Seit Jahren wird über inklusive Sprache gestritten. Gut, gibt es nun eine Volksabstimmung.
Die Zürcher Linke schlägt Alarm, und sie ist zornig. Die Genderstern-Initiative, über die Ende November in der Stadt Zürich abgestimmt wird, wolle Frauen und nonbinäre Personen «sprachlich ausgrenzen und unsichtbar machen». Sie schreibe der Stadtverwaltung eine «diskriminierende Sprache» vor, weil künftig Sonderzeichen wie der Genderstern in öffentlichen Dokumenten verboten wären. Und sie sei «billiger Stimmenfang auf dem Rücken marginalisierter Menschen».
Mit anderen Worten: Wer nicht gendert, spricht nonbinären Menschen die Existenz ab.
Der Streit um inklusive Sprache tobt seit Jahren. Braucht es neue Sprachformen, um nonbinäre Menschen sichtbar zu machen? Zerstört der Genderstern die deutsche Sprache? In der gegenwärtigen Debatte geht es vor allem um eine Frage: Ist behördlich verordnetes Gendern legitim?
In Zürich hat der rot-grüne Stadtrat der Verwaltung vor zwei Jahren ein überarbeitetes Sprachreglement auferlegt. Um auch Trans- und nonbinäre Personen einzuschliessen, dürfen die Behörden und Mitarbeitende in der Verwaltung nur noch geschlechtsneutrale Formulierungen verwenden. Und noch mehr: Die Angestellten sind angehalten, «Annahmen über das Geschlecht zu hinterfragen», wie es im Leitfaden heisst.
Seither informiert die Stadt ihre «Anwohnenden» über Baustellen, sucht die Stadtpolizei «Zeug*innen» und arbeiten im Stadtspital «Ärzt*innen». Drei Seiten umfasst das Reglement über die sprachliche Gleichstellung, das für Diskussionen sorgt.
Nun kommt es zum ersten Mal überhaupt in der Schweiz zu einer Volksabstimmung über die Verwendung des Gendersterns.
Es ist erstaunlich, welcher Furor der Initiative der SVP-Kantonsrätin Susanne Brunner entgegenschlägt. Denn im Grunde ist das Anliegen harmlos. Brunner fordert, die Stadt solle in ihrer Kommunikation eine «klare, verständliche und lesbare Sprache» verwenden – und auf Sonderzeichen wie den Genderstern verzichten.
Der Stadtrat argumentiert, er wolle eine diskriminierungsfreie Kommunikation, und das mag gut gemeint sein. Das Problem ist aber: Von dieser Sprache, die alle einschliessen will, fühlen sich längst nicht alle Menschen angesprochen, auch wenn die Linke das glaubt. Die grosse Mehrheit stört sich an der Kunstsprache. Das belegen Umfragen, unter anderem in der NZZ, regelmässig. Darum ist die Abstimmung über das Sprachreglement richtig. Auch wenn es aus liberaler Sicht nicht besonders sympathisch ist, ein Gebot mit einem Verbot zu bekämpfen, wie die Initiative das macht.
Linke gendern, Rechte nicht
Fakt ist: Die Verwendung des Gendersterns ist politisch. Linke gendern, Rechte nicht. Wer nicht gendern will, gilt als ewiggestrig, ja gar als reaktionär oder feindlich gesinnt gegenüber Minderheiten. Und wehe, wer in die Sprachfalle tappt! Unter diesen Voraussetzungen taugt der Stern nicht als Mittel zur wahren Inklusion. Wer Mühe hat mit Lesen, wird ohnehin über Bezeichnungen wie «Bewohnende» und «Stadträt*innen» stolpern.
Der Verwendung des Sternchens sind zudem sowieso Grenzen gesetzt. Aus Gründen der Rechtssicherheit muss sich die Stadt in vielen Texten und Dokumenten an den Richtlinien von Bund und Kanton orientieren, die nicht gendern. In Weisungen, Verfügungen und bei Eingaben an Gerichte und Rechtsmittelinstanzen verwendet die Stadt deshalb weiterhin männliche und weibliche Formen.
Kommt hinzu, dass Sonderzeichen für eine «geschlechtergerechte» Sprache politisch vorbelastet sind und darum kaum als behördliches Inklusionsinstrument taugen. In den sechziger Jahren verwendeten Feministinnen den Schrägstrich, um Frauen in der Sprache sichtbar zu machen. Doch schon damals kritisierten Frauen, mit dem Sonderzeichen seien sie lediglich als Anhang gemeint.
Das Sternchen selbst tauchte in den neunziger Jahren als Symbol für die Vielfalt von Geschlechteridentität auf, die Verwendung beschränkte sich aber vor allem auf die LGBT-Community.
In einem breiteren Sprachgebrauch kam das Sternchen vor knapp fünfzehn Jahren an. 2009 hat das Zentrum für Translationswissenschaft in Wien das Zeichen in einem «Leitfaden zum geschlechtergerechten Sprachgebrauch» erwähnt. Ab diesem Zeitpunkt fand es auch in der akademischen Welt eine grössere Verwendung.
Potenzial für Missverständnisse hat der Stern aber bis heute. Ausgerechnet die progressiven SP-Frauen verbrannten sich die Finger, als sie sich 2016 in «SP Frauen*» umbenannten, um ihre Offenheit gegenüber Transfrauen zu signalisieren. Dumm nur, dass die Trans-Community wenig angetan war von dieser Mitmeinerei.
Eine Interessengruppe erklärte pikiert, das Sternchen fungiere beim Begriff «Trans*» als «Platzhalter für Frauen, Männer oder Menschen». Bei «Frauen*» hingegen sei die Bedeutung unklar, und es bestehe die Gefahr, dass Transfrauen degradiert würden.
Immerhin fünf Jahre lang hielt sich das Sternchen in der Bezeichnung. 2021 schaffte es die Mitgliederversammlung wieder ab. Die Begründung im Antrag der Co-Präsidentin Tamara Funiciello war bemerkenswert. Der Genderstern im Namen tue das Gegenteil von dem, was die SP-Frauen wollten, sagte sie: «Er schliesst aus statt ein. Er macht Menschen zum Anhängsel. Transfrauen sind aber Frauen, ohne Stern.»
Längst gendern Unternehmen gegenüber ihrer Kundschaft, wird in Stellenausschreibungen nach «Leiter*innen» gesucht und haben Hochschulen das Sternchen in ihre Sprachleitfäden aufgenommen. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass es in der Gesellschaft breit akzeptiert ist.
Eine repräsentativ gewichtete Umfrage des Forschungsinstituts GfS Bern im Auftrag der NZZ zeigt, dass das Sternchen in der Bevölkerung vor allem Ablehnung auslöst. Von über 2500 befragten Personen gaben zwei Drittel an, dass sie mit der Verwendung von Gendersternen oder anderen Sonderzeichen in öffentlichen Dokumenten «überhaupt nicht einverstanden» oder «eher nicht einverstanden» sind.
Die Ablehnung ist auch in den grossen Agglomerationen deutlich, zu denen die Städte gehören. Selbst die linke Wählerschaft ist skeptisch. Nur Personen, die AL und Grüne wählen, befürworten eine «gendergerechte» Sprache.
Ein Krieg der Sterne in der Sprache
Ist die grosse Mehrheit der Befragten also intolerant oder grenzt Minderheiten bewusst aus, wenn sie auf den Genderstern verzichtet? Natürlich nicht. Die Ablehnung dürfte vielmehr damit zu tun haben, dass behördlich angeordnete Inklusion schlecht ankommt. Ein befohlener Stern macht die Welt nicht toleranter. Die wenigsten Leute wollen sich vorschreiben lassen, wie sie zu reden, zu sprechen und damit auch zu denken haben.
Abschreckend wirkt auch der Eifer und Aktivismus, mit dem die Linke die Debatte führt. Sie hat das Sternchen politisch gemacht. Gendern ist für sie eine Frage von richtig oder falsch, von gut oder böse. Zwischentöne gibt es nicht. Es tobt ein Krieg der Sterne.
Wer es wagt, sein Unbehagen am Genderstern zu formulieren, oder ihn nicht verwenden will, wird niedergeschrien. Im Zürcher Stadtparlament verstieg sich ein AL-Vertreter gegenüber der FDP, die die Initiative unterstützt, gar zu folgender Aussage: «Die antifaschistische Mauer mag viele Farben haben – blau ist sie in der Schweiz auf keinen Fall.» Es war nicht die einzige verbale Entgleisung.
Warum muss die Genderdebatte so gehässig geführt werden? Sprache entwickelt sich von allein. Vor fünfzig Jahren war die Bezeichnung «Serviertochter» in der Beiz noch allgegenwärtig, heute ist sie aus unserem Sprachgebrauch verschwunden. Dazu brauchte es keinen behördlich verordneten Sprachleitfaden.
Es ist ihr gutes Recht, wenn nonbinäre Menschen ihre Sichtbarkeit in der Sprache einfordern. Die deutsche Sprache ist vielseitig genug, dass man Diskriminierungen vermeiden kann, ohne dabei ständig ästhetische Kapriolen vornehmen zu müssen.
Wenn also die nonbinäre Person Kim de l’Horizon in einem Brief nicht mit männlichen oder weiblichen Formen angesprochen werden möchte: bitte sehr. Dann kann die Anrede «Guten Tag, Kim de l’Horizon» lauten. Diese Formulierung ist auch erlaubt, wenn die Genderstern-Initiative angenommen wird. Umgekehrt gibt es keinen Grund, bei einem Appell an die «lieben Stimmbürgerinnen und Stimmbürger» gleich in Schnappatmung zu verfallen.
Man kann sich an dieser Stelle auch das Leitmotiv des Schriftstellers Pedro Lenz zu Herzen nehmen: «Nicht durchdrehen.»
Lenz selbst hat zu spüren bekommen, dass – linke – Medien in der Genderfrage in Aktionismus verfallen: Als er in seiner Kolumne in der «WoZ» schrieb, Diego Maradona sei einer der grössten Fussballer der Welt gewesen, machte das Korrektorat «FussballerInnen» daraus. In der Sendung «Doppelpunkt» mit Roger Schawinski sagte Lenz dazu: «Es ist eine Wahnvorstellung, zu meinen, man könne die Sprache per Dekret von heute auf morgen ändern.»
Das verordnete Gendern des Stadtrats ist falsch. Susanne Brunners Initiative in der Stadt Zürich wird einen Hinweis darauf geben, wie akzeptiert der Genderstern in der Bevölkerung tatsächlich ist. Man kann die Frage stellen, ob es wirklich nötig ist, eine Abstimmung zu einem Sprachreglement durchzuführen.
Die emotionalen Diskussionen dazu geben aber eine klare Antwort: Ja.