Mit dem bekannten Podcaster Thilo Mischke wollte das öffentlichrechtliche Fernsehen in Deutschland für frischen Wind sorgen. Es ging heftig daneben. Mischke wurde abserviert, ehe er begonnen hat. Der Fall ist typisch.
Es war wohl das falsche Weihnachtsgeschenk. Kurz vor den Feiertagen verkündete die ARD, dass der bisher vor allem als Pro-Sieben-Reportagenautor und Podcaster bekannte Journalist Thilo Mischke die Moderation der Sendung «TTT – Titel, Thesen, Temperamente» übernehmen werde. Etwas mehr als eine Woche später wurde schon zurückgerudert. Doch kein Mischke bei «TTT», dem renommierten und mittlerweile siebenundfünfzig Jahre alten Kulturmagazin.
Künstler hatten Protestbriefe geschrieben und Kritiker des ARD-Plans altes Material ausgegraben, das den Journalisten tatsächlich in nicht allzu günstigem Licht erscheinen lässt. 2010 war sein Buch «In 80 Frauen um die Welt» erschienen, die misogyne, männerhumorige Geschichte um einen Mann, der mit seinen Freunden die Wette abschliesst, auf seiner Erdumrundung achtzig Frauen ins Bett zu bekommen. Was der Verlag als Sachbuch und «aussergewöhnliche Reisereportage» labelte, bezeichnete der Autor später als Roman.
In einem Podcast von 2019 hat Thilo Mischke krude Thesen darüber verbreitet, dass der Mann wohl zum Vergewaltiger geboren sei. Der jetzige Leider-nein-Moderator verzapfte evolutionsbiologischen und frauenfeindlichen Unsinn mit der Unbekümmertheit eines Pubertierenden, der sein Publikum mit Testosterongeschichten beeindrucken will.
Diskussion ausgeschlossen
Das ist noch nicht lange her. Heute gibt sich der 43-Jährige als Geläuterter, will seine kokett vorgetragene Naivität aber noch nicht ablegen. Als es darum ging, sich als neues ARD-Fernsehgesicht vorzustellen, sagte Mischke in einem Video: «Mein Kulturbegriff ist ein eher unterkomplexer.»
Die Frage ist: Kann so jemand geeignet sein, ein Magazin zu präsentieren, in dem es gerade um Komplexität geht? Darauf hätte man gerne Antworten jener Programmleiterinnen und Programmleiter der regionalen ARD-Anstalten gehabt, die Mischke für eine gute Wahl hielten. Solche Antworten wird es nicht geben. Mit der Rücknahme seiner Entscheidung hat der Sender auch gleich alle weiteren Debatten beendet.
Christine Strobl, oberste Programmleiterin der ARD, hat das mit einem wahrhaft salomonischen Satz gegenüber der Deutschen Presse-Agentur getan: «Die Entscheidung der Kulturchefinnen und -chefs beruht auf der Erkenntnis, dass eine Diskussion nicht mehr möglich ist.» Wegen der Diskussionen um Thilo Mischke keine Diskussionen mehr? Mut sieht anders aus.
Auch in Sachen Transparenz scheint es bei der ARD nicht zum Besten bestellt zu sein. Laut Aussagen von Eingeweihten soll der Mann, der mit Fernsehreportagen über Rechtsradikale, Jihadisten und Industriemüll bekannt geworden ist, beim Moderatoren-Casting gar nicht das beste Ergebnis geliefert haben. Wer hat hier gepokert, um Thilo Mischke durchzusetzen, und warum?
Es hat etwas Verzweifeltes, wenn die öffentlichrechtlichen Sender versuchen, neues Publikum für ihre alten Formate zu bekommen. Da kann es schon genügen, sich als Moderator eines Kunstmagazins für einen unterkomplexen Kulturbegriff zu loben. Frisch, frech und nah am Podcast-Sound.
Jugendlichkeitszwang
Damit wäre Mischke tatsächlich so etwas wie eine Antithese zu seinem Langzeitvorgänger Max Moor gewesen, der seit 2007 bei «TTT» gedient hat. Das Exzentrischste an diesem Moderator war neben seinem markanten Gesicht die 2013 gefällte Entscheidung, nicht mehr den Vornamen Dieter tragen zu wollen. Max Moor war neben Siham El-Maimouni, die mit ihm im Wechsel moderierte und auch weiter moderieren wird, der verlässliche Anker von «TTT».
Ganz auf Seriosität gebürstet zu sein, scheint dem Magazin nicht geschadet zu haben. 850 000 Zuschauer im Schnitt sind nicht schlecht, aber wenn ARD und ZDF in Modernisierungslaune sind, dann vergreifen sie sich nicht am Heizdeckenfernsehen des Vorabendprogramms, sondern am liebsten an der Kultur.
Sophie Passmanns Literatursendung «Studio Orange» ist im vorletzten Jahr nach ein paar Folgen krachend gescheitert, weil sie genau so gemacht war, wie sich ältere Programmverantwortliche pfiffige Jugendlichkeit vorstellen. Polternd, naiv und mit jener Portion Moderatorenegozentrik, auf die man wohl auch mit dem Engagement von Thilo Mischke setzen wollte.
Ziemlich verschämt ist der Sender RBB bisher mit einem Lichtblick öffentlichrechtlicher Innovationskraft umgegangen: mit der von ihm produzierten Reihe «Longreads», in der sich die Schriftstellerin Helene Hegemann sehr klug mit ihren Gästen über Bücher unterhält. Die einzigen drei Folgen davon sind noch in der ARD-Mediathek zu sehen. Gast in der ersten Sendung war Thilo Mischke. Man kann offenbar gut mit ihm reden. Das hätte das deutsche Fernsehen vielleicht auch machen sollen, bevor es sich erst in die Nesseln setzte, um jetzt ein Ende der Diskussion zu verhängen.