Besuch bei dem afrikanischen Reggae-Star in seiner Villa in Mali. Tiken Jah Fakoly spricht gerne über die Chancen und Krisen Afrikas. Aber wenn er an den christlichen und islamischen Kolonialismus denkt, gerät der Sänger in Rage.
«Sie wollen zu Tiken Jah?» Das reicht dem Taxifahrer schon als Zielangabe. Denn das Heim des Reggae-Stars gilt in Bamako als Ortsmarke. Man sagt zum Beispiel: «Hinter Tiken Jah zwei Ampeln und dann nach links», um die Adresse eines Restaurants oder Hotels anzugeben. Das ummauerte Grundstück im Viertel Baco Djicoroni ist denn auch kaum zu verfehlen. Auf dem Parkplatz ein getunter VW Käfer in den Rasta-Farben Rot, Gelb, Grün. Oder sind damit die Farben der malischen Nationalflagge gemeint?
«Sie stehen sowieso für dasselbe», erklärt Tiken Jah Fakoly gleich selber. «Grün meint die Natur des Landes, Gelb das Gold und andere Bodenschätze – und Rot steht für das Blut, das im Kampf um die Unabhängigkeit geflossen ist.» Der Handschlag des 1,90 Meter grossen Mannes hat die Qualität und Stärke eines Schraubstocks. Sein von einem weissen Bart und langen Zöpfen gerahmtes Gesicht aber strahlt vor Sanftmut.
Dass Mali gerade in der grössten Krise seiner Geschichte steckt, die Wirtschaft nach dem erzwungenen Abzug der Franzosen und der Uno-Friedenstruppen stagniert, die Arbeitslosenzahlen noch einmal gestiegen sind, während Jihadisten im Zentrum und Norden Malis tödliche Attacken verüben – das alles merkt man den Strassen von Bamako nicht an. Die Männer hocken wie immer in ihren Teekreisen zusammen. Aus den Höfen dringt Gesang. Schulkinder spielen im Staub Fussball oder hüpfen um die Wette.
Lieber Mali als Jamaica
Tiken Jah bittet den Gast, ihm zu folgen. Vorbei an einem Hummer-Jeep und einem Gartenpavillon geht es auf die Dachterrasse seiner Villa. Die Minarette des Viertels heben sich phantastisch gegen den rötlichen Himmel ab. Ein Muezzin singt. Lautes Vogelgezwitscher. Statt auf den in Bamako üblichen Müll und Staub geht der Blick hier auf die ausladenden Baumkronen – und Solarpaneele. Der Reggae-Sänger, der auf einem seiner letzten Alben über die globale Erwärmung gesungen hat, will auch praktisch Haltung zeigen.
Tiken Jah hat einige seiner berühmtesten Alben in Jamaica aufgenommen. Das sei eine Wallfahrt zur Heimat Bob Marleys und zu den Helden seiner Jugend gewesen. Inzwischen setzt er selbstbewusst auf Afrika. «Unsere friedliche Idee, mit Gott und der Natur im Einklang zu leben», sagt Tiken Jah, «ist heute eher in Afrika zu finden als in Jamaica. Denn in Kingston sind die Menschen schon zu sehr amerikanisiert. Ihre Musik und ihr Lebensstil zielen darauf, das amerikanische Publikum für sich zu gewinnen und möglichst viele Grammys einzuheimsen.»
Der Sänger setzt deshalb vermehrt auf afrikanische Traditionen. So sind die Songs seines neuen Albums «Acoustic» mit lokalen Instrumenten wie Ngoni, Kora, Balafon und Tamani-Trommel aufgenommen: «Der Reggae gehörte zwar immer zu uns. Es ist aber an der Zeit, dass wir aus der Schuljungen-Rolle herauskommen und selbst zu Lehrern werden.»
Gilt das auch für die Politik? Was hält der Rasta-Mann von den Militärputschen, die nicht nur Mali, sondern kürzlich auch die Nachbarländer Niger und Burkina Faso erschüttert haben? Wie passen sie mit seiner Botschaft von Demokratie zusammen? Tiken Jah zündet sich einen Spliff an: «Darum ist der Reggae heute so relevant in Afrika. Die Verhältnisse, über die Bob Marley in den 1970er Jahren sang, die ganzen Bandenkriege und die Gesetzlosigkeit, das entspricht der heutigen Realität vieler afrikanischer Länder.»
Der Sänger spricht vom Bürgerkrieg, von der politischen Verfolgung und den Morddrohungen, die ihn selbst vor zwei Jahrzehnten aus seiner alten Heimat Côte d’Ivoire nach Bamako vertrieben. Er spricht auch von den Auftrittsverboten in Senegal, wo er korrupte Politiker kritisiert habe. Und davon, dass in Mali, einem Land, in dem der Altersdurchschnitt gerade bei 16 Jahren liegt und 70 Prozent der Bevölkerung als Analphabeten gelten, Musik nicht nur eine der wichtigsten Nachrichtenquellen sei, sondern schlichtweg das Sprachrohr der Jugend.
«Schon Bob Marley hat es vorhergesagt: Eines Tages werde Reggae nach Afrika zurückkehren, sagte er. Und dort werde die Musik ihre wahre Bestimmung finden.» Tatsächlich hat der afrikanische Reggae seit den 1990er Jahren viel zum Kampf für die Demokratie beigesteuert. Reggae-Sänger wie Tiken Jah haben sich jedenfalls weder von Zensurgesetzen noch von der Einschüchterung von Oppositionellen davon abhalten lassen, die Nöte und Hoffnungen der einfachen Menschen zu artikulieren.
«Wir hingen wie Kleinkinder an Frankreichs Nuckelflasche»
Kritik sei aber nicht selbstverständlich und eher etwas Neues in der afrikanischen Musikkultur. «Die Griots, unsere traditionellen singenden Geschichtenerzähler, singen für Geld. Wer bezahlt, dessen Lob wird gesungen. Und es sind natürlich die Reichen und Mächtigen, die die Mittel dafür aufbringen.»
Obwohl auch er aus einer Griot-Familie stamme, habe er sich nie auf dieses System eingelassen. Tiken Jah lacht, schenkt eine Runde Wasser nach. «Wenn die Leute mich heute sehen, dann erinnern sie sich, dass ich schon vor zwei Jahrzehnten über französischen Kolonialismus und die kommende Revolte dagegen gesungen habe. Heute sind die Jungen endlich aufgestanden, um die Franzosen aus Mali, Niger und Burkina Faso zu vertreiben.»
Nach der Rückeroberung des von Jihadisten besetzten Nordens von Mali durch die französische Armee im Jahre 2012 flatterten allerdings noch überall Trikoloren an Taxis und Flusspirogen, und Porträts von François Hollande schmückten die Kleinbusse Bamakos. Aber die Franzosen hätten es damals verpasst, mit den westafrikanischen Staaten eine echte Partnerschaft zu etablieren. Stattdessen blieben sie bei ihrem überkommenen Paternalismus.
Sie hätten den Afrikanern immer nur ihre Politik diktiert, hätten Staatsstreiche organisiert, mögliche Präsidentschaftskandidaten vorab genehmigt. «Im Élysée hat dann jemand gesagt: Ich glaube, dieser Kandidat ist besser für Frankreich.» Selbst wenn sich Mali an die Uno habe wenden wollen, habe es die Erlaubnis Frankreichs gebraucht. «Wir hingen wie Kleinkinder an Frankreichs Nuckelflasche. Nun aber wachen die Menschen auf. Und wollen einmal ihren Kindern erzählen: Wir haben es aus eigener Kraft geschafft.»
Tiken Jah erinnert an die Malier und Senegalesen, die im Ersten und im Zweiten Weltkrieg für Frankreich gekämpft haben. «Als es dann 1945 die Siegesparade durch Paris gab, liess man aber nur weisse Soldaten teilnehmen: Ihr Schwarzen, wir brauchen euch nicht mehr, hiess es. Und jetzt brauchen wir die Franzosen nicht mehr.»
Heute ist Assimi Goita, der einstige Putschanführer und Übergangspräsident, für viele Malier so etwas wie ein Messias. Sein Porträt prangt auf T-Shirts, auf Tassen und Taxis. Und am Strassenrand sitzen die Schneider und nähen aus der zerschnittenen französischen Trikolore neue, russische Flaggen. Denn seit der Vertreibung der Franzosen hat man die alte, nach der Unabhängigkeit geknüpfte Beziehung zu Moskau wiederbelebt. Frei nach dem Motto: Meines Feindes Feind ist mein Freund. Russland, das seinen Einfluss in Afrika auszubauen sucht, packt die Gelegenheit beim Schopf: Es liefert Mali nicht nur Waffen und militärische Ausbilder, sondern auch Frachter voll Weizen.
Über christlichen und islamischen Kolonialismus
«Wir wollen Freiheit. Da kann einer wie Putin, der seine Opponenten töten lässt, kein Vorbild sein.» Aber von russischer Politik hätten die meisten Malier wenig Ahnung, sagt Tiken Jah. Sie vertrauten derzeit einfach dem neuen starken Mann in Mali. «Assimi Goita weiss, was zu tun ist!» – das sei so etwas wie das Motto oder Brevier auf den Strassen Bamakos.
Tatsächlich verdankt Goita seine Popularität vor allem dem Kampf gegen die Korruption. Selbst Unternehmer und Politiker mit Verbindungen nach ganz oben sind in letzter Zeit im Gefängnis gelandet. Auch Tiken Jah schätzt dies als neu gewonnene Souveränität, er spricht von der «zweiten Unabhängigkeit Malis». Was nicht bedeute, dass er die Repressalien der Militärjunta, ihre Verfolgung von regierungskritischen Journalisten und Bloggern gutheisse.
Die politische und wirtschaftliche Situation in Mali ist kritisch. Im Moment wartet die Bevölkerung ab, ob die Regierung ihre Versprechen einlösen kann. «Die Leute leiden, die Schreiner und Schweisser harren tagsüber untätig vor ihren Geschäften aus, weil seit Monaten der Strom ausfällt und der zuständige Minister nichts anderes tut, als die Schuld auf die Lieferanten abzuschieben.» Die Malier seien sehr leidensfähig. Irgendwann aber würden sie auch dagegen aufstehen, glaubt der Sänger.
In seiner Musik beschäftigt sich Tiken Jah Fakoly weniger mit der konkreten Gegenwart Malis als mit seinen Träumen für ein befreites, eigenständiges Afrika. Viele seiner Songs handeln vom christlichen und islamischen Kolonialismus. Er werde zwar von Religionsführern immer wieder eingeladen – aber die Liebe beruhe nicht auf Gegenseitigkeit. «Muslimische Imame wie christliche Prediger haben uns im Namen Gottes bestohlen. Sowohl Europäer als auch Araber haben uns im Namen ihrer Religion versklavt.»
Der Weg zum Paradies
Der 55-jährige Rasta und Panafrikanist wird plötzlich von Wut gepackt. «La raison musulmane nous a bafoués, la raison chrétienne nous a bafoués» – «Die christliche und die islamische Lehre haben uns verhöhnt».
Danach beruhigt er sich wieder und summt den Refrain eines Songs. Welches Afrika schwebt ihm vor? «Wir sollten endlich gute Teerstrassen bauen anstatt dieser löchrigen Schlammpisten, wir sollten dafür sorgen, dass wir rund um die Uhr Elektrizität haben. Dass es Trinkwasser für alle gibt. Wir sollten sicherstellen, dass alle Menschen ausreichende medizinische Versorgung erhalten. Dass die Kinder vernünftige Schulen besuchen. Das wäre schon fast das Paradies.» Tiken Jah nimmt einen letzten Zug von seinem Spliff. Drückt den Stummel im Aschenbecher aus. Draussen ertönt der Ruf zum Nachtgebet.