Die Zürcher Behörden zeigten wenig Musikgehör für die Strassenmusikerin.
Recht und Gerechtigkeit sind zwei verschiedene paar Schuhe. Dies hat Eveline Weggler vergangenen November am eigenen Leib erfahren. Die landesweit bekannte Drehorgelspielerin musste als Angeklagte vor dem Bezirksgericht in Zürich erscheinen.
Der Vorwurf: Sie hatte musiziert, wo sie nicht hätte musizieren dürfen. Namentlich beim Marktplatz in Zürich Oerlikon wurde die 74-Jährige von den Behörden mehrmals erwischt.
Weggler stritt gar nicht erst ab, dass sie ihrer Drehorgel am falschen Ort das eine oder andere Lied entlockt hatte. Nur sah die Strassenkünstlerin einen Punkt entschieden anders: Es sei Diskriminierung, was sie in Zürich erlebe.
Die Behörden würden sie alle halbe Stunde zu Standortwechseln zwingen, weshalb sie weite Fussmärsche auf sich nehmen müsse. Ginge es nach den Behörden, müsste sie an menschenleeren Orten spielen, wo sie «vielleicht fünf Franken» verdiene.
Sie erhält 1000 Franken AHV-Rente
«Davon kann man nicht leben», sagte Weggler vor Gericht. Die Rentnerin wohnt in den Niederlanden, wo sie mit einer AHV von 1016 Franken pro Monat und 237 Euro Rente aus den Niederlanden auskommen muss.
Um zu musizieren, reist sie regelmässig in die Schweiz. Weil sie die Lage andernorts kenne, in Bern etwa, wo die Behörden «gemütlicher» seien, wollte Weggler den Strafbefehl nicht auf sich sitzen lassen.
Sie ging mit ihrem Anliegen vor Gericht, in der Hoffnung, dass ihr die Kosten erlassen würden. «Ich bitte Sie von Herzen», sagte sie zur Richterin, «üben Sie Barmherzigkeit.»
Nur hatte das Bezirksgericht wenig Musikgehör. Weggler wurde wegen «mehrfach vorsätzlich vorübergehender Benützung des öffentlichen Grundes» verurteilt.
Es könne gut sein, sagte die Richterin, dass Zürich restriktiver sei als andere Orte. Aber Strassenkunst werde in Zürich nicht verunmöglicht. «Die Regeln sind Ihnen bekannt, Sie müssen sie einhalten.»
Zu den 500 Franken Busse kamen für Eveline Weggler auch noch Gebühren obendrauf. Am Ende war sie zu über 1600 Franken verdonnert worden. Weil sie das Geld nicht aufbringen konnte, wollte sie den Betrag in einer gemeinnützigen Institution abarbeiten gehen.
Als der Fall publik wurde, meldeten sich zahlreiche Leute, die der Rentnerin finanziell unter die Arme greifen wollten. Einer von ihnen ist Berto Dünki. Der Unternehmer hat vor zehn Jahren in Basel ein Anti-Food-Waste-Geschäft gegründet, das er dieses Jahr seinen Nachfolgern übergeben hat.
Dünki richtete ein Konto ein, am Ende wurden für Eveline Weggler 3400 Franken gespendet. Dünki selber rundete die Summe auf 4000 Franken auf.
Das Geld hat er der Musikerin Anfang Februar übergeben, natürlich auf dem Marktplatz in Oerlikon. Es sei schön zu sehen, wie viele Menschen reagiert hätten, sagt Dünki.
Mit dem Geld, das nach der Bezahlung der Busse und der Gebühren übrig bleibe, wolle sie sich selbst etwas Gutes tun, sagte die Beschenkte zu Dünki, ohne dies genauer auszuführen.
Ein Heimkind, das Gerechtigkeit sucht
Eveline Weggler hat in ihrer Kindheit wenig Gutes erfahren. Weil ihre Eltern nicht für sie sorgen wollten, verbrachte sie ihre Kindheit in Heimen. «Psychische Folter» musste sie dort erleiden, wie sie erzählt. Aber nie habe sie eine Entschädigung für Verdingkinder geltend gemacht.
Auch als Erwachsene hatte sie schwer zu kämpfen. Bis sie 25 Jahre alt war, wurde sie bevormundet. Sie gebar drei Kinder, zudem wurde sie einmal zu einer Abtreibung genötigt. Keines der Kinder wuchs bei ihr auf. «Das erste Kind wurde mir einfach weggenommen. Man zwang mich zur Adoption.»
Es ist das Gefühl der Ungerechtigkeit und ihr Wunsch nach Gerechtigkeit, weswegen sie sich im November vor Gericht gegen die Busse wehrte. Bis heute empfindet Weggler die Vorschriften für Strassenmusik in Zürich als ungerecht.
Die Rentnerin will jedenfalls weiterhin in Zürich auf ihrer Drehorgel spielen. «Dort, wo ich kann.» Bereits vor Gericht deutete sie an, dass das auch einmal an einem Ort sein könnte, der den Behörden nicht genehm sei.