Lange Zeit war vor allem der Container-Schiffsverkehr von Angriffen im Roten Meer betroffen. Mit der Eskalation des Konflikts befürchtet man zunehmend negative wirtschaftliche Folgen.
Es hätte ein Befreiungsschlag sein sollen. Doch die amerikanischen und britischen Militäreinsätze gegen die von Iran unterstützten Huthi-Milizen haben vorläufig das Risiko für die Schifffahrt im Roten Meer erhöht und nicht gesenkt. Dies wird zunehmend eine Gefahr für die Weltwirtschaft. Die Strecke durch die Meerenge Bab al-Mandab und den Suezkanal ist die schnellste Verbindung zwischen Asien und Europa. Rund 12 Prozent des Welthandels werden auf dieser Route abgewickelt.
Das Chaos nimmt zu
Dabei ist kein schnelles Ende der Attacken der Huthi und der Gegenmassnahmen absehbar. Vincent Clerc, der Schweizer Chef der dänischen Reederei Maersk, sagte am Weltwirtschaftsforum in Davos: «Dies wird zu längeren Transportzeiten und wahrscheinlich zu Unterbrüchen bei Lieferketten für mindestens einige Monate führen.»
Derzeit sind bereits 90 Prozent der Containerschiffe, die sonst die Route durch das Rote Meer genommen hätten, umgeleitet worden. Die Schiffe nehmen dabei den Weg rund um Afrika auf sich. Das verlängert die Transporte in eine Richtung zwischen Europa und Asien um bis zu zwölf Tage.
Das Handelsvolumen auf der wichtigen Transportroute ist laut Daten des Internationalen Währungsfonds bereits um mehr als die Hälfte gegenüber November gesunken. Die Frachtraten für die Verschiffung von Containern sind im Gegenzug um mehr als das Doppelte gestiegen. Von den hohen Niveaus im Zuge der Pandemie sind die gegenwärtigen Frachtraten aber noch meilenweit entfernt. Viele Ökonomen sind für längere Zeit davon ausgegangen, dass es keine grösseren Auswirkungen auf die Güterpreise geben werde.
Auch wenn die Transportkosten in der Regel nur einen geringen Teil des Preises für Endkonsumenten ausmachen, hat die vergangene Zeit gezeigt, dass höhere Kosten im Welthandel durchaus die Teuerungsrate nach oben drücken können. Je länger die Huthi den Welthandel in Geiselhaft nehmen, desto grösser dürften die Konsequenzen sein. «Wir beobachten die Situation im Roten Meer mit wachsender Sorge, auch wenn die genauen Auswirkungen nach wie vor schwer abzuschätzen sind», sagt Ralph Ossa, der Chefökonom der Welthandelsorganisation (WTO).
Bereits gibt es Beispiele von Unterbrüchen von Lieferketten. Der Elektroautohersteller Tesla sagte, dass die Produktion im einzigen grossen Werk in Europa, der Giga-Factory bei Berlin, ausgesetzt wurde. Volvo Cars sprach von einem Unterbruch der Fertigung in einer Fabrik in Belgien wegen einer verzögerten Lieferung von Komponenten. Entsprechende Meldungen sind aber noch begrenzt.
Dies kann auch daran liegen, dass derzeit prinzipiell kein Mangel an Schiffskapazitäten herrscht. Wegen des Umwegs sind nun mehr Schiffe nötig, um die gleiche Menge an Gütern bewältigen können. Im Nachgang zur Pandemie gab es aber einen Boom an Bestellungen neuer Containerschiffe, und die Lebenszeit alter Schiffe, die sonst verschrottet worden wären, ist verlängert worden. Dies hatte auch zu einem damaligen Niedergang der Frachtraten beigetragen.
Möglicherweise greifen bei manchen Unternehmen auch die Massnahmen nach der Pandemie, die sie unempfindlicher gegenüber Problemen in internationalen Lieferketten machen sollten. Die Anfragen für Luftfrachtlösungen sind gestiegen, eine starke Erhöhung der Nachfrage ist aber noch nicht sichtbar.
In der Branche gibt es aber bereits Stimmen, die davor warnen, dass die Verfügbarkeit von Containern ein Engpassfaktor sein könnte. Wenn die Schiffe länger unterwegs sind und weniger Häfen anfahren, werden auch vermehrt Container benötigt.
Nicht nur Containerschiffe, sondern auch Tanker
Lange Zeit hatten die Attacken der Huthi einen geringen Einfluss auf Massengutfrachter, die Güter wie Weizen, Kohle oder Metalle transportieren. Auch Erdöltanker nutzten vorwiegend weiterhin die Route durch das Rote Meer. Die jemenitische Miliz hatte vor allem Containerschiffe grosser westlicher Reedereien im Visier.
Die Huthi sagten, sie würden auf Frachter zielen, die mit Israel, den USA und Grossbritannien in Verbindung stünden. Die Lage ist aber unüberschaubar. Viele Reedereien scheuen davor zurück, ein Risiko einzugehen, und lenken auch ihre Massengutfrachter und Tankschiffe vermehrt um.
Üblicherweise werden rund 10 Prozent des schiffsgestützten Erdölhandels über den Suezkanal abgewickelt, beim Transport von Flüssigerdgas (LNG) beläuft es sich auf 8 Prozent. Die Ankündigung des grossen LNG-Produzenten Katar, kein Erdgas mehr über das Rote Meer zu verschiffen, hatte aber zunächst keine Auswirkungen auf den Gaspreis in Europa, zumal die LNG-Produktion nicht betroffen ist und die europäischen Gasspeicher gut gefüllt sind.
Ähnlich träge hat bisher auch der Rohölpreis auf Nachrichten aus dem Nahen Osten reagiert. Die Internationale Energieagentur (IEA) vermutet jedoch, dass nach den Vergeltungsschlägen der Amerikaner und Briten die Erdölflüsse durch den Suezkanal auf ein Minimum zurückgehen könnten. Dies erhöhe das Lieferkettenrisiko, die Transportkosten und den Inflationsdruck.
Laut IEA betrifft eine längere Umlenkung der Tanker rund um Afrika vor allem die europäischen Preise für Erdölprodukte. Insgesamt sind die Preisbewegungen noch gering, für die Zentralbanken weltweit könnte die Situation im Roten Meer aber eine weitere Schwierigkeit beim Versuch darstellen, die Leitzinsen wieder zu senken.
Washington als Hüterin der Meere
Der amerikanische Präsident Joe Biden hat auch in Hinblick auf die Präsidentschaftswahl ein Interesse an einer Lösung der Situation und an einem niedrigen Erdölpreis. Eine Blockade der Route durch den Suezkanal trifft aber vor allem die europäische Wirtschaft und die Exportinteressen Chinas. Dennoch sind es die Amerikaner, die die Hauptlast der Verteidigung der Handelsroute tragen – dies im Einklang mit ihrem Selbstverständnis als Hüterin der Meere.
Auf der Website der amerikanischen Marine heisst es voller Pathos: «Gemeinsam mit unseren Verbündeten und Partnern verteidigen wir die Freiheit, erhalten den wirtschaftlichen Wohlstand und halten die Meere offen und frei.» Dafür wendet Washington laut dem Center for Development 0,21 Prozent des Bruttonationaleinkommens, rund 54 Milliarden Dollar, auf. Wie lange diese Bereitschaft anhalten wird, ist unklar, was ein Risiko für den Welthandel ist.
Auffällig ist die bisherige Abwesenheit Chinas im Kampf gegen die Huthi-Attacken. Peking unterhält einen Marinestützpunkt in Djibouti in der Nähe der Meerenge Bab al-Mandab. Militärisch hat China aber noch nicht eingegriffen. Auch auf diplomatischer Ebene scheint es wenig Bemühungen zu geben. China könnte über Iran Druck auf die Huthi ausüben. Die Miliz hat aus guten Gründen bis anhin vermieden, chinesische Schiffe zu attackieren, chinesische Güter geraten trotzdem ins Fadenkreuz.
Hinter den Amerikanern versteckt sich derzeit auch Ägypten. Der Suezkanal ist ein grosser Devisenlieferant für Kairo. Im vergangenen Fiskaljahr flossen rund 9 Milliarden Dollar in die ägyptischen Kassen. Im Januar sollen die Einnahmen aus den Durchfahrtsgebühren aber bereits um 40 Prozent zurückgegangen sein. Offensichtlich will sich Ägypten aber nicht einer Initiative gegen die Huthi anschliessen, die sich mit den Palästinensern in Gaza solidarisieren.