Die Stadt Zürich will Mohrenkopf-Inschriften abdecken. Die SBB setzen auf Erklärtafeln.
Entfernen oder kontextualisieren? Seit bald fünf Jahren ringen die Stadt Zürich und der Heimatschutz mit der Frage, wie mit Inschriften an zwei stadteigenen Gebäuden im Niederdorf umzugehen ist. Die Hausnamen «Zum Mohrenkopf» und «Zum Mohrentanz» stammen aus einer Zeit, als der Blick auf andere Kulturen stark von einer kolonialistischen Perspektive geprägt war.
Das wohl bekannteste Beispiel sind die Namen zweier stadteigener Gebäude im Niederdorf: Für den Stadtrat ist klar, die Inschriften sind rassistisch und gehören überdeckt. Der Heimatschutz sieht das baukulturelle Erbe der Stadt in Gefahr. Beide Liegenschaften sind im kommunalen Inventar schützenswerter Bauten aufgeführt.
Auch die SBB haben sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, wie sie mit potenziell rassistischen Darstellungen umgehen sollen. Dies im Zusammenhang mit zwei Werken des Werbegrafikers Otto Baumberger aus dem Jahr 1926. Sie zieren seit der Eröffnung die Wände der Eingangshalle des Bahnhofs Zürich-Wiedikon und bewerben das Angebot des Warenhauses Jelmoli.
Auf der einen Wand sind drei Figuren dargestellt: ein Mann aus Afrika, einer aus der arabischen Welt und eine Figur mit asiatischen Zügen. Sie bieten Waren feil. Gegenüber sind im Zentrum der Bildkomposition drei elegant gekleidete junge Frauen zu sehen, die sich von einem Verkäufer im Anzug eine Stoffrolle zeigen lassen.
Die im Zuge der «Black Lives Matter»-Bewegung vom Stadtrat eingesetzte Projektgruppe Rassismus im öffentlichen Raum kam in ihrem Bericht zum Schluss, dass die Bilder sich nicht mehr als reine Werbegrafiken interpretieren lassen. Gleichzeitig sei die rassistische Komponente weniger offensichtlich als bei den Hausnamen. Der Zusammenhang ergebe sich erst vor dem Hintergrund historischen Wissens.
«Konsumgesellschaft und Rassismus»
Inzwischen haben die SBB in der Bahnhofshalle Schilder mit der Überschrift «Konsumgesellschaft und Rassismus» angebracht. Die SBB-Sprecherin Carmen Hefti sagt auf Anfrage der NZZ, Ziel sei es, einen Beitrag zur aktiven Auseinandersetzung mit der Geschichte zu leisten.
Die Wandbilder zu übermalen, war für die SBB kein Thema. Das klassizistische Bahnhofsgebäude steht unter kantonalem Denkmalschutz. Hefti sagt, die Tafeln bieten einen «direkten und leicht zugänglichen Bezug zwischen Kunstwerk und Text».
«Was lösen die Wandbilder bei Ihnen aus?», ist auf den Tafeln zu lesen. Der Text erklärt, was an den Wänden zu sehen ist: Es seien passive und stereotype Darstellungen von Menschen aus «Kolonien oder ehemaligen Kolonien» gegenüber aktiv dargestellten Zürcher Figuren. Diese Rollenteilung versinnbildliche die Diskriminierung ganzer Erdteile als reine Lieferanten.
Für die Werbung habe man sich verbreiteter Phantasien, Vorstellungen und Bilder von Menschen aus anderen Ländern bedient, ist weiter auf der Tafel zu lesen. «Wenn sie unhinterfragt bleiben, bestätigen und verstärken sie rassistische Vorstellungen und Diskriminierungen.»
Zudem sei der Bahnhof Wiedikon auf der Internet-Plattform «zh-kolonial» eingetragen, sagt Hefti. Der Verein will auf Zürichs Kolonialgeschichte aufmerksam machen und bietet zu verschiedenen Orten in der Stadt Informationen und Audioguides an. Unter den 19 verzeichneten Stationen befinden sich nebst den städtischen Liegenschaften «Zum Mohrenkopf» und «Zum Mohrentanz» die Statue von Alfred Escher am Hauptbahnhof, die Villa Patumbah im Seefeld oder das Schulhaus Hirschengraben.
Der Entscheid fällt in Lausanne
Auf dem Boden der SBB befindet sich in Zürich noch ein weiteres Kunstwerk, das im Laufe dieses Jahres kontextualisiert werden soll: das Mosaik «Portal der Ankunft» von Carl Roesch aus dem Jahr 1929. Es ziert einen der Eingänge der Sihlpost und beinhaltet Darstellungen von europäisch und afrikanisch aussehenden Menschen.
Die weissen Figuren sind voll bekleidet und von der Seite dargestellt. Sie sind damit beschäftigt, eine Kiste mit Waren auszupacken. Die beiden dunkelhäutigen Personen sind nur mit einem Lendenschurz bekleidet. Eine trägt grosse runde Ohrringe. Auch sie haben eine Kiste zwischen sich. Diese ist allerdings kleiner, und es scheint, als wären sie erstaunt über den Inhalt. Wie bei den Wandbildern vom Bahnhof Wiedikon ist die Perspektive frontal, die Haltung der beiden Figuren passiv.
Hefti sagt, weitere potenziell problematische Werke im SBB-Besitz seien ihr nicht bekannt.
Die beiden umstrittenen Liegenschaften in der Zürcher Altstadt mit den Inschriften «Zum Mohrenkopf» und «Zum Mohrentanz» sind ebenfalls mit Tafeln versehen worden. Dem Stadtrat geht das aber nicht weit genug, für ihn ist klar, die Inschriften sind rassistisch und gehören überdeckt.
Das Baurekursgericht hat der Beschwerde des städtischen und des kantonalen Heimatschutzes recht gegeben. Das Verwaltungsgericht kam indes zum Schluss, dass die Stadt die Schriftzüge wie geplant überdecken könne. Dies, weil die Inschriften an sich erhalten blieben, aber nicht mehr sichtbar wären.
Entschieden wird der Fall nun am Bundesgericht in Lausanne.