Der Verteidigungsminister stellt sich vor den General, der dem Bundeskanzler ein weiteres Problem beschert hat. Auch sonst hat das Verhalten der beiden Politiker in der Taurus-Frage in dieser Woche wieder einige Fragen aufgeworfen.
Wieder geht eine bemerkenswerte Woche in der schier unendlichen Geschichte um den Marschflugkörper Taurus zu Ende. Sie hat vor allem einiges über die Konkurrenz zweier Männer offenbart, die in diesem Drama die Protagonisten sind. Während sich Bundeskanzler Olaf Scholz am Montag genötigt sieht, nach der Abhöraffäre um den Luftwaffenchef Ingo Gerhartz ein Machtwort zu Taurus zu sprechen, stellt sich Verteidigungsminister Boris Pistorius einen Tag später demonstrativ genau vor jenen General.
Man muss sich zunächst die Bilder von Montag in Erinnerung rufen. Scholz besucht eine Schule in Sindelfingen und wird gefragt, warum er in der Taurus-Frage keine Führung zeige, kein Machtwort spreche. Der Kanzler erwidert, es könne nicht sein, dass man ein Waffensystem liefere, das sehr weit reiche, und dann nicht darüber nachdenke, wie die Kontrolle über dieses Waffensystem erfolgen könne. Wenn man die Kontrolle haben wolle und das nur gehe, wenn deutsche Soldaten beteiligt seien, dann sei das für ihn ausgeschlossen. «Ich bin der Kanzler, und deshalb gilt das.»
Da war es, das Machtwort. Nur muss man berücksichtigen, dass der Verteidigungsminister jemand ist, der eine Lieferung von Taurus an die Ukraine eher gestern als heute befürwortet. Seit dem vorigen Wochenende weiss nicht nur der russische Geheimdienst, sondern auch die deutsche Öffentlichkeit, dass ihm die Luftwaffe dafür einen gangbaren Weg aufgezeigt hat. In der mutmasslich abgehörten Besprechung von vier teilweise ranghohen Offizieren wird deutlich, dass die Ukrainer den Taurus auch ohne Hilfe deutscher Soldaten programmieren können. Scholz hat bisher das Gegenteil behauptet.
Nun trägt es sich zu, dass Pistorius am Tag nach dem Machtwort von Scholz zu einer lange geplanten viertägigen Reise nach Skandinavien aufbricht. Zuvor hat er der Öffentlichkeit allerdings noch etwas mitzuteilen. Vordergründig geht es dabei vor allem um die technischen Aspekte der Abhöraffäre, die seit dem vergangenen Wochenende die Bundeswehr und die deutsche Politik beschäftigt. Pistorius erklärt, die Untersuchungen hätten ergeben, dass Webex, das webbasierte Konferenzsystem der Bundeswehr, sicher sei. Es sei «individuelles Fehlverhalten» gewesen, das dazu geführt habe, dass die Besprechung habe abgehört werden können.
Pistorius will Gerhartz aus der Schusslinie nehmen
Hintergründig aber scheint es um etwas anderes zu gehen. Pistorius will den Luftwaffenchef Gerhartz aus der Schusslinie nehmen. Er werde keinen seiner besten Offiziere Putins Spielen opfern, sagt er und hat dafür extra den Abflug nach Schweden um anderthalb Stunden verschoben. Er stellt sich damit demonstrativ vor Gerhartz.
Pistorius, das ist immer wieder zu hören, schätzt Gerhartz als dynamischen Antreiber und effizienten Manager. Doch es bleibt Tatsache, dass der ranghöchste Luftwaffensoldat die Besprechung über Taurus angesetzt und sich dabei offenkundig nicht die notwendigen Gedanken über grundlegende Sicherheitsaspekte gemacht hat. Egal, mit wem man in dieser Woche in Politik, Bundeswehr oder Industrie darüber sprach, es kam immer wieder die Frage auf, wieso sich Gerhartz zu Beginn der Konferenz nicht bei dem in Singapur befindlichen Brigadegeneral Frank Gräfe erkundigt habe, auf welchem Weg er sich in die Konferenz eingewählt habe. Gerhartz wusste, dass Gräfe dort bei einer Luftfahrtmesse weilte.
Es lag in der Verantwortung von Gerhartz, die Sicherheit der Konferenz zu gewährleisten. Der Vorgang wird für ihn noch peinlicher, als sich in dieser Woche ein Dozent und Cyber-Fachmann der Universität der Bundeswehr in München bei Linkedin zu Wort meldet. Aus seinem Post geht hervor, dass die deutschen Streitkräfte bereits ihren Offiziersnachwuchs umfangreich im Umgang mit heiklen Daten im Netz schulen. Da stellt sich umso mehr die Frage, wieso sich gerade der ranghöchste Soldat der Luftwaffe nicht an diese Regeln hält.
Man kann die Abhöraffäre so betrachten, wie es Pistorius in der Öffentlichkeit tut. Man dürfe Putin nicht auf den Leim gehen. So hat es der Verteidigungsminister in etwa gemeint, als er personelle Konsequenzen zunächst ausschloss. Doch für Scholz lässt sich das nicht so leicht abtun. Er steht durch die Aussagen von Gerhartz und den drei anderen Offizieren düpiert da. Es zeigt sich, dass sein Argument, Deutschland würde zur Kriegspartei, wenn es Taurus lieferte, nicht zutrifft. Die Fachleute der Luftwaffe haben es widerlegt. Man kann das Lüge nennen, so wie es einige Oppositionspolitiker wie Florian Hahn von den Christlichsozialen getan haben. Vor allem aber sorgt es dafür, dass Scholz in die Enge getrieben wird.
Verteidigungsministerium wirkt unzuverlässig
Das Ärgerliche für ihn ist, dass das Verteidigungsministerium auch unter Pistorius immer wieder unzuverlässig wirkt. Der nachlässige Umgang mit geheimen Informationen ist dort seit Jahren ein Problem. Eine Angelegenheit wie die Taurus-Abhöraffäre sei «wirklich nicht neu», sagte etwa ein erfahrener Industrievertreter in dieser Woche. Dies sei aber mittlerweile «ein grosses Problem in der Zusammenarbeit mit Nato-Partnern». Er verstehe inzwischen, dass beispielsweise US-Stellen in gemeinsamen Entwicklungsvorhaben gewisse Informationen, die aus anderen US-Projekten stammten und bei der Arbeit sehr hilfreich bis nahezu unabdingbar seien, nicht preisgeben wollten. «Deutsche Amtsstellen sind bezüglich solcher Infos so dicht wie ein Sieb.»
Für Scholz könnte es daher befremdlich anmuten, wenn der Verteidigungsminister durchblicken lässt, dass er die Zuständigkeit für den Abhörskandal nicht bei Gerhartz sehen will. Mit seiner Äusserung, es liege ein persönliches Fehlverhalten vor, bezieht sich Pistorius auf das Gebaren von Brigadegeneral Gräfe. Gräfe hatte sein Handy in Singapur für die Besprechung genutzt und dabei eine ungesicherte Mobilfunk- oder WLAN-Leitung genutzt. Wie es aussieht, ist es nicht der Luftwaffenchef, den der Minister in die Verantwortung nehmen will, sondern ein Abteilungsleiter aus dem Luftwaffenkommando.
Das alles liesse sich für Scholz vermutlich leichter abtun, wenn der Vorgang für ihn nicht so unangenehme Folgen hätte. Einer Vorladung in eine Sondersitzung des Verteidigungsausschusses am kommenden Montag zur Taurus-Abhöraffäre konnte er sich noch entziehen. Dort muss jetzt Pistorius Rede und Antwort stehen. Am Mittwoch aber steht die Kanzlerfragestunde im Bundestag an. Die oppositionelle Union hat schon angekündigt, dass sie Scholz unter anderem zu den Widersprüchen zwischen seinen Aussagen und denen der Luftwaffenoffiziere zu Taurus befragen will.
Nur einen Tag später folgt dann eine erneute namentliche Abstimmung im Bundestag zur Lieferung von Taurus an die Ukraine. Wieder hat sie die Union auf die Tagesordnung gesetzt. Vor zwei Wochen war sie mit einem ähnlichen Antrag noch im Parlament gescheitert. Diesmal hat der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki bereits angekündigt, für den Unionsantrag stimmen zu wollen. Schon beim letzten Mal hätten mindestens ein Dutzend weitere Kollegen liebend gern dem Unionsantrag zugestimmt, fügten sich aber der Koalitionsdisziplin, wird Kubicki im «Münchner Merkur» zitiert. Auch er sei damals kurz davor gewesen, für den Antrag der Union zu stimmen, wolle es diesmal aber tun.
Die Liberalen drohen von der Fahne zu gehen
Man kann das als Geplänkel einer Partei beschreiben, die sich als Opposition in der Regierung sieht. So jedenfalls beschrieben am Freitag Sozialdemokraten der NZZ den Koalitionspartner FDP und gaben sich demonstrativ gelassen. Am Ende, meinten sie, würden die Liberalen mit ihnen und damit für den Kanzler stimmen. Doch Olaf Scholz können die durchsichtigen Taurus-Manöver der Union eben auch nicht mehr egal sein. Er wird das Thema nicht los,und es entsteht der Eindruck, als habe sein Verteidigungsminister daran auch kein Interesse.