Die USA sparen am Verteidigungsetat, während Europa nachrüstet. Ein starkes US-Geschäft wird zum Nachteil, was teils auch deutsche Rüstungsanbieter trifft. Die Gewinner sind zwei deutsche Börsenstars sowie drei wenig bekannte und noch relativ günstig bewertete Aktien.
Der Kursanstieg europäischer Rüstungsaktien hat sich seit dem Eklat im Weissen Haus zwischen US-Präsident Donald Trump und dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski nochmals beschleunigt. Vorige Woche gab CDU-Wahlsieger Friedrich Merz das neue Motto der deutschen Verteidigungspolitik bekannt: «Whatever it takes». Die Koalitionäre wollen Rüstungsausgaben weitgehend von der Schuldenbremse ausnehmen.
Die Regierungschefs der Europäischen Union (EU) billigten am 6. März den Plan der EU-Kommission, bis zu 800 Mrd. € für die Aufrüstung zu mobilisieren. Die Verteidigungsausgaben in Europa werden also weiter steigen und teilweise von den EU-Schuldenregeln ausgenommen. Daher lohnt für Anleger der Blick darauf, welche Rüstungsunternehmen besonders stark von Europas Nachrüstung profitieren – und welche dagegen eher von Donald Trumps Sparbemühungen beim US-Verteidigungsetat bedroht sind. Unter den grössten Gewinnern sind auch drei Überraschungen, die nur wenigen ein Begriff sein dürften.
Europas Waffensysteme: Weitgehend abgerüstet
Der Nachholbedarf in Europa ist riesig. Die meisten europäischen Staaten hätten im Kriegsfall nur Munition für wenige Tage, sagt Marc Festa, Fondsmanager bei Alken Asset Management in London. Das Nato-Ziel liege dagegen bei dreissig Tagen und dürfte künftig auf sechzig Tage erhöht werden. Der Bedarf an Rüstungsgütern werde von Investoren und Analysten noch immer unterschätzt, sagt Festa: «Die Märkte haben vielleicht eine Erhöhung des Nato-Ziels der Rüstungsausgaben auf 2,5% eingepreist, aber noch nicht auf 3% oder mehr.»
Viele Analysten gingen fälschlicherweise noch immer davon aus, dass der Höhepunkt der Nachfrage vor 2030 erreicht werde, sagt Festa. Dabei werde die Neuausstattung der Streitkräfte allein mit ausreichend Munition zehn Jahre in Anspruch nehmen. Wer jetzt Artilleriegeschosse oder auch Kampfflugzeuge bestelle, werde 2028 oder 2029 beliefert. Bedient würden von Europas Herstellern vorrangig die Ukraine und danach andere europäische Staaten. Aussereuropäische Staaten wie Indien oder Saudi-Arabien kommen derzeit kaum an die Reihe, was weitere, aufgeschobene Nachfrage für die Folgejahre bedeutet.
Die Erwartung eines zehn Jahre dauernden Nachrüstungszyklus in Europa wird von den JPMorgan-Analysten geteilt. «Now it’s for real» (Deutsch: «Jetzt geht es wirklich los») überschrieben sie nach dem Trump-Selenski-Eklat eine Branchenstudie vom 3. März, in der sie die Kursziele um durchschnittlich 25% anhoben.
Viele Investoren haben lange einen grossen Bogen um Waffenhersteller gemacht und sind daher mit den einzelnen Unternehmen kaum vertraut. Wenn es zu Ereignissen wie dem Eklat im Weissen Haus vor zehn Tagen kommt, steigen oft alle Branchenwerte – obwohl einige Unternehmen einen deutlich geringeren Anteil ihres Umsatzes in Europa erzielen als andere.
Andere Unternehmen, die immer wieder als Rüstungsprofiteure bezeichnet werden, erwirtschaften wiederum nur einen kleinen Teil ihres Umsatzes mit Rüstung: Beim Flugzeughersteller Airbus beträgt der Anteil gerade einmal 22% und beim Triebwerksspezialisten MTU Aero nur 9%, schätzt JPMorgan. Sie eignen sich daher kaum für Investments in den Nachrüstungstrend.
Gerade in Europa dürften die Rüstungsausgaben in den kommenden Jahren stark steigen. In den USA könnten sie dagegen sogar fallen, was auch die Kurse führender US-Rüstungskonzerne signalisieren. US-Verteidigungsminister Pete Hegseth hat seine Beamten angewiesen, einen Plan zur Kürzung der Verteidigungsausgaben um 8% vorzulegen. Ausserdem gewährt er Elon Musks Team zur Effizienzsteigerung in der Regierung (DOGE) Zugang zum Pentagon. Musk hatte in der Vergangenheit die Vertragskonditionen vieler Rüstungsgeschäfte als nachteilig für die Regierung kritisiert.
Früher wollten alle europäischen Rüstungsunternehmen auf den US-Markt expandieren, weil sich dort höhere Preise erzielen liessen, sagt Alken-Fondsmanager Festa: «Jetzt ist es besser, in Europa tätig zu sein.»
Die Investoren sind dabei, das transatlantische Gefälle einzupreisen, konstatiert Anlagestratege Christopher Wood von der Investmentbank Jefferies: Seit dem 5. Dezember ist der MSCI Europe Aerospace and Defense Index um 29% stärker gestiegen als der S&P 500 Aerospace and Defense Index. Absolut ist der europäische Rüstungsindex allein seit Jahresanfang um rund 40% in die Höhe geschossen.
Renk ist ein gutes Beispiel dafür, wie Anleger aufgrund des allgemeinen Trends zur Wiederaufrüstung das US-Risiko und auch die unternehmensspezifischen Risiken unterschätzen. Anders als der so gut wie vollständig auf Rüstung spezialisierte deutsche Börsenwert Hensoldt erzielt Renk nur zwei Drittel des Umsatzes mit Produkten für militärische Anwendungen, schätzen die Analysten von JPMorgan. Noch dazu beträgt der Europa-Anteil des Rüstungsgeschäfts bei Renk nur 55%. Rund 30% entfallen dagegen auf die USA. Ausserdem könnten Liebherr, ZF und Rolls-Royce bald in den Markt von Renk einsteigen.
The Market hat die Kaufempfehlung für Renk daher Mitte Februar zurückgezogen und stattdessen auf Rheinmetall und Hensoldt verwiesen.
An der Börse besonders stark profitiert hat auch zuletzt Rheinmetall, weil das Unternehmen die dringend benötigte Munition sowie Panzer fertigt. The Market hatte die Aktien von Rheinmetall erstmals Mitte April 2024 empfohlen, seitdem hat sich der Kurs von seinerzeit rund 550 € mehr als verdoppelt. Den Elektronikspezialisten Hensoldt empfahl The Market Anfang August 2024 bei Kursen um 33€, auch diese Titel haben ihren Kurs seitdem zeitweilig mehr als verdoppelt. Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage auf, welche Alternativen es an Europas Börsen gibt für Anleger, die auf den Aufrüstungstrend setzen wollen und ob Rheinmetall und Hensoldt weiterhin die besten Titel dafür sind.
Der Schiffs- und U-Boot-Spezialist Babcock taucht bislang kaum auf dem Radar von Investoren auf. Zu Unrecht. «Babcock ist das unentdeckte Rüstungsunternehmen, das nach einer Reihe von Verkäufen 74% Umsatzanteil in diesem Bereich erzielt», urteilen die JPMorgan-Analysten. Noch im März 2024 habe der Wert nur bei 68% gelegen (siehe Tabelle oben), obwohl Babcock da bereits sechs Unternehmen mit anderen Zielmärkten verkauft hatte.
Babcock versorgt als Dienstleister die Flotte von Nuklear-U-Booten Grossbritanniens (rund 40% des Gewinns auf Stufe Ebita für 2024) und einen grossen Teil der übrigen Kriegsschiffe des Landes (26% des Ebita). Weitere 27% Gewinnanteil entfallen auf Militärfahrzeuge an Land, der Rest auf Hubschrauber und Flugzeuge. Der Konzern ist durch einen britischen Umsatzanteil von 70% stark mit den heimischen Verteidigungsausgaben verbunden. Premierminister Keir Starmer hat bereits im Sommer 2024 angekündigt, die Verteidigungsausgaben von zuletzt 2,3% bis 2027 auf 2,5% des Bruttoinlandsprodukts anzuheben – mit dem Ziel, sie anschliessend auf 3% zu steigern.
Noch 2020 entfiel weniger als die Hälfte des Umsatzes von Babcock auf den Militärsektor. In der Dekade bis 2014 trieb eine Übernahmeserie unter der Ägide des früheren CEO Peter Rogers Umsatz, Gewinn und Aktienkurs von Babcock mit Investitionen von mehr als 3 Mrd. £ in die Höhe. Doch einige Deals stellten sich als Fehlkäufe heraus, die Akquisitionen waren nur schwer integrierbar und die Verschuldung ist auf das 2,4-fache des Ebitda angeschwollen. 2015 bis 2017 folgten fünf Gewinnwarnungen. Babcock steckte in der Krise, der Aktienkurs fiel von 2014 bis 2021 in der Spitze um 80%. Dann trat das neue Führungsteam aus CEO David Lockwood und Finanzchef David Mellors an, die durch Teilverkäufe den Konzern auf Rüstung fokussierten.
Noch immer belasten einige langfristige Serviceverträge mit niedriger Marge die Profitabilität – insbesondere der Vertrag zur Betreuung der Fregatten des Typs 31 für die britische Navy. Babcock hat dafür bereits 190 Mio. £ an Belastungen verbucht, knapp die Hälfte davon im Juli 2024. In den kommenden Jahren dürfte dieses Hindernis für das Ebitda-Margenziel von «8% oder mehr» wegfallen, falls das Management beim Abschluss neuer Verträge diszipliniert bleibt.
Die Nettoverschuldung wird gemäss Schätzung der bei Bloomberg erfassten Analysten per Ende März 2025 auf 371 Mio. £ sinken und deutlich unter dem Ebitda von 451 Mio. £ liegen.
Das Unternehmen hat am 7. Februar die Umsatzprognose für das laufende Geschäftsjahr auf 4,9 Mrd. £ angehoben, wegen des zweistelligen Wachstums des Nuklear-U-Boot-Geschäfts und dem starken Wachstum im übrigen Kriegsschiffgeschäft. Im Januar hatte Babcock einen 17-Jahres-Dienstleistervertrag von der französischen Marine und Luftwaffe über 800 Mio. € erhalten.
Das Auftragsbuch umfasst fast 10 Mrd. £ und liegt somit mehr als 50% über dem für 2025 erwarteten Umsatz. Die Vertragslaufzeit von durchschnittlich zwölf Jahren bringt ebenfalls Planungssicherheit.
Für die kommenden Jahre bis 2028 sagen die Analysten ein Wachstum des Gewinns pro Aktie von 10 bis 14% pro Jahr voraus. Die Babcock-Aktien sind mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 15 weniger als halb so hoch bewertet wie Rheinmetall (KGV 37, jeweils gemessen am Durchschnitt der Gewinnschätzungen für 2025 und 2026).
Alken-Fondsmanager Festa investiert unter anderem in zwei kleinere Rüstungsunternehmen, die beide erst seit 2024 an der Börse sind: Exosens und Theon. Das griechische Unternehmen Theon stellt Nachtsichtgeräte her, die von Soldaten getragen oder in Militärgerät eingebaut werden. Das französische Unternehmen Exosens fertigt zentrale Komponenten solcher Nachtsichtgeräte, die von Theon, aber auch von Hensoldt oder Thales verbaut werden. Theon wiederum betreibt ein Gemeinschaftsunternehmen mit Hensoldt.
Exosens und Theon fallen durch eine sehr hohe Ebitda-Marge auf, mit der sie die meisten Branchenkonkurrenten deutlich übertreffen. Beide profitieren von ihrer starken Stellung bei einem Nischenprodukt. Theon hat in seinen Zielmärkten einen Marktanteil von gut 70%, schätzt JPMorgan. Zielmarkt ist vor allem Europa. Der Weltmarkt ist aus sicherheitspolitischen Gründen fragmentiert: Exosens hat zwei Hauptwettbewerber in den USA, die aber nicht exportieren dürfen.
Exosens gehört immer noch zu 46% dem Private Equity HLD, das 1993 von dem ehemaligen Lazard-Partner Jean-Bernard Lafonta gegründet worden ist. Die Gesellschaft dürfte in den kommenden Jahren dem Geschäftsmodell entsprechend ihre Anteile verkaufen, dieser Aktienüberhang und die Erwartung grosser Verkäufe sind ein Belastungsfaktor für den Aktienkurs.
Theon ist dagegen auch nach dem Handelsstart in Amsterdam zu 76% in Besitz von Christian Hadjiminas, der das Unternehmen 1997 gegründet hat. Der an der Columbia University und an der Wharton Business School ausgebildete Unternehmer ist auch Gründer des Industriekonglomerats EFA. Anders als Exosens ist Theon schuldenfrei.
Beim erwarteten Wachstum für 2026 sind unter den Nachrüstern Europas zwei deutsche Unternehmen führend: Rheinmetall und Hensoldt. Sie haben weniger als 5% Umsatzanteil im schwieriger werdenden US-Markt und erfüllen so das wichtigste Kriterium für unsere Auswahl.
Bei Rheinmetall macht die Belieferung der Ukraine rund 30% des Geschäfts aus. So stark ist kein anderes Rüstungsunternehmen mit dem Krieg verbunden. Doch selbst wenn es zu einem Waffenstillstand mit Russland kommen sollte, bliebe fraglich, wie lange Russland diesen einhalten würde. Die Ukraine dürfte weiterhin ein vitales Interesse daran haben, ihre Verteidigungsfähigkeit zu stärken.
Die Aktien von Rheinmetall und Hensoldt sind nach dem fulminanten Kursanstieg gemessen am 2025 und 2026 erwarteten Gewinn nicht mehr günstig. Allerdings ist das Wachstum auch über 2026 hinaus durch das üppig gefüllte Auftragsbuch und Europas Nachrüstungsbedarf gerade bei Munition und Panzern abgesichert.
Das Kursmomentum der beiden deutschen Aktien ist sehr stark (Rheinmetall) oder zumindest stark (Hensoldt), zeigt die jüngste Ausgabe des Momentum Screen von The Market. Dabei ist der jüngste Kursprung nach dem Eklat zwischen Trump und Selenski im Weissen Haus noch nicht berücksichtigt. Allerdings gilt es bei hohen Bewertungsniveaus, besonders aufmerksam zu verfolgen, ob die Bewertung fundamental noch gerechtfertigt ist.
Alken-Fondsmanager Festa hat bereits vor dem russischen Angriff auf die Ukraine zu Kursen um 90 € Rheinmetall-Aktien gekauft. Bei Kursen um 600 € hat er einige Stücke verkauft, jedoch nicht in den zurückliegenden Wochen. «Bei Rheinmetall unterschätzen die meisten immer noch das Potenzial», sagt Festa.
Viele Unternehmen scheiden wegen ihres beträchtlichen US-Geschäfts als Europa-Nachrüstungswetten aus: der britische Drohnenhersteller Qinetiq (26% Nordamerika-Anteil), der italienische Rüstungskonzern Leonard0 (ebenfalls 26%) sowie der britische Luftfahrt- und Rüstungskonzern BAE Systems (43%).
Bei Leonardo handelt es sich zudem um eine riskante Turnaround-Wette. Leonardo sei das letzte der europäischen Rüstungsunternehmen, dem ein grosses Effizienzprogramm und ein Kulturwandel noch bevorstehe, urteilen die JPMorgan-Analysten: «Leonardo hat noch viel zu tun, bevor es als High-Quality-Rüstungsunternehmen wie BAE Systems oder Thales gelten kann.»
Der französische Elektronikspezialist Thales hat nur 8% US-Anteil beim Rüstungsumsatz. Allerdings entfallen nur gut die Hälfte des Geschäfts auf militärische Anwendungen. Bei der zivilen Luftfahrt leidet Thales unter Lieferengpässen bei Kunden, das Weltraumgeschäft (Umsatzanteil: 13%) ist strukturellen Veränderungen im Markt unterworfen.
The Market hält Rheinmetall und Hensoldt weiterhin für die attraktivsten Aktien, um in die Aufrüstung Europas angesichts der bedrohlichen Sicherheitslage zu investieren. Babcock ist wegen der starken Marktposition in Nischen der europäischen Rüstungsbranche und aufgrund der niedrigen Bewertung ebenfalls aussichtsreich. Gleiches gilt für die Nischenspieler Exosens und insbesondere für die finanzkräftigere Theon, die durch auffallend hohe Werte bei Ebitda-Marge und Rendite auf das eingesetzte Kapital überzeugt.