Illustration Simon Tanner / NZZ
Ob Gesundheit oder Geld, neuer Lebensstil oder alte Weisheiten: Auch dieses Jahr haben es viele Ratgeber auf die Bestsellerlisten geschafft. Eine Auswahl der derzeit erfolgreichsten Bücher.
«1%-Methode» – minimaler Aufwand, maximale Wirkung
Florian Schoop – Das Buch beginnt blutig: Dem Autor James Clear fliegt als Teenager ein Baseballschläger ins Gesicht. Der Schlag zerschmettert seine Nase und ein paar Knochen seines Schädels. Clear landet im Koma und muss sich danach zurück ins Leben kämpfen. Er schafft es, wird zum besten Schüler seiner Uni – und später zum Bestsellerautor.
Das Rezept für seinen Erfolg: die 1%-Methode.
Das Prinzip ist schnell erklärt: Wer sein Verhalten nur um ein Prozent verändert, erntet maximale Wirkung. Sie wollen abends nicht mehr Netflix schauen, sondern ein Buch lesen? Dann lesen Sie erst nur eine Seite. Sie wollen gesünder werden? Dann verzichten Sie mal nur auf eine Süssigkeit am Tag.
Der Effekt dieser einprozentigen Veränderungen zeige sich nicht sofort, schreibt Clear. Das sei vorerst auch noch nicht so wichtig, ausschlaggebend sei die Haltung dahinter. Wer also gesünder sein will, soll sich nicht sagen: «Ich will gesünder werden.» Er soll sich vielmehr fragen: «Was würde ein gesunder Mensch tun? Würde er zu Fuss gehen oder den Lift nehmen? Würde er ein Guetzlipack öffnen oder eine Frucht essen?»
Wer sich lange genug wie ein gesunder Mensch verhalte, werde irgendwann ein gesunder Mensch sein, so die banale Erkenntnis. Minimale Veränderung, maximale Wirkung: Das klingt natürlich sehr verlockend. Besser werden, ohne sich anstrengen zu müssen – für solche Werbeversprechen sind wir Menschen empfänglich. Nicht umsonst gibt es Fitness-Wackelbretter, Abnehmtees oder Vitaminbonbons.
Dass es im Leben dann eben doch nicht so einfach ist, wissen wir alle. Und das ist auch die grosse Kritik an Clears Ratgeber. Nicht alle Menschen können einfach ihr Leben um ein Prozent verändern, und alles wird gut. Das gilt nicht nur für Suchtkranke, sondern auch für Personen in schwierigen Lebenssituationen. Zudem steht Clears Methode unter der Maxime der Selbstoptimierung. Immer mehr, immer besser. Diese Haltung wird aber nirgends kritisch hinterfragt. Die ewige Verbesserung des Ichs vermittelt das Gefühl: Ich kann machen, was ich will, aber ich bin nie genug.
Wenn man von dem übersteigerten Heilsversprechen der 1%-Methode absieht, kann man dennoch etwas von diesem Ratgeber lernen. Das Buch erinnert uns daran, dass Minischritte den Alltag tatsächlich erleichtern können: den dreckigen Teller nach dem Essen gleich in der Spülmaschine versorgen. Beim Gang in den Keller etwas zum Verräumen mitnehmen. Während des Zähneputzens zehnmal auf die Zehenspitzen stehen, um das Sprunggelenk zu trainieren. So werden lästige Tätigkeiten zu Gewohnheiten, die das Leben erleichtern.
Für diese Erkenntnis braucht es aber nicht 325 Seiten.
James Clear: Die 1% -Methode. Goldmann-Verlag, 325 S., Fr. 19.90.
«Woman on Fire» – fabelhafte Wechseljahre jenseits von Hitzewallungen
Stephanie Lahrtz – Über Menopause reden und schreiben, das ist mittlerweile ein Megatrend. «Woman on Fire» ist das Buch, das einem von Freundinnen und Gynäkologinnen immer wieder empfohlen wird – zu Recht. Man spürt auf jeder Seite, wie sehr die Autorin Sheila de Liz für das Thema Aufklärung über die Menopause brennt. Der feurige Titel ist also auch Selbstbeschrieb.
De Liz ist Frauenärztin. Doch ihr Buch ist alles andere als eine medizinisch-spröde Abhandlung über Hormonrezeptoren oder Brustkrebsrisiko. Die knapp 280 Seiten Text sind vollgepackt mit akkuraten Informationen, schmissig formuliert und leicht verdaulich. Die Autorin löst das im Vorwort gegebene Versprechen ein. Das Buch stattet frau mit allen nötigen Fakten aus, damit sie auf Augenhöhe mit ihrer Gynäkologin die Menopause besprechen kann.
Ausführlich werden grundlegende Mechanismen der Hormonregulation dargestellt. Jedes erdenkliche Symptom der Menopause wird erklärt. Auch heikle Themen wie Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, keine Lust auf Sex oder Inkontinenz packt die Autorin beherzt an.
Allerdings wird etwas penetrant eine Verschwesterung inszeniert. Du und ich, liebe Leserin, gegen unwissende oder unwillige Ärzte, die die Menopause als hinzunehmende Tatsache im Leben einer Frau abstempeln.
De Liz informiert nicht nur, sie liefert auch eine Lösung für die Beschwerden der Menopause. Die Ursache aller Übel ist der Mangel an Hormonen. Somit empfiehlt sie, die Hormone zu ersetzen. Und zwar durch Hormonpräparate. Das mag nicht alle Leserinnen begeistern, ist aber medizinisch-biologisch korrekt.
Nur kurz werden Alternativen erwähnt. Und natürlich kommt auch dieses Ratgeberbuch nicht ohne die im Metier obligatorischen Hinweise auf Meditation, ausgewogene Ernährung und die Beachtung der eigenen Bedürfnisse aus.
Zwar könne jede Frau sich bewusst gegen eine Hormontherapie entscheiden, versichert de Liz. Aber sie müsse dann auch all die gesundheitlichen Folgen tragen. Und diese listet sie eindringlich auf: Osteoporose, Vaginalatrophie, Herz- oder Gehirnerkrankungen.
Fazit: Das Buch ist eine grosse Hilfe. Da die hormonellen Veränderungen oft schon mit Mitte 40 einsetzen, sollte frau das Buch am besten dann lesen und nicht erst nach der dritten Hitzewallung.
Sheila de Liz: Woman on Fire. Rowohlt-Verlag, 288 S., Fr. 25.90.
«Life Rebel» – anders, als es die Gesellschaft von einer Frau Mitte 30 erwartet
Esthy Rüdiger-Baumann – Wenn man die Generation Y auf einen Satz beschränken müsste, er käme wohl ziemlich nahe dran: «Mein Leben in 6 Städten und die Suche nach dem, was wirklich zählt.» So lautet der Untertitel des Bestsellers «Life Rebel» von Yvonne Eisenring. Die Generation Y, auch Millennials genannt, umfasst die Alterskohorte zwischen Mitte zwanzig und Anfang vierzig. Man sagt ihren Vertretern nach, dass sie sich ungern festlegten und stets nach dem tieferen Sinn suchten, nach dem Warum.
Mit 37 Jahren gehört auch die Zürcher Autorin und Podcasterin Yvonne Eisenring zur Generation Y. In ihrem Buch beschreibt sie ihr Dasein als jemand, der im Leben vieles anders macht, als es die Gesellschaft von einer Frau Mitte dreissig erwartet: Weder ist sie verheiratet, noch hat sie Kinder; sie verbringt die Hälfte des Jahres im Ausland, und sie steht dazu, nie vor 12 Uhr mittags mit der Arbeit anzufangen. Denn, so schreibt sie im Buch: «Am Schluss geht es immer um die gleiche Frage: Wer und was bekommt das Wertvollste, das ich habe, meine Zeit?»
Das Buch wurde nicht als Ratgeber geschrieben und erweckt beim Lesen doch den Anschein, einer zu sein. Eisenring beschreibt auf 208 Seiten, wie sie in sechs verschiedenen Städten (Zürich, Berlin, Paris, New York, Buenos Aires, Mexiko-Stadt) konsequent den Fragen nachgeht: Was macht mich glücklich? Wie möchte ich leben? Und wie meine Zeit verbringen? Sie erzählt von der Herausforderung, an einem Ort neu anzufangen, neue Freunde und einen Alltag zu finden. Und davon, wie der jeweilige Ort sie selbst und ihre Prioritätenliste verändert hat.
Die Fragen, denen sich Yvonne Eisenring stellt, mögen banal erscheinen. Doch zeigen die zahlreichen Online-Rezensionen und persönlichen Rückmeldungen, die Eisenring auf ihren Social-Media-Kanälen teilt: Viele Menschen sehnen sich nach dem Lebensstil, wie ihn Eisenring kompromisslos führt. Der Erfolg des Buchs dürfte aber nicht zuletzt an der wachsenden Fangemeinschaft der Autorin liegen, die sich neben ihren Büchern vor allem aus dem Podcast «Zivadiliring» formierte.
Yvonne Eisenring versteht es, ihre Community zu treuen Leserinnen zu machen – und gemäss den Rückmeldungen auch jene, die seit Jahren kein Buch mehr in der Hand hielten. Man mag den Erfolg des Buchs berechtigt finden oder nicht. Doch «Life Rebel» ist das Zeugnis einer Generation. Wer Millennials verstehen will, dem sei das Buch ans Herz gelegt.
Yvonne Eisenring: Life Rebel. Piper-Verlag, 208 S., Fr. 28.90.
«Der Berset-Code» – Krisen meistern mit dem Pandemie-Minister
Thomas Ribi – Ist das wirklich ein Ratgeber? Ja, doch, irgendwie schon. Im «Berset-Code» geht es schliesslich um Resilienz. Also darum, wie man Krisen übersteht. Mit Stress fertig wird. Das ist Lebenshilfe. Und die Autoren sind Fachleute: ein Altbundesrat und ein Psychiater, der Stress zu seinem Forschungsgebiet gemacht hat. Alain Berset und Gregor Hasler geben auch Tipps. Manchmal ganz konkret. Immer anhand eines
leuchtenden Beispiels: Alain Berset.
Aber «Der Berset-Code» ist nicht nur ein Ratgeber. Es ist auch ein Erinnerungsbuch: Der ehemalige Schweizer Gesundheitsminister blickt zurück auf die Corona-Pandemie. Erzählt, wie er die Ausnahmesituation erlebt hat und was es für ihn bedeutete, Entscheidungen zu treffen, die den Alltag der Menschen ganz direkt betrafen. Ein bisschen ist das Ganze auch ein Porträt: Alain Berset verrät, wie es ist, Alain Berset zu sein.
Das alles geschieht im lockeren Dialog. Hasler fragt, Berset antwortet. Zwischendurch übernimmt der Psychiater und erläutert. Oder relativiert. Zum Beispiel, wenn Berset sagt, bei der Arbeit als Bundesrat gehe es in erster Linie darum, zu dienen, und anfügt: «Ob man alles gegeben hat, erkennt man daran, ob man am Ende wirklich ausgebrannt ist.» Das findet Hasler heikel.
Engagement, Leistungsbereitschaft, ja. Aber Burnout sei kein Ziel. Berset beharrt: In der Exekutivpolitik müsse man bereit sein, an beiden Enden zu brennen, sonst sei man am falschen Platz.
Ein grosses Wort, aber mindestens lesen könnten das die Bundesratskollegen ja einmal. Auch wenn sich gerade da zeigt, dass «Der Berset-Code» kein Ratgeber im üblichen Sinn ist. Manchmal muss man die Ratschläge nämlich zwischen den Zeilen suchen. Und sich entscheiden, wem man folgen will: dem Politiker, der den harten Kerl gibt. Oder dem Arzt, der weiss, wohin Workaholism führen kann.
Doch Hasler sieht auch, dass Motivation hilft, Stress zu bewältigen. Dafür hat er sogar ein Nietzsche-Zitat bereit: «Wer ein Warum hat, dem ist kein Wie zu schwer.» Wohl wahr. Lieber brennen als glimmen. Aber Berset gibt noch andere Lebensregeln zum Besten. Zum Beispiel die, Kritik nicht zu ernst zu nehmen. Meist sei sie sowieso unbegründet. Wie tief er diesen Grundsatz verinnerlichte, hat Berset als Bundesrat gezeigt. Das Wichtigste, da sind sich Berset und Hasler einig: Kontrolle bewahren. Auch unter Stress. Wie man das macht? Indem man blitzschnell Prioritäten setzt. Oder Alain Berset ist.
Das Erste kann man lernen. Das Zweite ist nur wenigen
gegeben.
Gregor Hasler: Der Berset-Code. Wörterseh-Verlag, 220 S., Fr. 28.90.
«Stop Overthinking» – Schluss mit Grübeln
Marcel Gyr – Am besten lässt sich «overthinking» wohl mit übermässigem Grübeln übersetzen. Wobei sich der Ratgeber an jene Leute richtet, bei denen das Übermass in Stress und Angstzustände kippt. Der Autor Nick Trenton verspricht, den Teufelskreis des Sich-Sorgen-Machens mit einfachen Übungen durchbrechen zu können und zu einem gelassenen und souveränen Lebensgefühl zu finden.
Auf seiner Website bezeichnet sich der Amerikaner Nick Trenton als Life-Coach. Auf dem Buchdeckel wird herausgestrichen, dass er ein ausgezeichneter Skifahrer sei. Zudem träume er davon, die Welt zu bereisen und eine Kochsendung zu moderieren.
Qualifiziert ihn das, einen Ratgeber für Menschen in Not zu schreiben?
Nun, es ist vermutlich von Vorteil, dass die 23 Techniken, die er anpreist, nicht auf seinem eigenen Mist gewachsen sind. Vielmehr hat sich Nick Trenton durch Studien und Aufsätze gestöbert, auf die er in allerlei Fachzeitschriften gestossen ist. Das bietet immerhin Gewähr, dass die Lebenshilfe wissenschaftlich einigermassen abgestützt ist.
Eine dieser zitierten Methoden ist die kognitive Therapie. Dabei sollen schädliche Denkmuster durch positive Einstellungen ersetzt werden. Für Anfänger schlägt Nick Trenton zum Beispiel folgende Fragestellung vor: «Was würde passieren, wenn ich so tue, als ob ich nicht beschädigt wäre?»
Es ist nicht der einzige originelle Ansatz, der im Ratgeber propagiert wird. Ein anderer richtet sich an all jene, die nachts ins Grübeln kommen und deshalb nicht schlafen können. Nick Trenton rät, sich vorzustellen, wie man die Sorgen in einen imaginären Tresor einschliesst. «Sagen Sie sich, dass Sie die Sorgen jederzeit hervorholen können, aber dass Sie jetzt schlafen möchten.»
Ein anderer Trick heisst «Sorgen verschieben». Er ist so simpel, wie er tönt – die bewusste Entscheidung, die Sorgen auf später zu verschieben. Oder in den Worten von Nick Trenton: «Du willst dir jetzt unbedingt Sorgen machen? Gut, machen wir uns Sorgen. Aber nur fünf Minuten lang, und dann wird geschlafen.»
Sollte das nicht helfen, hat der Ratgeber weitere Pfeile im Köcher: etwa die 5-4-3-2-1-Erdungsmethode, die Narrative Therapie, die 4-A-Methode, die David Allen’s Input Processing Technique oder die Eisenhower-Methode. Aber irgendwie sind die alle sehr kopflastig und verleiten zum Grübeln.
Nick Trenton: Stop Overthinking. Finanzbuchverlag, 187 S., Fr. 28.90.
Das innere Kind – Trampolinspringen für ein sonniges Gemüt
Birgit Schmid – Seit neun Jahren steht «Das Kind in dir muss Heimat finden» von Stefanie Stahl auf den Bestsellerlisten, gerade wieder führt der Psychologieratgeber die Sachbuch-Liste (Taschenbuch) des «Spiegels» an. Die Popularität dieses Buchs beruht wohl auch auf seiner Tauglichkeit als Geschenk. Mittlerweile erscheint es in der 41. Auflage. Verdient ein solcher Erfolg nicht Anerkennung? Soll man hinterfragen, was der Masse gefällt?
Die Metapher vom inneren Kind hat nicht Stahl erfunden, aber sie ist griffig: Man fühlt sich angesprochen. Jeder war Kind. Jeder fühlt sich einmal zu wenig geliebt und sucht nach bedingungsloser Bejahung seiner selbst, also innerem Halt. Es ist das, was Stahl «Heimat» nennt.
In ihrem Buch führt die deutsche Psychotherapeutin alle psychischen Krisen und Beziehungsprobleme auf «Prägungen» in der Kindheit zurück. Dabei bricht sie die menschliche Psyche auf eine einfache Struktur herunter. Wer sich nicht binden kann, bekam von den Eltern zu wenig Liebe. Wer sich zu sehr an andere hängt, wurde als Kind überbehütet. Um zu heilen, muss man das «Schattenkind», das in der Kindheit schlechte Erfahrungen gemacht hat, mit dem «Sonnenkind» versöhnen, womit das fröhliche Selbst gemeint ist.
Wie das geht, erklärt Stefanie Stahl anhand von Glaubenssätzen wie «Erlaube dir, ganz du zu sein». Als Strategien empfiehlt sie «Das Leben geniessen» und «Gesunde Grenzen setzen». Auch Übungen wie Lachen oder Trampolinspringen sollen zu einem sonnigeren Gemüt verhelfen. Das ist leider so trivial, wie es klingt. Nicht Nein sagen zu können oder das Gefühl zu haben, nicht zu genügen, lassen sich nicht mit einfachen Rezepten beheben. Individuelle Unterschiede werden so nivelliert. Doch der Einzelne ist viel komplexer.
Stefanie Stahl, 60, nennt ihr Buch im Untertitel «Der Schlüssel zur Lösung (fast) aller Probleme». Das ist anmassend. Warum geht es heute so vielen Menschen schlecht, wenn Heilung so einfach sein soll? Auch deshalb, so die Vermutung, weil Bücher wie «Das Kind in dir muss Heimat finden» Erwartungen an ein glückliches Leben überhöhen.
Gut möglich, dass man bei der Lektüre die eine oder andere Erkenntnis gewinnt oder man Trost findet bei der Wiederbegegnung mit sich als Kind. Die Eltern, die viele Jahre später die Vorwürfe hören, macht dies weniger froh.
Stefanie Stahl: Das Kind in dir muss Heimat finden. Kailash-Verlag, 288 S., Fr. 24.90.
Werde reich – mit Innovation statt Masturbation
Katharina Bracher – Wie wird man reich? An wen sonst sollte man diese Frage richten, als an die Reichen selbst. Genau das tat Napoleon Hill. Der Journalist sprach angeblich mit 500 Millionären, um herauszufinden, was deren Geheimnis ist. Das Resultat heisst «Denke nach und werde reich!». Der Ratgeber erschien erstmals im Jahr 1937. Der Herausgeber Penguin behauptet, es handle sich um das erste Selbsthilfebuch der Welt. 15 Millionen Mal wurde es seither verkauft. In jüngerer Zeit verhalfen Social Media dem Buch zu einem neuen Boom. Business-Influencer und Selbstoptimierungs-Herolde übersetzen in Youtube-Tutorials oder Podcast-Episoden Hills Theorien in die Gegenwart.
Konkrete Anleitungen findet man im Jahrhundertbestseller allerdings nicht. Hill schlägt in erster Linie vor, sich in den Geisteszustand der Reichen zu versetzen. «Die Kraft des Gedankens» nennt er es: Nehmen Sie sich ganz fest vor, reich zu werden. Sie müssen es aber sehr fest wollen. Und dann müssen Sie alle (legalen) Register ziehen, um dieses Ziel zu erreichen, und sich von Rückschlägen nicht aufhalten lassen.
Der erste Schritt zum Erfolg: Autosuggestion. Sagen Sie jeden Abend vor dem Zubettgehen laut «Ich werde bis in 20 Jahren 10 Millionen verdienen», und der Gedanke manifestiert sich irgendwann. Warum Sie das glauben sollen? Weil Hill in seinem Buch auf etwa hundert verschiedene Arten beteuert, dass es funktioniert.
Er ist überzeugt: Um reich zu werden, braucht es weder ein begütertes Elternhaus noch Schulbildung: Wo ein Wille, da ein Weg zum Goldtresor!
Oft sind seine im marktschreierischen Ton geschriebenen, stark redundanten Kapitel vor allem zum Lachen. Auf sehr vielen Seiten geht es etwa darum, wie man als Mann seine (überschüssigen) sexuellen Energien kreativ ins Unternehmertum einfliessen lassen kann, statt sie «unproduktiv» zu verschwenden: Innovation statt Masturbation!
Hills Buch könnte im Buchhandel genauso gut in der Esoterik-Ecke stehen. Das merkt man spätestens im letzten Kapitel, wenn der Autor vorschlägt, Telepathie einzusetzen, um mit anderen genialen «Masterminds» des Unternehmertums zu kommunizieren.
Aller Kritik zum Trotz: Die meisten Ratschläge in diesem Buch basieren auf einer vernünftigen Mischung aus Zuversicht, Fleiss und starkem Durchhaltevermögen. Hills idealer Unternehmer ist der ehrbare Kaufmann: ehrlich, fair und am Allgemeinwohl interessiert.
«Denke nach und werde reich» ist eigentlich mehr Zeitzeugnis als universelles Regelwerk. Man kann es als Kulturgeschichte des amerikanischen Unternehmergeistes lesen.
Schade nur, dass Hill offenbar am Entstehungsmythos seines Buches geschraubt hat: Laut ihm soll es der Stahlmagnat Andrew Carnegie in Auftrag gegeben haben. Doch Carnegies späterer Biograf fand keinen Beleg dafür, dass die beiden Männer jemals in Kontakt gestanden sind.
Napoleon Hill: Think and Grow Rich. (Deutsche Ausgabe.) Penguin, 303 S., Fr. 24.90.
«Besser fühlen» – die Banalität der Gefühle
Peter Ackermann – Gefühle geniessen keinen guten Ruf. Es gilt als Tugend, sich über sie hinwegzusetzen. Denken steht vor Fühlen, Kopf vor Bauch. Ein kulturelles Erbe. Schreibt Leon Windscheid in «Besser fühlen» und zeigt, wie überholt dieser Ansatz ist. Gefühle, so der promovierte deutsche Psychologe, sind keine Schwäche. Sie sind ein evolutionäres Geschenk, das uns hilft, die Welt zu verstehen und uns in ihr zurechtzufinden. Wer seine Gefühle unterdrückt – Achtung: Trommelwirbel –, macht sich krank. Selbst unerwünschte Gefühle wie die Angst bestehen aus mehr als nur Beengendem. Evolutionspsychologisch ist gerade etwa die Angst überlebenswichtig, da sie eine Reaktion auf eine Gefahr erfordert: Kampf, Flucht oder Starre waren in der afrikanischen Steppe die besten Reflexe auf eine Begegnung mit Raubtieren. Heute aber fürchteten wir oft das Falsche, schreibt Windscheid. Fast Food sei bedrohlicher als Terrorakte, auch wenn es sich nicht so anfühle.
Unangenehme Gefühle wie die Angst haben aber auch – Trommelwirbel – ihr Gutes. Ängstliche Menschen geraten seltener mit dem Gesetz in Konflikt, denken umsichtiger, stürzen sich nicht blindlings ins Ungewisse. Doch wann wird der Schutzmechanismus krankhaft? Windscheid skizziert die Grenzen und eine Technik zur Überwindung der Angst: Wer sich seiner Angst stellt und sie bewusst durchlebt, kann sie Schritt für Schritt verlernen.
Das Buch, seit rund fünf Jahren auf den Bestsellerlisten, untersucht neben der Angst neun weitere grosse Gefühle. Es zeigt Wege, innere Ruhe zu finden, Wut in positive Kraft zu verwandeln und tiefe Zufriedenheit zu erreichen. Eines der Kapitel widmet sich der Langeweile. Was oft als quälend empfunden wird, ist – Trommelwirbel – auch eine Chance zur Veränderung. Weil uns die Langeweile – ja, nochmals Trommelwirbel – zwingt, innezuhalten und die «Zeit dazwischen» zu nutzen.
Leon Windscheid hat mit «Besser fühlen» einen trivialpsychologischen Bestseller geschrieben, der den Leser einlädt, seine Emotionen besser zu verstehen und als Ressource zu nutzen. Dieses Erfolgsrezept wendet er auch in seinem Podcast «Betreutes Fühlen» an, in dem er mit dem deutschen Comedian Atze Schröder über Psychologisches im Alltag quasselt.
Wie Windscheid mit Anekdoten, Studien und praktischen Ratschlägen jongliert, zeigt: Der 14. Millionär aus Günther Jauchs «Wer wird Millionär?»-TV-Show hat mit einfachen Antworten auf einfache Fragen eine Nische zwischen Psychologie und Unterhaltung gefunden. Windscheids Botschaften sind so eingängig und aufmerksamkeitsheischend wie Trommelwirbel. Und genau so wenig überraschend, dass sie schon bald nerven. Nerven? Das Gefühl hätte das Potenzial für einen weiteren Ratgeber: «Besser nerven».
Leon Windscheid: Besser fühlen. 272 S., Rowohlt Polaris, Fr. 14.–.
Gesetze der Macht – mit diesen Regeln kämpfen Sie sich an die Spitze
Barbara Klingbacher – Dieses Buch ist ein Phänomen: 1998 erschienen, ist es bei Amazon US gerade wieder in den Top Ten. In «Die 48 Gesetze der Macht» verrät der Autor Robert Greene, wie man sich an die Spitze kämpft. Seine Regeln erklären aber auch, wie dieser Ratgeber so machtvoll werden konnte.
Gesetz 32 – Spiele mit den Träumen der Menschen: «Versprechen Sie den grossen, den totalen Wandel – Reichtum statt Armut, Gesundheit statt Siechtum, Ekstase statt Elend –, und Sie werden Ihre Anhänger finden», schreibt Greene und tut genau das: Er verspricht den Machtlosen Macht. Selbst wenn Greene seine Gesetze von römischen Kaisern, französischen Königen und amerikanischen Präsidenten ableitet, können sie in jedem Büro, jeder Schulbehörde, jedem Turnverein angewendet werden.
Gesetz 6 – Mache um jeden Preis auf dich aufmerksam: «Ziehen Sie die Aufmerksamkeit auf sich, indem Sie sich grösser, interessanter und geheimnisvoller machen als die graue Masse.» Dieses Prinzip verwendet Greene bereits im Titel. Er nutzt die Vorliebe unseres Gehirns für Zahlen und Kategorien, ein Trick, der seit den «Zehn Geboten» funktioniert.
Gesetz 3 – Halte deine Absichten stets geheim: «Verbergen Sie Ihre Absichten nicht, indem Sie sich verschlossen geben, sondern indem Sie pausenlos von ihren Absichten und Zielen erzählen – allerdings nicht den wahren.» Greenes Buch wird auch «die Bibel für Psychopathen» genannt, weil er darin erklärt, wie man Herrschern schmeichelt, Freunde benutzt, Sündenböcke findet und Feinde vernichtet. Er selbst entgegnet, man könne es auch lesen, um sich vor Manipulation zu schützen.
Gesetz 6 – Mache um jeden Preis auf dich aufmerksam: «Sie müssen die Menschen verführen, Ihren Weg einschlagen zu wollen. Dann werden sie zu loyalen Schachfiguren.» Greenes Buch hat eine prominente Fangemeinde: Michael Jackson kribbelte Anmerkungen in ein Exemplar, das später für 8400 englische Pfund verkauft wurde, die Rapper Jay-Z, Kanye West und Drake verewigten die Gesetze in ihren Songs, und 50 Cent war so beeindruckt, dass er gemeinsam mit Greene «The 50th Law» verfasste. Ein Journalist nannte «48 Gesetze der Macht» einmal das meistgelesene Selbsthilfebuch für Männer.
Gesetz 48 – Strebe nach Formlosigkeit: «Je älter Sie werden, desto weniger dürfen Sie auf Vergangenes bauen»: Greene hat seine Gesetzessammlung laufend neu erfunden. Hatte das Buch einst über 500 Seiten, schrumpfte es für lesefaule Machtmenschen auf eine halb so dicke Kompaktversion zusammen. Später kamen Comics, Videos auf Youtube, Apps hinzu. Und heute hat der Hashtag #48lawsofpower auf Tiktok 637 Millionen Aufrufe.
Gesetz 2 – Vertraue deinen Freunden nicht zu sehr: «Machtmenschen begrüssen Konflikte, sie bedienen sich ihrer Feinde, um ihren Ruhm zu mehren»: Die 48 Gesetze der Macht sind in einer Reihe von amerikanischen Gefängnissen verboten. Niemand macht bessere Werbung für dieses Buch als die, die seinen Inhalt fürchten.
Robert Greene: Power. Die 48 Gesetze der Macht. Carl Hanser, 256 S. (Kompaktausgabe), Fr. 30.–.