden konnten. Ihre Auslandstöchter sind vollständig gemäss Einzelbewertung mit Eigenkapital unterlegt.
Noch nicht zutreffend ist das allerdings für die zusammen mit der Credit Suisse übernommenen Tochtergesellschaften. Da rechnet UBS mit einem zusätzlichen Kapitalbedarf von 9 Mrd. $, um die aufgrund des regulatorischen Filters noch bestehende Lücke zu schliessen. Obendrauf wird sie bis 2030 weitere rund 10 Mrd. $ Kapital aufbauen müssen, da die Kapitalanforderungen nach dem Grössensprung durch die Integration der Credit Suisse gemäss bereits bestehendem Recht überproportional steigen.
Neues Licht auf Kapitalunterlegung
Der Befund der PUK, dass der von der Finma gewährte regulatorische Puffer – ein Entscheid, den die Kommission nicht nachvollziehen kann – ein zentraler Punkt ihrer Untersuchung ist, sowie das Vorgehen der UBS, solche Ausnahmeregelungen nicht zu beanspruchen, eröffnen einen neuen Aspekt bezüglich der eingangs skizzierten Unsicherheit zum Kapitalpolster, das der UBS künftig abverlangt wird.
Im Zentrum der bundesrätlichen Vorschläge steht nämlich die Frage, wie viel Eigenkapital eine Bank für ihre ausländischen Töchter in der Schweiz vorhalten muss.
Heute ist eine Unterlegung von 60% vorgesehen. Der Bundesrat erwägt die Quote auf 100% zu erhöhen, was für UBS zusätzlich zu den zuvor erwähnten Werten von rund 20 Mrd. $ einen weiteren Kapitalaufbau von 15 bis 25 Mrd. $ bedeuten könnte. Zur Einordnung: Heute verfügt die Grossbank über ein regulatorisches Eigenkapital von 74 Mrd. $, entsprechend einer CET-1-Quote von 14,3%.
Problem Auslandstöchter
Bei Credit Suisse war die die mangelhafte Kapitalunterlegung der Auslandstöchter zwar mit ein Grund, dass sie sich nicht mehr aus eigener Kraft hatte restrukturieren können. Doch der PUK-Bericht zeigt auch, dass das nicht in erster Linie daran lag, dass die Auslandstöchter zu einem zu geringen Prozentsatz mit Kapital unterlegt waren. Bei der Credit Suisse standen sie wegen des regulatorischen Filters schlicht zu massiv überhöhten Werten in den Büchern – ein Umstand, der sich zuspitzte, je schlechter die ausländischen Geschäfte liefen.
Letztlich wird der Bundesrat austarieren müssen, wie viel Sicherheit der Schweizer Steuerzahler braucht – und wie viel Wettbewerbsfähigkeit die global agierende UBS.
Doch: Die heutigen Erkenntnisse der PUK sowie ihre Aufforderung an den Bundesrat «zu prüfen, ob die Qualität und die Quantität der Eigenmittel der systemrelevanten Banken gemäss den aktuellen Anforderungen genug geschützt sind», sowie die Motion, «der Bundesversammlung einen Entwurf zu einem Erlass vorzulegen, der die Gewährung von Erleichterungen von Eigenmittel- und Liquiditätsvorschriften […] beschränkt», könnten dabei wegweisend sein.