Die Verteidigungsministerin tritt noch schneller zurück als erwartet. Nun steht der Aussenminister im Fokus. Die parteipolitische Zusammensetzung des Bundesrats ist nicht geklärt.
Es grenzt an Überrumpelungstaktik. Dass sie demnächst geht, war zu erwarten, dass sie aber derart rasch geht, kommt überraschend. Viola Amherd hat am Mittwoch – an der ersten Bundesratssitzung des Jahres, wenige Tage nach Ablauf ihrer Amtszeit als Bundespräsidentin – ihren Rücktritt angekündigt. Sie tat es radikal unprätentiös, ohne das grosse Scheinwerferlicht zu suchen: ausserhalb einer Session des Parlaments, im Rahmen einer ordentlichen Medienkonferenz zu einem Sachgeschäft.
Die Mitte-Bundesrätin hat den Abgang nicht nur unerwartet früh angekündigt, sie will ihn auch ungewöhnlich schnell durchziehen. Sie lässt den Parteien – vor allem der eigenen – wenig Zeit für die Vorbereitung der Ersatzwahl: Die 62-Jährige wird das Amt bereits per Ende März niederlegen. Somit muss das Parlament die Nachfolge in der Frühjahrssession regeln, die am 3. März beginnt.
Die Spitze der Mitte-Partei, die dem Vernehmen nach auch erst am Mittwochvormittag von der Absicht ihrer einzigen verbliebenen Bundesrätin erfahren haben soll, will am kommenden Montag über das weitere Vorgehen entscheiden.
Grüne treten nicht an
Der Anspruch der Mitte auf den frei werdenden Sitz ist unbestritten. Auch die Grünen, die bei einer rein rechnerischen Betrachtung am deutlichsten untervertreten sind, haben ihn am Mittwoch umgehend anerkannt. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die Regeln für die künftige parteipolitische Zusammensetzung der siebenköpfigen Landesregierung weiterhin unklar sind.
Die heutigen Parteistärken lassen sich mit der alten Zauberformel kaum mehr sinnvoll abbilden. Sie sieht je zwei Sitze für die drei grössten Parteien vor und einen Sitz für die vierte. Mathematisch wasserdicht ist zurzeit einzig der Anspruch der SVP auf zwei Sitze. Hingegen sind die FDP und, in geringerem Masse, die SP rechnerisch übervertreten. Beide Parteien verfügen zurzeit über zwei Sitze. Die Mitte hingegen stellt lediglich eine Bundesrätin, obwohl sie bei den Nationalratswahlen 2023 beinahe zur FDP aufgeschlossen hat (14,1 zu 14,3 Prozent).
Spannend wird es, sobald einer der beiden FDP-Sitze frei wird. In diesem Fall würden neben der Mitte wohl auch die Grünen ihren Anspruch anmelden. Dass Karin Keller-Sutter, eine der beiden Freisinnigen, das Amt demnächst niederlegt, ist unrealistisch, nicht zuletzt, weil sie dieses Jahr als Bundespräsidentin fungiert.
Hingegen wird teilweise spekuliert, dass ihr Parteikollege, Aussenminister Ignazio Cassis, kurz vor dem Abgang stehen könnte. Allerdings mehrten sich in letzter Zeit die Anzeichen, dass er mindestens bis zu den nächsten Wahlen weitermacht – unter anderem, weil die Schweiz im kommenden Jahr die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) präsidieren wird.
Für die Partei hat der eilige Rücktritt auch Vorteile
Parteitaktisch wäre für die FDP eine Doppelvakanz angenehm gewesen: Bei einem gemeinsamen Rücktritt von Cassis und Amherd könnte der Freisinn den zweiten Sitz wohl leichter verteidigen. Der Mitte dürfte es kaum gelingen, gleichzeitig ihren bestehenden Sitz zu halten und einen zweiten zu erobern. Aber dazu wird es nach Amherds Turbo-Abgang kaum mehr kommen. Falls es ihre Absicht war, eine zweifache Ersatzwahl zu verhindern, ist ihr dies gelungen.
Aus Sicht der Mitte-Partei hat der sonderbar eilige Abschied denn auch Vor- und Nachteile. Zum einen fehlt nun die Zeit, ein medienwirksames Schaulaufen der Kandidatinnen und Kandidaten zu zelebrieren, wie dies vor allem die SP vorexerziert hat – mit grossen Interviews und Auftritten im ganzen Land. Zum anderen kann die Partei relativ sicher sein, dass die FDP keine Doppelvakanz herbeiführen kann, um den zweiten Sitz abzusichern.
All dies lässt vermuten, dass wegweisende Beschlüsse über die Zusammensetzung des Bundesrats frühestens Ende 2027, nach den nächsten nationalen Wahlen, fallen werden – dass mithin der Ausgang des Rennens zwischen FDP und Mitte bei den Parlamentswahlen darüber entscheiden wird, welche der beiden Parteien fortan zwei Bundesräte stellen kann und welche einen.
Pfister und wer?
Auch wenn die Mitte-Exponenten die Nachfolge von Viola Amherd unter sich ausmachen werden: Mit einem lebhaften Wahlkampf in den nächsten Wochen ist zu rechnen. An ehrgeizigen Kandidaten herrscht kein Mangel. Auffällig ist vor allem eines: Just neun Tage vor Viola Amherd hat Gerhard Pfister seinen Rücktritt als Parteipräsident bekanntgegeben. Somit kann er nun gänzlich unbeschwert als Bundesrat kandidieren. Die zeitliche Koinzidenz ist derart augenfällig, dass es nicht ganz einfach ist, an einen Zufall zu glauben. Hatte der Parteichef Insiderinformationen? Laut Amherd nicht: Sie habe ihn ebenfalls erst am Mittwochmorgen in Kenntnis gesetzt.
Für Pfister spricht unter anderem die Herkunft: Als Zuger vertritt er die Innerschweiz, die seit über zwanzig Jahren keinen Bundesrat mehr stellte. Allerdings ist Pfister wie Amherd bereits 62 Jahre alt. Dass er sich das hohe Amt zutraut, steht aber ausser Frage – dass es ihn reizt, erst recht.
Eine prominente vermeintliche Konkurrentin hat sich bereits aus dem Rennen genommen: Ständerätin Isabelle Chassot, die als Präsidentin der PUK zur CS-Krise viel Lob und Aufmerksamkeit erhalten hat, will nicht kandidieren.
Als relativ sicher gilt hingegen, dass Nationalrat Martin Candinas Interesse hat. Ebenfalls gerechnet wird mit einer Kandidatur von Ständerat Benedikt Würth, der im Gegensatz zu Candinas und Pfister über Regierungserfahrung verfügt. Mit weiteren Aspiranten aus dem Bundeshaus und den Kantonsregierungen ist zu rechnen.
Zweierlei scheint klar: Die oder der Neue muss erstens aus der Deutschschweiz kommen und zweitens das Verteidigungsdepartement übernehmen. Er oder sie wird von Beginn weg gefordert sein, eine Lösung im zähen Streit um das Militärbudget zu finden, die Unruhe in der Armee zu beenden und den Wiederaufbau der Landesverteidigung voranzubringen.