Der ehemalige Spitzendiplomat Martin Dahinden war unter Barack Obama und Donald Trump Botschafter in Washington. Im Interview erklärt er, wie Trump in Verhandlungen tickt, wie sein Comeback möglich war – und was es für die Schweiz bedeutet.
Martin Dahinden, «four more years» für Donald Trump, den neuen, alten Präsidenten, den Sie mehrfach getroffen haben. Was ging Ihnen durch den Kopf?
Ich war überrascht, dass die Wahl so rasch feststand – und erleichtert, dass nun nicht noch tagelang Unsicherheit herrscht und juristische Verfahren drohen. Als Diplomat habe ich nie meine persönlichen Präferenzen geäussert, das behalte ich bei.
Bei Trumps erster Amtseinsetzung im Januar 2017 sassen Sie auf der Treppe vor dem Capitol mit Ihren Botschafterkollegen . . .
. . . schön geordnet nach Anzahl Dienstjahren in Washington! Das hatte ich auch wieder vor Augen. Und auch die damalige Wahl, die ich mit einigen Botschaftern europäischer Staaten am Fernseher verfolgt hatte. Sie alle waren felsenfest davon überzeugt gewesen, dass Hillary Clinton gewählt würde – und hatten sich sogar öffentlich so geäussert.
Sie haben mit Trump gerechnet – damals wie heute?
Es gab schon vor über zwanzig Jahren Analysen von Politikwissenschaftern wie Jack Goldstone, die ein Phänomen wie Trump voraussagten: wegen der Auswirkungen der Globalisierung, wegen der Vernachlässigung gewisser Regionen und Industrien, wegen der wachsenden Skepsis gegenüber dem Establishment. Aber man muss sich bewusst sein, dass letztlich immer relativ wenige Stimmen entscheidend sind. Die meisten Amerikaner wählen ein Leben lang Demokraten oder Republikaner, unabhängig von den Präsidentschaftskandidaten. Diesmal waren simple Fragen ausschlaggebend, wie ich diesen Herbst in den USA feststellte: Geht das Land in die richtige Richtung? Wie steht es um die Wirtschaft? Ist die Migration unter Kontrolle? Und nicht zuletzt: Wie stark sollen sich die USA in Konflikte auf der Welt einmischen?
Trump inszenierte sich als Friedensfürst.
«America first» war ursprünglich eine Bewegung in den USA in den 1940er Jahren, die militärische Stärke und Isolationismus propagierte. Trump knüpft dort an, bewusst oder unbewusst. Und konnte damit punkten. Die Auslandsengagements sind in der breiten Bevölkerung sehr unpopulär. Viele Amerikaner finden: Wieso schicken wir Truppen und Waffen in Konfliktgebiete? Das sind nicht unsere Kriege!
Selbst wenn es gegen den alten Erzfeind Russland geht?
Trump wird in Europa oft karikaturartig als Bösewicht gesehen, der etwas gegen die Ukraine habe und dem Autokraten Putin zudiene. Tatsache ist, dass nicht nur Republikaner kritisieren, dass der Ukraine-Krieg letztlich China gestärkt hat. Russland ist vom Reich der Mitte abhängig geworden, das hat die Geopolitik verändert – zuungunsten der USA, die in China ihren Hauptgegner sehen.
Ist der demokratisch gewählte Trump eine Gefahr für die Demokratie?
Ich habe grosses Vertrauen in die amerikanischen Institutionen. Sie haben schon vieles überstanden, seit die Verfassung 1789 in Kraft trat. Wenn man in der amerikanischen Geschichte zurückschaut, gibt es fast keine Zeiten ohne gewaltige Spannungen, von sozialen Kämpfen samt militärischen Ordnungseinsätzen bis zum Bürgerkrieg. Aber die Institutionen sind daran nicht zerbrochen, auch nicht am 6. Januar 2021 beim Sturm auf das Capitol. Ich sehe die Gefahr heute eher darin, dass Freiheiten eingeschränkt werden könnten.
Sicher ist: Die Politik wird unter Trump unberechenbarer. Wie haben Sie das damals wahrgenommen – nach über zwei Jahren unter Barack Obama?
Die kurze Antwort ist: In seinem Buch «The Art of the Deal» begründet Trump, weshalb es ein Vorteil ist, unberechenbar zu sein. Das gilt bei ihm bei aller Impulsivität auch für die Politik: Wer berechenbar ist, kann dadurch einen Nachteil haben. Die Anleihe beim Unternehmertum ist bezeichnend. Die Obama-Administration hatte einen extremen Aufwand betrieben, inhaltliche Konzepte auszuarbeiten und diese Policies umzusetzen. Unter Trump lief es völlig anders. Wie im Big Business. Man schaute, wo es Opportunitäten gab – und schlug dann gleich zu. Ich gehe davon aus, dass es in der künftigen Trump-Administration wieder so sein wird. Die Schweiz muss sich darauf einstellen.
Sie mussten plötzlich jeden Morgen Tweets von Trump studieren.
Ich wachte gewissermassen mit ihnen auf. Der Aufwand als Botschafter wurde viel grösser: Was läuft da wieder? Ich versuchte, diese Kurznachrichten zu deuten, die «out of the blue» kamen und aussahen, als hätte sie Trump selbst in sein Smartphone getippt. Er setzte damit Themen, die sogleich in den Medien hochgefahren wurden. Wir konnten nicht mehr wie unter Obama auf verlässliche Papiere der Regierung oder einen Experten in der Administration zurückgreifen.
Und wie war Trump im direkten Kontakt?
Vieles ist Politshow, er spielt eine Rolle, seine öffentlichen Auftritte sollen eine maximale Wirkung haben. Jedenfalls habe ich ihn an Treffen im Weissen Haus oder am WEF ganz anders wahrgenommen. Weder gab Trump den Bundesräten Spitznamen, noch klopfte er Sprüche. Er sass da wie ein Geschäftsmann, hatte seine «speaking notes» dabei, stellte Fragen. Das waren professionelle Gespräche über Wirtschaft und Aussenpolitik, er kannte seine Dossiers.
Was wäre ein schlauer Umgang mit ihm – «The Art of the Deal» lesen?
Das schadet sicher nicht. Wichtig scheint mir, dass Trump alles in einer bilateralen Logik sieht: Was nützt es den USA? Daher kommt auch seine grosse Skepsis gegenüber dem Multilateralismus, der für die Schweiz sehr wichtig ist. Wir müssen unsere Stärken hervorstreichen. Die Schweiz ist der sechstgrösste Investor in den USA, schafft über 300 000 Arbeitsplätze. Und dies in hochinteressanten Bereichen: Die Schweizer Firmen bauen ja keine Fast-Food-Ketten, sondern sind in der Pharma- und Biotech-Branche vertreten, die viel Steuern und hohe Löhne zahlen. Und die USA sind für die Schweiz der wichtigste Exportmarkt, noch vor Deutschland.
Also ja keine falsche Bescheidenheit?
Die Amerikaner kann man nie mit Bescheidenheit beeindrucken. Und es ist ja auch kein Bluff. Wir sind als Investor bedeutender als Frankreich oder Italien, die grössere Volkswirtschaften haben. Das wissen viele Amerikaner nicht, also muss man es betonen.
In den ersten vier Jahren mit Trump war das Verhältnis zwischen Bern und Washington so eng wie selten zuvor. Es gab ungewohnt viele Treffen auf hoher Ebene. Der amerikanische Botschafter in Bern, Edward McMullen, war ein Schweiz-Fan, und mit Ulrich Brechbuhl amtete ein Mann mit Schweizer Wurzeln als rechte Hand von Aussenminister Mike Pompeo. War das eine glückliche Fügung?
Das waren Glücksfälle. Wir haben ja keinen Einfluss auf die personellen Besetzungen. Jeder Diplomat hält danach Ausschau, ob es persönliche Bezüge gibt, die helfen können. McMullen war Trumps Wahlleiter in South Carolina und hatte als ehemaliger Young Leader der American Swiss Foundation ein ausgeprägtes Interesse an der Schweiz. Das ist nicht immer so. Oft kommt jemand, der eine Rolle in der Wahlkampagne gespielt hat und als Entgelt mit dem Botschafterposten in Bern belohnt wird. Ueli Brechbuhl hatte einst mit Mike Pompeo Militärdienst geleistet und kam dann in dessen Stab. Wenn ich ihn traf, rief das State Department jeweils meine Sekretärin an: «Sagen Sie Herrn Dahinden, dass die beiden nicht Schweizerdeutsch sprechen dürfen, wir müssen ein Protokoll schreiben!»
Donald Trump kam zweimal ans WEF, Mike Pompeo kam drei Tage in die Schweiz. Und Ueli Maurer wurde als erster Schweizer Bundespräsident ins Weisse Haus eingeladen.
Dieses bilaterale Treffen mit Trump war historisch. Man muss allerdings auch zugeben, dass die Bundespräsidenten bis weit in die 1990er Jahre kaum ins Ausland reisten. Es kamen mehrere Elemente zusammen, damit es mit dem Besuch klappte. Die Amerikaner waren interessiert wegen der wirtschaftlichen Bedeutung der Schweiz und des zur Debatte stehenden Freihandelsabkommens. Die Journalisten in Washington meinten hingegen, es gehe vor allem um Iran, wo die Schweiz ja für die Amerikaner seit 1980 das Schutzmachtmandat ausübt.
Aber die Guten Dienste in Iran und früher in Kuba sind in Washington schon ein Türöffner, oder?
Ich war der letzte Botschafter in den USA, der auch noch das Schutzmachtmandat für Kuba hatte. Solche Mandate machen den Austausch intensiver, bringen Wertschätzung. Das hilft beim Zugang, nicht beim Präsidenten, aber beim Aussenminister, dem Pentagon oder der CIA. Nur, man kann nicht sagen: Wir helfen euch mit Iran, jetzt macht ihr bitte eine Konzession beim Doppelbesteuerungsabkommen! So läuft das nicht.
Sie waren stark engagiert bei der Ausarbeitung eines Freihandelsabkommens. Doch es blieb bei exploratorischen Gesprächen. Wieso?
Die Gespräche kamen zum Erliegen, und unter der Biden-Administration war es ohnehin hoffnungslos. Jetzt muss man schauen, ob es in der Trump-Administration wieder eine Bereitschaft gibt, darüber zu verhandeln. Aber auch in der Schweizer Innenpolitik müsste Überzeugungsarbeit geleistet werden. Es gab damals Stimmen, die das bilaterale Freihandelsabkommen als Schwächung des multilateralen Handelssystems sahen. Ob das heute, nach dem Abschluss von weiteren aussereuropäischen Freihandelsabkommen etwa mit Indien, noch immer so gesehen wird, bezweifle ich.
Opposition gab es vor allem von den Bauern, die Angst vor tieferen Standards und einer Flutung des Schweizer Marktes hatten.
Die Landwirtschaft kann nicht völlig ausgeklammert werden. Das wurde uns klar gesagt: Man kann mit den USA nicht ein Freihandelsabkommen nur für den Industriegüterbereich abschliessen. Ich glaube, dass auch die Schweizer Bauern von einem solchen Abkommen profitieren würden, und schon wegen der Distanzen gäbe es keinen Konkurrenzdruck wie mit der EU. Zudem haben wir gewisse Exportkontingente im landwirtschaftlichen Bereich ständig ausgeschöpft, etwa für Käse oder Trockenfleisch. Da wäre auch für den landwirtschaftlichen Export noch einiges möglich!
Die Schweiz hadert mit ihren Beziehungen zur EU. Wäre ein Freihandelsabkommen mit den USA ein Befreiungsschlag, wie EU-Skeptiker behaupten?
Nein, das Handelsvolumen lässt sich nicht vergleichen. Über 50 Prozent unseres Wirtschaftsaustausches betreffen die EU. Das lässt sich nicht einfach substituieren.
Seit Putins Einmarsch in der Ukraine wird über Sanktionen und die Einfrierung von russischen Geldern diskutiert. Der amerikanische Botschafter in Bern, Scott Miller, hat wiederholt kritisiert, die Schweiz tue zu wenig. Bleibt der Druck auch unter Trump hoch?
Es war immer so, dass wir mit demokratischen Administrationen mehr Schwierigkeiten hatten, angefangen mit dem Washingtoner Abkommen nach dem Zweiten Weltkrieg unter Truman. Dann in den 1990er Jahren mit den nachrichtenlosen Vermögen und später, noch zu meiner Zeit in Washington, wegen des Steuer- und Bankenstreits.
Aber?
Bei den Sanktionen darf man nicht davon ausgehen, dass es bald kein Problem mehr gibt. Die Amerikaner haben ein tief verankertes Vertrauen, dass mit Sanktionen viel erreicht werden kann. Das Office of Foreign Assets Control, die mächtige Sanktionsbehörde im US-Finanzministerium, wird weiter funktionieren – auch unter Trump. Obwohl man in Washington weiss, dass wir als neutraler Staat und Nichtmitglied der EU eine besondere Rolle in Europa spielen.
Sie bilanzierten einmal: «Wir sind für die USA weder ein Land, das Probleme macht, noch sind wir ein strategischer Verbündeter.»
Das bleibt gültig. Es ist auch nicht so, dass die teilweise langjährigen Streitigkeiten einen Imageschaden verursacht hätten. Viele dieser Streitfälle interessierten schon damals ausserhalb von Washington und New York kaum jemanden. Und selbst dort bekam ich zu hören: Wir haben Probleme mit einzelnen Akteuren auf dem Finanzplatz, aber nicht mit der Schweiz! Das Bild der Schweiz ist positiv.
Aber auch sehr klischiert, viel Heidi- und Bergromantik.
Wir werden durchaus auch als höchst innovative Volkswirtschaft wahrgenommen. Aber es stimmt: Diese Stereotype sind prägend. Neben Heidi gibt es noch die «Swiss Family Robinson», die sehr populäre Geschichte einer religiös angehauchten Schweizer Auswandererfamilie, geschrieben von Johann David Wyss, die dann von Hollywood mehrmals verfilmt wurde. Amerikanerinnen und Amerikaner denken zuerst an emblematische Gegenstände wie Uhren, Käse, Berge und Schokolade. «Swiss made» ist für sie ein Wert. Und in politischen Kreisen ist auch das Bild der Sister Republics verbreitet, das man auch in der Schweiz gerne betont, wenn unsere Beziehung mit den USA beschrieben wird. Als ich Barack Obama mein Beglaubigungsschreiben überreichte, sagte er anerkennend: Wir sind die beiden ältesten Republiken der Welt!
Umgekehrt dominiert bei uns ein schräges Bild von den Amerikanern. Als Botschafter in den USA sagten Sie: «Wenn ich mir die Berichterstattung ansehe, habe ich oft das Gefühl, ich müsse in einem Simpsons-Comic leben.»
Das USA-Bild in der Schweiz ist sehr ambivalent. Es gibt die grosse Bewunderung, die fast schon selbstverständliche Übernahme von kulturellen Trends aus Amerika. Aber es gibt auch die arrogante Haltung, die Amerikaner seien oberflächlich, übergewichtig, dümmlich, kulturlos, frömmlerisch. Seit dem Vietnam-Krieg wird fälschlicherweise der Niedergang der USA prophezeit. Was mich irritiert, ist, dass neben den linken Antiamerikanismus, den es schon lange gibt, nun ein rechter Antiamerikanismus getreten ist. Ich bin gespannt, ob das mit der zweiten Amtszeit von Trump anhält.
Sie haben sich als Botschafter in Washington für die kulinarischen Vorlieben der Präsidenten interessiert. Da gab es auch Schweizer, die prägend waren: Henry Haller etwa wurde zum legendären Chefkoch im Weissen Haus, bereitete für die Präsidenten Johnson, Nixon, Ford, Carter und Reagan deren Lieblingsmenus zu. Wissen Sie, was Donald Trump auf dem Teller bevorzugt?
Man geht davon aus, dass er es einfach mag: Hamburger, Fries und Cola light. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das nicht einfach Imagepflege ist. In der Geschichte der USA essen die Präsidenten offiziell das, was der Durchschnittsamerikaner isst. Martin Van Buren, der achte Präsident der USA, geriet sogar unter massiven Druck, weil er die französische Küche liebte. Das wurde sogar zum Wahlkampfthema: Hier isst man Suppe, keine Consommé! In den USA sind die Gerichte schon lange politisch.