Jeffrey Sherman und Bill Campbell vom Bondhaus DoubleLine erwarten, dass der Preisdruck in der amerikanischen Wirtschaft anhält. Im Interview sagen sie, was die US-Präsidentschaftswahlen für Konjunktur und Finanzmärkte bedeuten – und wo sich Chancen für Investitionen eröffnen.
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An den Finanzmärkten spielen sich bedeutende Bewegungen ab. Die Rendite auf zehnjährige US-Staatsanleihen – der wichtigste Preis der Welt – ist seit Anfang Herbst von weniger als 3,7% auf annähernd 4,4% geschnellt. Derweil findet an den Leitbörsen in New York eine Rotation aus den grossen Tech-Aktien hin zu einer breiteren Auswahl an Unternehmen statt.
Mit den US-Präsidentschaftswahlen steht diese Woche ein Schlüsselereignis an, das die weitere Entwicklung an den Märkten massgeblich beeinflussen wird. Auch die künftigen Mehrheitsverhältnisse im Kongress werden von Bedeutung sein. Zudem fällt die US-Notenbank an der Sitzung vom Donnerstag den nächsten Zinsentscheid.
Jeffrey Sherman und Bill Campbell, Portfoliomanager beim kalifornischen Bondhaus DoubleLine, äussern sich im Interview zu den Aussichten für die amerikanische Wirtschaft und zu den potenziellen Auswirkungen der Wahlen. Zudem sprechen sie über den weiteren Kurs der Geldpolitik und sagen, welchen Anlagen sie im gegenwärtigen Umfeld am meisten zutrauen.
Herr Sherman, Herr Campbell, die amerikanische Wirtschaft schlägt sich überraschend wacker. Wo stehen Sie in der Debatte um eine harte oder weiche Landung?
Jeffrey Sherman: Es ist noch etwas zu früh, um zu beurteilen, ob es sich um eine weiche Landung handelt oder die Wirtschaft einfach durchstartet. Es sieht aber kaum nach einer harten Landung aus. Natürlich lässt sich ein externer Schock nie ausschliessen, aber die Konjunkturdaten fühlen sich ziemlich gut an. Der Arbeitsmarkt kommt in eine bessere Balance, der Dienstleistungssektor bleibt robust, und das Lohnwachstum liegt immer noch bei über 4%. Kurzum: Die US-Wirtschaft ist in einer soliden Verfassung, und deshalb sind die Risikoprämien an den Kreditmärkten auch so gering. Vielleicht bleibt eine Rezession tatsächlich aus, oder wir kreisen zumindest noch eine Weile über dem Flughafen.
Bill Campbell: Ein weiterer positiver Effekt für die Wirtschaft ist der synchronisierte globale Zinslockerungszyklus der Zentralbanken. Er spielt sich dieses Mal in einem Umfeld ab, das nicht von einer Rezession oder einer Finanzkrise geprägt ist. Historisch betrachtet ist das ein wichtiger Unterschied. Einen solchen Lockerungszyklus haben wir seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt, wohl mindestens seit den Neunzigerjahren nicht mehr.
Welche Rolle spielen die US-Präsidentschaftswahlen für die Konjunkturaussichten?
Campbell: Es bestehen enorm viele Unwägbarkeiten, nicht nur, was den Ausgang der Wahlen betrifft, da es keinen klaren Spitzenkandidaten gibt, sondern auch, weil das wirtschaftspolitische Programm der beiden Parteien extrem unterschiedlich ist. Bei beiden Kandidaten ist zudem unklar, welche Ziele sie zuerst in Angriff nehmen werden, wie die Details dazu aussehen werden und wie sich die künftigen Mehrheitsverhältnisse im Kongress darauf auswirken werden. Auch lässt sich nicht sagen, wie die Märkte letztlich auf die verschiedenen Szenarien zum Ausgang der Wahlen reagieren werden, was ein weiterer Unsicherheitsfaktor ist.
Was bedeuten diese Unwägbarkeiten für die Wirtschaft und die Finanzmärkte?
Campbell: Im Vorfeld der Wahlen haben sich Arbeitgeber und Unternehmen ziemlich vorsichtig verhalten, ebenso die Marktteilnehmer. Es werden keine grossen Risiken eingegangen. Viele Unternehmen haben ihre Investitionen und Pläne für Ausgaben auf Eis gelegt, weil sie zuerst wissen müssen, wie es in der Politik weitergehen wird.
Sherman: Ich weiss nicht, ob es nach den Wahlen weniger Unsicherheit geben wird, aber es besteht dann zumindest mehr Klarheit. Eines der grössten Hemmnisse für Investitionen von Unternehmen ist derzeit die Steuerpolitik, denn der Tax Cuts and Jobs Act von 2017 läuft nächstes Jahr aus. Bei einem Sieg von Kamala Harris dürften die damals implementierten Steuersenkungen aufgehoben werden. Gewinnt hingegen Donald Trump, wird der Steuersatz für Unternehmen voraussichtlich weiter gesenkt. Diese Divergenz verschärft die Unsicherheit, wenn es um Kapitalausgaben geht.
Was halten Sie für das wahrscheinlichste Szenario nach den US-Wahlen?
Campbell: Wenn die Zentralbanken die Zinsen weiter senken, ist es gut möglich, dass das Vertrauen nach den Wahlen steigt und die amerikanische Wirtschaft auf Expansionskurs bleibt. Das würde dafür sprechen, dass wir uns eher in der Mitte des Konjunkturzyklus befinden, als dass wir uns seinem Ende nähern. Diese Annahme ist unserer Meinung nach auch der Grund dafür, weshalb es in den letzten Wochen an den Finanzmärkten zu einer bedeutenden Rekalibrierung gekommen ist.
Sherman: Wichtig ist diesbezüglich die Klarheit, die uns die Zentralbanken geben. Sie versichern, dass sie nächstes Jahr weitere Zinssenkungen vornehmen werden. Wir können darüber debattieren, auf welchem Niveau sich die Zinsen genau bewegen werden, aber die Unternehmen erhalten dadurch mehr Planungssicherheit. Vielleicht werden so auch die «Animal Spirits» etwas angefacht, was zu einem höheren nominalen Bruttoinlandprodukt führen könnte. Wenn es aber zu einer Beschleunigung des Wachstums kommt, bedeutet das möglicherweise ebenso etwas zusätzliche Inflation – und das wiederum heisst, dass das Federal Reserve die Geldpolitik nicht so stark lockern wird, wie die Märkte bis vor wenigen Wochen angenommen haben.
Ist dies eine mögliche Erklärung dafür, warum die Renditen auf US-Staatsanleihen seit Mitte September sprunghaft gestiegen sind?
Sherman: Ja, aber es gibt noch einen anderen Grund. Wir haben das ganze Jahr über mit Nachdruck argumentiert, dass sich die Laufzeitprämie stärker in der Zinskurve reflektieren sollte. Anders gesagt: Investoren sollten besser für das Risiko entschädigt werden, dass sich die Renditen während der Laufzeit einer Anleihe ändern können. Der Grund dafür ist, dass wir uns in den USA bei der Fiskalpolitik schlicht auf einem unhaltbaren Pfad befinden. Das Schatzamt versucht zwar, die Ausgabe neuer Staatsanleihen so gut wie möglich zu steuern, aber irgendwann werden die Probleme hinsichtlich des ausufernden Haushaltsdefizits eskalieren.
Könnte es in diesem Zusammenhang gar zu grösseren Turbulenzen am US-Bondmarkt kommen? Zum Beispiel wie in Grossbritannien vor zwei Jahren oder in Frankreich nach den Wahlen im vergangenen Sommer?
Campbell: In den USA versucht keine der beiden Parteien, die Probleme beim Staatshaushalt anzugehen. Damit sind wir aber nicht allein. Kaum ein Land handelt heute fiskalpolitisch umsichtig. Nicht nur Amerika ist mit einer Staatsverschuldung von 100% des Bruttoinlandprodukts oder mehr konfrontiert. Bei den meisten Industrieländern verhält es sich mehr oder weniger ähnlich. Doch es gibt einen wichtigen Unterschied: Der Dollar ist nach wie vor die globale Reservewährung, und US-Staatsanleihen dienen überall auf der Welt als Sicherheit für Bankkredite sowie Handels- und Finanztransaktionen. Es würde mich daher überraschen, wenn in den USA die gleichen systemischen Probleme auftreten würden wie in Grossbritannien oder Frankreich. Es dürfte sich eher um einen langfristigen Trend handeln, bei dem die Laufzeitprämie stetig steigt und es sporadisch zu Ausschlägen kommt.
Was bedeutet das für die Geldpolitik des Federal Reserve?
Sherman: Der Bondmarkt war gegenüber der US-Wirtschaft zu negativ eingestellt. Bereits im Januar hatten Anleger fälschlicherweise Zinssenkungen im Umfang von etwa 175 Basispunkten für dieses Jahr einkalkuliert. Ähnlich verhielt es sich dann im September, als der Markt Lockerungen von 200 Basispunkten bis im Juni 2025 einpreiste. Das ist natürlich immer noch möglich, aber das Umfeld müsste sich schon rapide verschlechtern, damit das Fed derart aggressiv reagiert.
In den letzten Jahren musste das Fed immer wieder einen abrupten Schwenker in der Geldpolitik vollziehen. Hat es die Situation dieses Mal unter Kontrolle?
Sherman: Ich glaube nicht, dass das Fed hinterherhinkt. Doch was die Inflation angeht, ist das Biest nicht gezähmt. Sie kehrt jetzt im Immobilienmarkt zurück. Dieses Problem könnte sich nächstes Jahr akzentuieren. Alle reden von den verzögerten Auswirkungen der Abkühlung am Wohnungsmarkt auf die Inflation und davon, dass dieser Trend anhalten werde. Im Index der Konsumentenpreise ist die Komponente «Unterkünfte» bei der letzten Lesung jedoch gestiegen, womit der Inflationsdruck diesbezüglich etwas zugenommen hat. Dieser Effekt hat teils mit höheren Mieten zu tun, basiert aber auch auf einem mangelnden Angebot an Mehrfamilienhäusern aufgrund höherer Hypothekarzinsen.
Campbell: Wie der Streik der Hafenarbeiter an der US-Ostküste und die Lohnverhandlungen bei Boeing gezeigt haben, besitzen Arbeitnehmer immer noch viel Macht. Das ist die Kehrseite der Medaille beim robusten Arbeitsmarkt: Die Inflation im Dienstleistungssektor ist hartnäckig und wird uns noch für längere Zeit begleiten.
Wie wird das Fed demnach vorgehen?
Campbell: Zum jetzigen Zeitpunkt ist eine drastische Senkung der Zinsen nicht gerechtfertigt. In Anbetracht der Tatsache, dass die Konjunkturdaten zuletzt recht solide ausgefallen sind, erscheint ein Kurs sinnvoll, bei dem das Fed den Leitzins bei jeder Sitzung jeweils um 25 Basispunkte lockert und dann bei rund 4% pausiert. Die Inflation bewegt sich inzwischen viel näher am Zielwert von 2%, womit das Fed erkennt, dass es eine zu restriktive Geldpolitik betreibt. Entsprechend will es seinen Kurs korrigieren und dann abwarten, wie sich die Situation weiterentwickelt. Auf diese Weise lässt es sich die Möglichkeit offen, die Zinsen falls erforderlich weiter zu senken. Es will aber nicht vorschnell handeln und damit einen erneuten Anstieg der Inflation riskieren.
Wie richten Sie in diesem Kontext die Anlagestrategie aus?
Sherman: Wir neigen zu einer Übergewichtung von Unternehmensanleihen. Weil sich der Konjunkturzyklus unserer Ansicht nach eher in einem mittleren Stadium als am Ende befindet, wollen wir die Risikoprämien gegenüber Staatsanleihen weiterhin nutzen. Dies, auch wenn sie in den letzten zehn Jahren selten so gering waren wie heute.
Weshalb trauen Sie diesem Segment Potenzial zu?
Unternehmensanleihen mit einem Triple-C-Rating, der untersten Stufe der Kreditwürdigkeit, haben eben eine massive Rally verzeichnet, was nicht für ein spätzyklisches Umfeld spricht. In den riskanteren Marktsegmenten lässt sich zudem eine rege Aktivität von Fusionen und Übernahmen beobachten, was ebenfalls ein positiver Trend ist. Insgesamt sind die Bewertungen an den Kreditmärkten zwar eher anspruchsvoll. Doch das ist angemessen, denn unter freundlichen Bedingungen mit einer robusten Wirtschaft bleiben die Risikoprämien in der Regel für längere Zeit niedrig. Das hat die Erfahrung von 2004 bis 2007 gezeigt: Damals waren die Prämien noch geringer als heute, und zwar mehr als drei Jahre lang. Wir könnten uns daher noch für eine ganze Weile in einem solchen Umfeld bewegen.
Wie schätzen Sie die Aussichten für die Märkte ausserhalb der USA ein?
Campbell: In Europa muss die Europäische Zentralbank liefern. Nach der dritten Zinssenkung um 25 Basispunkte im Oktober wird es im Dezember wahrscheinlich eine weitere Lockerung in dieser Grössenordnung geben. Im Gegensatz zu den USA geht es der Wirtschaft in Europa jedoch weniger gut, was für die Kreditmärkte etwas Gegenwind bedeutet. Deshalb fällt es schwer, im Markt für Unternehmensanleihen gegen Amerika zu wetten. Die Stärke des Euro ist allerdings überraschend.
Wie sieht es demgegenüber für den Dollar aus?
Sherman: Zum Dollar haben wir im Moment keine feste Meinung. Das Fed wird keine grösseren Zinssenkungen vornehmen, und die Konjunktur im Rest der Welt ist festgefahren, was tendenziell nicht für eine Abschwächung des Dollars spricht. Vielleicht wird er etwas stärker, aber mit grosser Überzeugung können wir das nicht sagen.
Ein anhaltend fester Dollar würde in diesem Fall auch weniger für Investitionen in Schwellenländer sprechen. Was glauben Sie?
Campbell: Ja, aber solche Trends halten nicht ewig. Wenn der globale Wachstumsmotor anspringt, werden sich ausserhalb der USA interessante Möglichkeiten eröffnen, auch hinsichtlich Anlagen in Schwellenländern in lokaler Währung. In Mexiko beispielsweise halten wir uns angesichts fiskalpolitischer Bedenken und der Risiken hinsichtlich der neuen Regierung zwar zurück. Ausgesprochen gut haben sich jedoch Anlagen in Südafrika entwickelt. Der Machtwechsel und die neue Einheitsregierung wirken sich strukturell positiv auf die langfristigen Aussichten des Landes aus. Aufgrund des Risikos bezüglich der US-Wahlen haben wir diese Position nun aber vorerst reduziert.
Welche Risiken bergen die US-Wahlen für die Schwellenmärkte?
Campbell: Wenn Kamala Harris die Regierung übernimmt und sich China gleichzeitig um grössere Stimulusmassnahmen bemüht, wäre das sicherlich positiv für die Emerging Markets. Viele Schwellenländer, vor allem die wichtigeren, bauen zudem ihre Wirtschaft um. Ihr Wachstum wird nicht mehr nur von Exporten getrieben, sondern auch der Binnenkonsum gewinnt wesentlich an Bedeutung. Nach den US- Wahlen ergeben sich in einem solchen Szenario damit interessante Gelegenheiten für Investments, übrigens auch in Industrieländern. Wenn Donald Trump hingegen gewinnt und die Zölle erhöht, ist das eine ganz andere Story.
Wie beurteilen Sie die Aussichten für die Aktienmärkte?
Sherman: An der Börse verhält es sich mit den Bewertungen ähnlich wie bei Unternehmensanleihen. Der Markt ist nicht so überteuert, wenn man die populärsten Namen ausgeklammert. Wenn die US-Wirtschaft in einem verlängerten Konjunkturzyklus anzieht und das Fed die Zinsen zugleich etwas lockert, empfiehlt sich deshalb eine Übergewichtung der 493 Titel im US-Leitindex S&P 500, die nicht zu den glorreichen Sieben zählen. Bei Small Caps halten wir demgegenüber Zurückhaltung für angebracht, denn dieser Zinszyklus ist für kleinkapitalisierte Unternehmen zu wenig förderlich. Dafür wäre eine bedeutendere Lockerung erforderlich, die das Fed voraussichtlich nicht liefern wird.
Weshalb empfehlen Sie eine Untergewichtung bei Apple, Nvidia, Microsoft, Alphabet, Amazon und den anderen grossen Tech-Titeln aus dem Bund der glorreichen Sieben?
Sherman: Diese Konzerne sind enorm gross und daher in Washington nicht sehr beliebt. Alphabet zum Beispiel wird vom US-Justizdepartement wegen Missbrauchs der dominanten Stellung im Markt für Internetsuchen verklagt, was an den Prozess gegen Microsoft vor rund 25 Jahren erinnert. In solchen Fällen, weiss man nie, was passieren wird, was für Abwarten spricht. Andererseits sind Alphabet, Nvidia, Apple und Amazon grossartige Unternehmen, weshalb man nicht vollständig auf sie verzichten sollte. Wichtig ist einfach, dass man auch die anderen 493 Namen hält. Denn wenn wir uns tatsächlich in der Mitte des Konjunkturzyklus befinden, sollten sich diese Titel besser entwickeln.
Jeffrey Sherman
Jeffrey Sherman ist stellvertretender Chief Investment Officer von DoubleLine und damit die Nummer zwei nach Unternehmensgründer Jeffrey Gundlach. Ausserdem ist er als leitender Portfoliomanager für sektorübergreifende und derivatbasierte Strategien zuständig. Bevor er 2009 zu DoubleLine kam, arbeitete er beim Bondhaus TCW, wo er sich als Portfoliomanager und quantitativer Analyst auf festverzinsliche Wertpapiere und Anlagen im Bereich Real Assets konzentrierte.
Bill Campbell
Bill Campbell ist Portfoliomanager für die globale Bondstrategie von DoubleLine. Er deckt die Industrieländer, Mittel- und Osteuropa, den Nahen Osten, Afrika sowie China ab. Bevor er 2013 zu DoubleLine stiess, war er bei Peridiem Global Investors als Analyst und Portfoliomanager im Bereich festverzinsliche Wertschriften tätig. Weitere Stationen seiner Karriere waren Nuveen Investment Management und John Hancock Financial.