In einer «PRO Global»-Serie will die NZZ aufzeigen, welche Folgen eine zweite US-Präsidentschaft von Donald Trump haben könnte. Diese Woche: Was kann man aus der ersten Amtszeit Trumps ableiten?
Nicht nur Demokraten, auch konservative Kritiker warnen vor einer zweiten Amtszeit für Donald Trump. «Eine Trump-Diktatur ist zunehmend unvermeidbar», schrieb etwa Robert Kagan, einer der bekanntesten neokonservativen Denker, im November in der «Washington Post». Trumps ehemaliger Verteidigungsminister Mark Esper fürchtet derweil einen Kollaps der Nato, sollte der ehemalige Präsident ins Weisse Haus zurückkehren. Auch Truppenabzüge aus Südkorea oder Japan hält Esper für möglich. Dadurch würde sich die bestehende Weltordnung langsam auflösen, sagte er dem Fernsehsender MSNBC im Dezember.
«Falls Donald Trump gewinnt»
Dieser Artikel bildet den Auftakt zur «PRO Global»-Serie «Falls Donald Trump gewinnt». Die Serie diskutiert, inwiefern eine zweite Amtszeit von Donald Trump zu geopolitischen und weltwirtschaftlichen Veränderungen führen könnte – oder eben nicht.
Doch die amerikanischen Wähler scheinen solche Warnungen wenig zu kümmern. So umstritten Trumps erste Amtszeit gewesen sein mag, die Menschen können sie nun mit jener von Joe Biden vergleichen: Die Lebenskosten unter Trump waren rund 20 Prozent tiefer, die Zahl der illegalen Einwanderer an der Südgrenze zu Mexiko betrug nur einen Bruchteil, und die USA wurden nicht in neue Kriege verwickelt.
Es geht um mehr als gute oder schlechte Politik
Die Wirtschaft und die Immigration sind gemäss Umfragen momentan die wichtigsten Themen für die Wähler. In beiden Fragen trauen sie Trump im Vergleich mit Biden viel eher zu, die Probleme zu lösen. Gleichzeitig verharmlost oder verdrängt eine grosse Mehrheit der republikanischen Wähler den von Trump angestifteten Sturm auf das Capitol am 6. Januar 2021. Sie glauben fest daran, dass Bidens Wahlsieg vor vier Jahren gefälscht war und die Strafverfahren gegen Trump nun politisch motiviert sind. In ihren Augen ist deshalb Biden die grösste Gefahr für die Demokratie.
Dies erklärt, warum Trump die Präsidentschaftswahl womöglich gewinnen würde, fände sie heute statt. Insbesondere in sechs der sieben wichtigen Swing States – Pennsylvania, Michigan, Arizona, Georgia, Nevada und North Carolina – liegt der 77-Jährige mit bis zu 6 Prozentpunkten in Führung.
Aber wenn Trumps erste Amtszeit im Rückblick für viele Amerikaner gar nicht so schlimm erscheint, warum sollten wir uns Sorgen um eine zweite Amtszeit machen? Das ist die Antwort von Liz Cheney, ehemalige republikanische Kongressabgeordnete und Tochter des früheren Vizepräsidenten Dick Cheney: «Ich weiss, unser Land kann eine schlechte Politik überleben. Aber wir können keinen Präsidenten überleben, der bereit ist, die Verfassung zu zerstören.»
Hinter Bidens Politik lassen sich viele Fragezeichen setzen. In vielerlei Hinsicht führte er Trumps protektionistische Wirtschafts- und Handelspolitik weiter – besonders gegenüber China. Seine grossen Investitions- und Subventionsprogramme bevorzugen Unternehmen, die in den USA produzieren. Zudem befeuerte sein staatliches Corona-Hilfspaket die Inflation. Gleichzeitig löste Bidens Versprechen einer humaneren Einwanderungspolitik an der Südgrenze zu Mexiko eine rekordhohe Migrationswelle aus.
Keine Zweifel gibt es jedoch darüber, wie Biden zu den demokratischen und rechtsstaatlichen Grundwerten der USA steht. Offensichtlich ist ebenfalls, wie sehr ihm das westliche Verteidigungsbündnis Nato und die weltweiten Allianzen mit anderen Demokratien am Herzen liegen. Bei Trump kann man sich darin nicht sicher sein. Bei einer zweiten Amtszeit wird diese Unsicherheit aus drei Gründen noch grösser sein: Die Republikaner haben sich ihm unterworfen, der Trumpismus ist organisierter, und für Trump selbst steht bei der Wahl die persönliche Freiheit auf dem Spiel.
Die Unterwerfung der Republikaner
Im Frühjahr 2016 twitterte der einflussreiche republikanische Senator Lindsey Graham: «Wenn wir Trump (als Präsidentschaftskandidaten) nominieren, werden wir zerstört . . . und wir werden es verdienen.» Nun sagte er kürzlich bei einem gemeinsamen Wahlkampfauftritt mit Trump: «Das ist der qualifizierteste Mann für das Amt des amerikanischen Präsidenten.»
Ähnlich wie Graham haben sich viele ehemalige Trump-Kritiker in der Republikanischen Partei zu opportunistischen Unterstützern gewandelt. Wer sich treu geblieben ist, musste seine politische Karriere opfern. Das bekannteste Beispiel dafür ist Liz Cheney. Sie stimmte 2021 für das Impeachment gegen Trump, danach beteiligte sie sich an der parlamentarischen Untersuchung zum Sturm auf das Capitol. Doch in ihrem konservativen Heimatstaat Wyoming galt die Kongressabgeordnete fortan als Verräterin. Bei den Zwischenwahlen im Herbst 2022 wurde sie in den republikanischen Vorwahlen deutlich abgewählt.
Wer in den USA früher eine Präsidentschaftswahl verlor, büsste gewöhnlich auch die Macht in der eigenen Partei ein. Doch Trumps Kontrolle über die Republikaner wuchs trotz seiner Niederlage 2020. Der Grund dafür ist einfach: Ihm gelang das Kunststück, die grosse Mehrheit der Konservativen davon zu überzeugen, dass er die Wahl gar nicht verloren hat. Wer an dieser Lüge zweifelt, hat kaum noch eine politische Zukunft bei den Republikanern.
Der Trumpismus ist organisierter
Vor acht Jahren zettelte Trump eine konservative Revolution an. Die Republikaner waren zuvor die Partei des Freihandels und der Globalisierungsgewinner. Sie verstanden die USA als Führungsmacht der westlichen Wertegemeinschaft und als weltweites Bollwerk der liberalen Demokratie. Präsident George W. Bush setzte sich in der Einwanderungspolitik noch für eine Willkommenskultur ein. Und der republikanische Präsidentschaftskandidat Mitt Romney sah 2012 in Russland den grössten Feind seines Landes. Trump hingegen gab sich als Beschützer der Globalisierungsverlierer, verfolgte eine protektionistische Wirtschaftspolitik und stellte mit der Nato das westliche Verteidigungsbündnis infrage.
Um seine Politik jedoch mit letzter Konsequenz umzusetzen, fehlten Trump in seiner ersten Amtszeit die Kader. Also musste er sich auf bewährtes Regierungspersonal des Establishments verlassen. Diese sogenannten «Erwachsenen im Raum» sollen Trumps radikalste Ideen bekämpft und seine Impulse gezügelt haben. Ein leitender Regierungsbeamter verfasste 2018 gar einen anonymen Gastkommentar in der «New York Times» mit dem Titel «Ich bin Teil des Widerstands innerhalb der Trump-Administration». Ihr Ziel sei es, Teile der Agenda des Präsidenten zu hintertreiben.
In einer zweiten Amtszeit wird Trump auf solche Widerstände besser vorbereitet sein. Zum einen weiss er nun bereits besser, auf wen er sich in Washington verlassen kann. Zum anderen arbeitet eine ganze Reihe von konservativen Denkfabriken – angeführt durch die Heritage Foundation – an einem Plan, um den «Trumpismus zu institutionalisieren». Bei diesem «Projekt 2025» arbeiten viele ehemalige Mitarbeiter der ersten Trump-Administration mit. Dabei geht es nicht nur um eine Agenda, die ein republikanischer Präsident vom ersten Tag im Amt an umsetzen könnte. Es wird auch bereits konservatives Personal rekrutiert, welches die Bürokratie in der Hauptstadt im Zuge einer grossen Entlassungswelle unter seine Kontrolle bringen soll.
Im Konflikt mit dem Rechtsstaat
Im Gegensatz zu seiner ersten Amtszeit ist Donald Trump in vier Strafverfahren angeklagt. Nach der Präsidentschaftswahl 2020 versuchte er seine Niederlage zu annullieren und einen friedlichen Machtwechsel zu verhindern. Bei seinem Auszug aus dem Weissen Haus nahm er eine grosse Zahl von Geheimdokumenten mit und versteckte sie. Bei einer Verurteilung könnten Trump jahrelange Gefängnisstrafen drohen. Er hat deshalb nun auch ein privates Interesse, die Wahl 2024 zu gewinnen, um die Verfahren gegen ihn einzustellen und möglichst lange an der Macht zu bleiben.
Seit dem Watergate-Skandal unter Richard Nixon in den siebziger Jahren geniesst das Justizministerium bei Ermittlungen eine weitreichende Unabhängigkeit. Trump und seine Verbündeten denken indes laut darüber nach, diese Gewaltentrennung aufzuheben. In ihren Augen ist die Behörde von «radikalen linken Ideologen» unterwandert und muss dringend ausgemistet werden. Trump selbst hat im vergangenen Juni zudem erklärt, nach einer Rückkehr ins Weisse Haus einen «echten Sonderermittler» einsetzen zu wollen, der gegen die «kriminelle Familie Biden» ermittelt.
Gemäss dem 22. Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung darf Trump höchstens zwei Mal zum Präsidenten gewählt werden. Trotzdem veröffentlichte der «American Conservative» kürzlich einen Kommentar, der sich für eine dritte Amtszeit für Trump nach 2028 einsetzte. Der 22. Zusatzartikel sei eine unnötige Beschneidung der Demokratie, heisst es darin. Der Autor vertritt eine bisher wenig verbreitete und fragwürdige Meinung. Trotzdem stellt sich eine Grundsatzfrage: Wer zieht Trump zur Verantwortung, sollte er in seiner zweiten Amtszeit das Gesetz oder die Verfassung brechen? Gewöhnlich ist dafür das Mittel des Impeachments vorgesehen. Aber selbst nach dem von Trump geschürten Sturm auf das Capitol 2021 verhinderten die Republikaner eine Verurteilung in dem Amtsenthebungsprozess. Gibt es in ihren Augen überhaupt noch eine rote Linie für Trump?
Die Ukraine als Lackmustest
Das Gute ist jedoch: Die schlimmsten Erwartungen treffen selten ein. Vor allem bei einer solch unberechenbaren Figur wie Trump. Die amerikanischen Institutionen werden ihm immer noch Widerstand leisten, auch wenn er seine Macht konsolidiert hat. Aber der Westen sollte sich besser auf einen Worst Case vorbereiten.
Ein erster Lackmustest für Trumps zweite Amtszeit dürfte die Unterstützung für Kiew sein. Die monatelange Blockade der Ukraine-Hilfe im Kongress ist beispielhaft für Trumps grossen Einfluss, aber womöglich auch für seine Flexibilität. Er hat sich stets skeptisch gegenüber der Unterstützung für Kiew gezeigt und den Krieg als Sache der Europäer bezeichnet. In seinen Augen müsste die Ukraine für einen Frieden einen Teil ihres Staatsgebietes an Russland abtreten. Entsprechend blockierte vor allem der rechte Parteiflügel der Republikaner im Repräsentantenhaus die neuen Hilfsgelder für Kiew im Umfang von rund 60 Milliarden Dollar.
Nun aber will der republikanische Speaker Mike Johnson das Hilfspaket diese Woche doch noch zur Abstimmung bringen. Und Trump hat sich nicht kategorisch dagegen ausgesprochen, sollten die Milliarden, die direkt nach Kiew fliessen, formal als Kredit vergeben werden. Kommt die Vorlage durch das Parlament, bestünde die Hoffnung, dass Trump auch in seiner zweiten Amtszeit die Weltordnung nicht ganz auf den Kopf stellt.
Wenn nicht, könnte vielleicht sein ehemaliger Verteidigungsminister Esper doch nicht ganz falsch liegen. Er ist aufgrund seiner Erfahrungen mit Trump überzeugt davon, dass dieser als Präsident die Unterstützung für die Ukraine beenden würde. «Sein nächster Schritt wäre es, uns aus der Nato zurückzuziehen. Sicherlich, indem er Truppen aus Nato-Ländern abzieht. Und das könnte zum Kollaps der Allianz führen.»