Entlassungen, Personalabgänge, Leserschwund und ein politischer Schlingerkurs haben das Ansehen des Blattes beschädigt. Eine Strategie, die den freiheitlichen Richtungswechsel unter Jeff Bezos einleitet, ist nicht zu erkennen.
«Democracy Dies in Darkness», die Demokratie stirbt im Dunkeln: Das ist seit 2017 das Motto der «Washington Post». Doch derzeit wird in den amerikanischen Medien der eigene Tod der Zeitung diskutiert, die 1877 gegründet wurde und nach der «New York Times» das zweitwichtigste linksliberale Leitmedium der USA ist.
Angesichts von Verlusten in der Höhe von 72 Millionen und 100 Millionen Dollar in den letzten zwei Jahren sowie rund 375 000 gekündigten Abonnementen muss man zumindest von einer Krise sprechen. Zudem haben laut dem Magazin «Politico» über hundert Redaktoren, Journalisten und Fact-Checker gekündigt, unter ihnen angesehene Namen.
Dank vergangenen Enthüllungen wie den «Pentagon Papers», die die wahre Haltung der US-Regierung im Vietnamkrieg enthüllten, oder dem Watergate-Skandal, aufgrund dessen Präsident Nixon 1974 zurücktrat, gilt die Zeitung als Inbegriff von kritischem, investigativem Journalismus. Die mediale Erfolgsgeschichte dauerte bis vor kurzem an.
Bis Anfang 2021 hatte sich der Newsroom der «Post» in wenigen Jahren auf tausend Redaktionsmitglieder verdoppelt, und man freute sich über 3 Millionen Digital-Abos. Der Einfluss des neuen Eigentümers Jeff Bezos, Tech-Multimilliardär und Amazon-Gründer, der das kriselnde Blatt 2013 gekauft und ohne die befürchtete redaktionelle Einflussnahme modernisiert und ausgebaut hatte, machte sich bemerkbar.
Gegnerschaft zu Trump zahlte sich anfangs aus
Dabei profitierte auch die «Washington Post» von der Wahl Donald Trumps 2016. Mit dem Segen des anfänglich Trump-kritischen Bezos ging die Zeitung in den Widerstand. Mit dem warnenden Slogan «Democracy Dies in Darkness» sowie einer klaren Anti-Trump-Linie wurde sie zum Hofblatt der Demokratischen Partei und einer überwiegend Letzterer zugewandten Leserschaft. Als Trump vier Jahre später von Joe Biden abgelöst wurde, stand die «Washington Post» auf dem Höhepunkt.
Doch mit dem Abgang von Trump verschwanden auch die Themen, die linksliberale Medien wie die «Post» vier lange Jahre erfolgreich bewirtschaftet hatten. Mit Joe Biden im Weissen Haus und knapper Mehrheit der Demokraten im Kongress sank das Interesse der Leserschaft am woken Widerstand gegen Trump und seine Maga-Bewegung. Die «Washington Post» aber verfolgte ihren identitätspolitischen und progressiven Kurs unbeirrt – obwohl sich abzeichnete, dass der Bogen überspannt sein könnte und die Leser- und Abo-Zahlen einbrachen.
Der eigentliche Beginn der heutigen Krise datiert auf 2023: Wegen der finanziellen Schieflage löste der Herausgeber Fred Ryan erst das Sonntagsmagazin der «Washington Post» auf, dann trat er infolge von rund zweihundert unternehmensweiten Entlassungen selbst ab. Bei seiner Nachfolgeregelung bewies Jeff Bezos kein diplomatisches Geschick: Der Engländer Will Lewis, ehemaliger Herausgeber des «Wall Street Journal» und Vertrauter von Rupert Murdoch, war in einige journalistische Skandale verwickelt. Die amerikanische Belegschaft protestierte.
Dass Lewis Vertraute aus dem «Wall Street Journal» und «Dow Jones» in die Leitung der «Washington Post» einzubringen versuchte, führte zu Intrigen und Machtkämpfen in der Chefetage. Einige leitende Redaktoren reichten die Kündigung ein.
Dann begann Jeff Bezos Trump zu hofieren
Im Wahlkampfjahr zeichnete sich neben der Neubesetzung der Redaktionsleitung auch eine politische Kursänderung des Blattes ab: Jeff Bezos näherte sich dem republikanischen Lager und einem möglichen 47. Präsidenten Donald Trump an. Bezos war mutmasslich verstimmt, weil Amazon unter der Regierung Biden mehrfach ins Visier der Federal Trade Commission geraten war, einer Behörde, die sich für den Schutz der Verbraucher und die Förderung des Wettbewerbs einsetzt. Für Demokraten wie Bernie Sanders oder Elizabeth Warren verkörperte er den Kapitalismus, den es zu bekämpfen gilt.
Vor dem Wahltag letzten Dezember entschied Bezos, die «Washington Post» werde keinen der Präsidentschaftskandidaten unterstützen. Dass sie sich nicht hinter Kamala Harris stellte, war für die linke Leserschaft der «Post» ein Affront, den sie mit 300 000 Abo-Kündigungen quittierte. Aber damit nicht genug: Dass Bezos am Tag von Trumps Amtseinsetzung diesem 1 Million Dollar für eine Maga-Wahlsiegparty spendete, war für viele der Beweis, dass er sich diesem unterwarf. Hingegen wurde eine Karikatur der Star-Zeichnerin Ann Telnaes gestoppt, die Bezos’ Hofieren von Trump thematisierte. Dutzende von gestandenen Journalisten und Kolumnisten verliessen die Redaktion noch im Januar.
Für viele Mitarbeiter zu viel des Guten war schliesslich Bezos’ Neuausrichtung der Meinungsseiten der «Washington Post» Ende Februar. Die «Opinion Pages» sollten fortan ausschliesslich Stücke zu «persönlichen Freiheiten» und «freien Märkten» veröffentlichen. Nach dieser für einen Meinungsteil vertretbaren Weisung des Besitzers nahm neben einem weiteren Dutzend Mitarbeiter auch der leitende Redaktor der Meinungsseite, David Shipley, den Hut.
Erneuerung durch Talente aus konservativen Think-Tanks
Auch publizistisch befindet sich die Zeitung auf einem Schlingerkurs. Eine Strategie, die den freiheitlichen Richtungswechsel der «Post» einleitet, ist nicht zu erkennen, so dass der Verlust von Demokraten-freundlichem Stammpublikum und schreibender Belegschaft durch den Gewinn neuer, unabhängiger, moderat konservativer Leser kompensiert werden könnte.
Technologische Neuerungen haben sich nicht ausgezahlt, ein hoffnungsvoll angekündeter Launch einer Video- und Multimedia-Redaktion, eines sogenannten «Third Newsroom», wurde storniert und unlängst wieder reanimiert. Das hatte den Verlust mehrerer Video-Journalisten zur Folge.
Ein weiteres Projekt in Form einer offenen digitalen Plattform für externe Autoren und Wiederabdrucke, die das Angebot von Inhalten verbreitern und Lesern in ganz Amerika schmackhaft machen soll, sorgt für Verwirrung bei der Stammleserschaft und verwässert die Marke. Das Blatt bleibt ein Medium für politische News, das aus dem Standortvorteil im Zentrum der Weltmacht USA Kapital schlägt.
Unklare Strategie, verfehlte Personalpolitik und politische Kursänderung haben die «Washington Post» in eine schwierige Situation gebracht. Ob sie sich daraus mit dem verbliebenen Newsroom, neuen journalistischen Kräften oder einer weiteren Finanzspritze Bezos’ befreien kann, ist offen.
Das muss noch nicht das Ende der fast 150 Jahre alten Institution bedeuten. Eine Blutauffrischung könnte mithilfe von neuen journalistischen Talenten erfolgen, die sich vermutlich aus klassisch liberalen Medien-Pools und konservativeren Think-Tanks rekrutieren. Aber auch das hiesse: Die Ära des zweitwichtigsten linksliberalen Leitmediums der USA ist vorbei. Die «Washington Post» von einst gibt es nicht mehr.