Jaap van Zweden, der Chefdirigent der New Yorker Philharmoniker, und der Pianist Rudolf Buchbinder stürzen das Publikum in ein künstlerisches Wechselbad. So extrem erlebt man dies selten.
Unter den massgeblichen Komponisten des 20. Jahrhunderts gehörte Béla Bartók zu den entschiedensten Gegnern des Faschismus. Er machte kein Hehl aus seiner Ablehnung, brandmarkte das Italien Mussolinis als «Stiefelland» und nannte das Deutschland unter Hitler ein «Räuber- und Mördersystem». Bezeichnend erscheint sein Protest gegen die Düsseldorfer Ausstellung «Entartete Musik»: Damals, 1938, beschwerte sich Bartók brieflich beim deutschen Aussenamt, und zwar nicht etwa über die Propaganda-Schau an sich, sondern über das Fehlen seiner Werke «bei dieser grossen Parade». Der Preis, den er für seine Haltung zu zahlen hatte, war freilich hoch: 1940 ging er über die Schweiz ins Exil, geriet in den USA aber in finanzielle und bald auch gesundheitliche Schwierigkeiten.
Wie zuvor Paul Sacher während Bartóks Zeit in der Schweiz half ihm wiederum ein Mäzen aus der ärgsten Not: Für den Dirigenten Serge Koussevitzky und das Boston Symphony Orchestra schrieb er 1943 eines seiner wichtigsten Werke, das «Konzert für Orchester». Das Stück ist den Umständen entsprechend stark autobiografisch konnotiert und entwirft in seinem Finalsatz eine – damals noch prophetische – Vision vom Triumph der Freiheit über die Gewaltherrschaft. Gleichzeitig ist es eines der brillantesten Orchesterwerke überhaupt. In dieser Woche stellte sich das Tonhalle-Orchester Zürich mit dem Dirigenten Jaap van Zweden dieser Herausforderung.
Auf Präzision getrimmt
Der Niederländer ist seit 2018 und noch bis zum Sommer Chefdirigent der New Yorker Philharmoniker. Wer will, kann dessen Vertrautheit mit der amerikanischen Orchesterkultur auch hören: Van Zwedens Interpretation von Bartóks «Konzert» ist durch und durch auf Präzision getrimmt, die rhythmische Genauigkeit und die Akkuratesse in der Koordination der einzelnen Instrumentengruppen sind atemberaubend. Auch jede Gruppe für sich nutzt die konzertanten Spielräume, die ihnen Bartók gezielt wie bei einem sportlichen Zirkeltraining der Reihe nach einräumt, für virtuose Kabinettstücke. Zugleich wird hier anschaulich, auf welch beeindruckendem technischem Niveau das Orchester inzwischen spielt – wenn es denn will.
Im ersten Teil des sehr gut besuchten Konzerts wollte es offenbar noch nicht. Oder die hörbar intensive Probenarbeit an Bartók war zulasten der anderen Werke gegangen. Wagners «Meistersinger»-Vorspiel tönte jedenfalls so intransparent, kraftmeierisch und behäbig, als habe keiner der Beteiligten je davon gehört, dass «Die Meistersinger von Nürnberg» eine hintersinnige Musik-Komödie sind. Keine Spur von Ironie, keine Spur von Wagners doppeldeutigem Spiel mit echtem und falschem Kunst-Pathos – stattdessen Bombast, laut und ungebrochen. Doch so unbedarft kann man diese im «Dritten Reich» schwer missbrauchte Musik einfach nicht mehr aufführen – schon gar nicht in ein und demselben Programm mit Musik von Bartók aus dem Exil.
Zu direkt, zu routiniert
Harmloser erschien danach Mozarts c-Moll-Klavierkonzert KV 491 mit dem Solisten Rudolf Buchbinder. Allerdings wirkte auch hier vieles zu direkt, zu laut, zu routiniert. Das Geheimnis des für Mozarts Verhältnisse aussergewöhnlich finsteren, ja dämonischen Stücks entfaltet sich selten, der überirdische Mittelsatz bleibt auf der Erde. Und wären nicht die engagiert hervortretenden Holzbläsersolisten, man könnte den Eindruck gewinnen, Solist und Orchester sprächen zwar in derselben Sprache, aber konsequent aneinander vorbei.
Vielleicht hat einfach die Chemie nicht gestimmt? Wie viel mehr Zauber der Publikumsliebling Buchbinder solistisch verbreiten kann, zeigte er bei der hinreissend gelungenen Zugabe, Schuberts As-Dur-Impromptu aus Opus 90. Was für ein Wechselbad!