Mehr Unterstützung für Tiefverdiener verspricht eine Mitte-links-Allianz. Und setzt sich durch.
«Das sind keine Almosen!», ärgert sich die SP. «Sie können ja nicht einmal rechnen!», ruft die SVP. Wenn es um Krankenkassenprämien geht, sind die Floskeln nicht weit. «Eine Investition in die Kaufkraft!», heisst es dann von links. «Ein fauler Kompromiss!», jaulen die Bürgerlichen.
So geht das Pingpong hin und her. «Ein Akt der Solidarität» – «reine Pflästerlipolitik». «Gerechtigkeit» – «Dummheit». Bis die FDP irgendwann seufzt: «Das Problem ist das Geld, es geht immer ums Geld.»
Ja, das liebe Geld: Es ist in dieser Gesundheitsdebatte im Zürcher Kantonsparlament überall – und irgendwie auch nirgends. Laut der Linken fehlt es nämlich der Unter- und der Mittelschicht, wegen steigender Prämien, Preise und Wohnkosten. Deshalb wollen SP, Grüne und Verbündete die Bevölkerung von den Gesundheitskosten entlasten – mit 50 Millionen Franken an zusätzlichen Prämienverbilligungen.
Laut SVP und FDP fehlt das Geld dagegen dem Staat, der sparen und sparen muss. Noch stärker verbilligte Prämien – das ist für sie deshalb ein No-Go. Umso mehr, als es am Grundproblem nichts ändere: den steigenden Gesundheitskosten.
Die Fronten sind klar, doch entschieden wird nicht bei den Polteris links und rechts, sondern in der politischen Mitte: bei der GLP und der Mitte-Partei, die am Ende dieser Prämiendebatte ihre Macht als Mehrheitsmacherinnen ausspielen werden.
Gang in die Sozialhilfe verhindern
Worum es geht: einen politischen Dauerbrenner, nämlich einen höheren Kantonsbeitrag an die individuellen Prämienverbilligungen. Die werden in der Schweiz mehrheitlich vom Bund finanziert, aber von den Kantonen verteilt und ergänzt.
Aber wie viel soll der Kanton bezahlen? Kein Jahr vergeht, in dem der Zürcher Kantonsrat nicht darüber streitet. Bis 2011 war die Sache simpel: Der Kanton verdoppelte, was der Bund zahlte. Dann, im Rahmen eines Sparpakets, reduzierten die Zürcher den Beitrag auf 80 Prozent des Bundesbeitrags. Das versuchten diverse Parteien seither wieder zu ändern – vergeblich.
Die Linke scheiterte 2011, die Mitte 2021 mit einer entsprechenden kantonalen Volksinitiative. Vergangenes Jahr schliesslich wurde auch eine nationale Prämienentlastungsinitiative der SP von den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern versenkt.
Nun aber, im Parlament, sieht die Sache plötzlich wieder anders aus. Und zwar wegen der GLP. Die war noch 2021 gegen höhere Prämienverbilligungen, aus finanzpolitischen Gründen. Die Situation sei nun aber eine ganz andere, argumentierte Kantonsrätin Claudia Hollenstein. «Wegen der Teuerung spüren viele die Prämien stärker im Portemonnaie. Eine Erhöhung ist deshalb angezeigt.»
Gleich sieht es Brigitte Röösli (SP). Nur jeder fünfte Zürcher, jede fünfte Zürcherin erhalte Prämienverbilligungen, viel weniger als in anderen Kantonen. Das müsse sich nun ändern. Wer dergestalt unterstützt werde, könne nämlich «die Verantwortung für das eigene Leben übernehmen und rutscht nicht in die Sozialhilfe ab».
Steuergeld für Gutverdiener
Das Geld werde bei den falschen landen, prophezeit dagegen Lorenz Habicher (SVP). «Es wird an Gutverdienende gehen – die tiefen Einkommen werden weiter darben.» Der GLP wirft der SVP-Parlamentarier vor, mit ihrem «Slalomkurs» die eigene Glaubwürdigkeit zu verspielen.
Auch die Zürcher Regierung zeigt sich wenig begeistert ob dem versprochenen Ausbau des Sozialstaats. «Er ist unnötig und widerspricht dem Willen der Bevölkerung», sagt die Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli (SVP). Statt bedarfsgerecht drohe das Geld so «mit der Giesskanne» verteilt zu werden.
Eine kuriose Aussage, hat doch das Kantonsparlament erst vor wenigen Jahren die Vergabe der Prämienverbilligungen komplett umgekrempelt – mit dem expliziten Ziel, nur jene zu unterstützen, die wirklich in finanzieller Not sind.
Offenbar funktioniert das nun aber nicht wie gewünscht. Darin sind sich interessanterweise alle Parteien von links bis rechts einig.
Zu viel Mittel flössen an den Geringverdienern vorbei zu bessergestellten Haushalten, kritisiert Josef Widler (Mitte). «Dass der Mittelstand auch Verbilligungen erhält, finden wir nicht gut.» Ähnlich äussern sich Vertreter von FDP und SVP.
Zu kompliziert und zu bürokratisch sei die Vergabe, findet schliesslich Jeannette Büsser (Grüne). «18 Millionen fliessen allein in die Administration – statt dass die Zürcherinnen und Zürcher davon profitieren.»
Um die Ursachen dieser Misere zu ergründen, hat das Parlament bei der Regierung einen Bericht in Auftrag gegeben, der noch diese Woche erscheinen soll.
Gerechtigkeit oder «Pflästerlipolitik»?
Bis dahin stellt sich jedoch eine andere Frage: Ist es überhaupt sinnvoll, 50 weitere Millionen in dieses angeblich dysfunktionale System zu stecken? Nein, finden SVP, FDP und EDU. Das sei ungerecht, unverantwortlich, ja ein «fauler Deal, der zum Himmel stinkt».
Ja, fand dagegen eine Mehrheit aus SP, Grünen, GLP, Mitte, AL und EVP. Man dürfe bei allen abstrakten Diskussionen die Betroffenen nicht vergessen. «In diesen schwierigen Zeiten müssen wir sie unterstützen», sagt Michael Bänninger (EVP). Es gehe hier ganz grundsätzlich um eine gerechtere Prämienverteilung – «es ist falsch, das als Pflästerlipolitik abzutun».
Mit 98 zu 72 Stimmen beschliesst der Rat, mit der Erhöhung fortzufahren. Übersteht sie auch die Schlussabstimmung – üblicherweise eine Formsache –, werden die Prämienverbilligungen ab kommendem Jahr ausgebaut.
Die geschätzten 50 zusätzlichen Millionen ergänzen das bestehende Budget von 1,31 Milliarden Franken. Eine von der Linken geforderte Erhöhung um einen noch höheren Betrag – 180 Millionen – ist chancenlos und kommt gar nicht erst zur Abstimmung.
Eine absurde Wendung
Zürich steigt damit in die Liga jener Kantone auf, die gemessen am jeweiligen Bundesbeitrag einen überdurchschnittlichen Beitrag an die Prämienverbilligungen zahlen. Die grosszügigsten Kantone – etwa Genf, Basel-Stadt oder das Tessin – zahlen aber weiterhin deutlich mehr.
Selbst sie können jedoch nicht mit dem Wachstum der Prämien mithalten. Während diese sich nämlich seit den 1990er Jahren schweizweit mehr als verdoppelt haben, stiegen die Verbilligungen lediglich um einen Drittel.
Eine fast schon absurde Note gab dem Zürcher Ausbauentscheid schliesslich eine Randbemerkung der Gesundheitsdirektorin. Rickli erinnerte nämlich daran, dass der Kanton seine Beiträge an die Verbilligungen ab 2028 ohnehin auf andere Art werde berechnen müssen. Ab dann tritt nämlich der indirekte Gegenvorschlag voll in Kraft, den das nationale Parlament als Antwort auf die Prämieninitiative der SP beschlossen hat.
Dieser sieht vor, dass die Kantone nicht mehr frei entscheiden können, wie viel sie an die Prämienverbilligungen zahlen. Neu müssen sich ihre Ausgaben an den finanziellen Verhältnissen der einkommensschwächsten 40 Prozent der Bevölkerung orientieren.
In Zürich, so Rickli, werde das voraussichtlich genau so viel sein, wie das Parlament mit dem Beschluss vom Montag künftig ausgeben wolle.