Depressionen nach der Geburt eines Kindes ereilen manchmal
auch Männer. Das hat mit hormonellen Veränderungen in ihrem Gehirn zu tun. Diesen Vätern kann geholfen werden.
Er war intelligent, erfolgreich im Beruf, führte eine glückliche Partnerschaft. Man könnte sagen: Der Mann hatte ein ziemlich perfektes Leben. Und dann kam das Baby. Schlaflose Nächte, Geschrei, keine Zeit mehr für sich selbst – das Leben mit einem Neugeborenen ist ein Kraftakt, nicht nur für Mütter. Für diesen Mann fühlte sich die ersehnte Vaterschaft erdrückend an. Wie ihm geht es auch anderen Männern: Statt Freude spüren sie Leere, statt Nähe Distanz.
Andreas Walther, Oberassistent am Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Zürich, erzählt von diesem Mann, der bei ihm in Behandlung war. Nach der Geburt des Kindes sei der Vater in einen intensiven «Work-Family-Konflikt» geraten.
Der Psychologe stellte eine postpartale Depression bei dem Mann fest. Sein ehemaliger Patient ist kein Einzelfall. Laut Studien sind etwa zehn Prozent der Väter davon betroffen.
«Einerseits wollte er in seiner anspruchsvollen beruflichen Rolle weiterhin 100 Prozent leisten, andererseits spürte er den Anspruch, ein liebevoller und fürsorglicher Vater zu sein, der viel Zeit mit seinem Baby und seiner jungen Familie verbringt», beschreibt Walther. Das geht nicht gut zusammen.
Spannungsfeld zwischen Beruf, Partnerschaft und Vaterrolle
Der nur zweiwöchige Vaterschaftsurlaub hatte den Druck auf Walthers Patienten zusätzlich verstärkt. Die Belastung als Hauptverdiener und die unrealistischen Ansprüche an sich selbst führten schliesslich zu der Depression.
Längst nicht immer wird eine postpartale Depression bei Vätern erkannt. Woran das liegt? «Das Krankheitsbild bei Vätern unterscheidet sich oft deutlich von dem bei Müttern», erklärt Walther.
Während Frauen häufig Symptome wie starke Traurigkeit, Schuldgefühle und Erschöpfung zeigen, äussere sich die postpartale Depression bei Vätern oft ganz anders: Die Betroffenen sind reizbar, ziehen sich zurück, konsumieren mehr Alkohol oder auch Drogen als zuvor. «Das erschwert die Diagnose erheblich», sagt Walther.
Dabei ist es gar nicht überraschend, dass sich die Depression nach der Geburt bei Männern auf solch eine Art und Weise zeigt. Andreas Walther weiss: Ganz generell zeigen depressive Männer eher solche Symptome und nicht etwa Traurigkeit oder Antriebslosigkeit, die man für gewöhnlich mit Depressionen verbindet.
Hormonelle Veränderung mitursächlich für Depressionen
Dass Männer überhaupt an einer postpartalen Depression erkranken, liegt laut Walther neben den neuen Rollenanforderungen auch an hormonellen Veränderungen, die stattfinden.
Bei frischgebackenen Vätern sinkt der Testosteronspiegel, vermutlich weil ihre Rolle sich verändert: «Statt Wettbewerb und Dominanz treten Fürsorge und Bindung in den Vordergrund, was die Vater-Kind-Bindung stärkt. Evolutionsbiologisch ist dies natürlich sinnvoll, da durch den Schutz und die Fürsorge des Vaters die Wahrscheinlichkeit steigt, dass die Nachkommen überleben.»
Als Reaktion auf den Schlafmangel und den Druck der neuen Verantwortungen steigt zugleich die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol an. Aus Studien geht hervor, dass Männer auf das Schreien eines Babys mit einer vergleichbaren Cortisolausschüttung reagieren wie Frauen. «Diese hormonellen Veränderungen helfen Vätern, auf die neuen Anforderungen zu reagieren, können jedoch auch das Risiko für eine Depressionen erhöhen», erklärt Walther. Denn sowohl niedrige Testosteronlevel als auch erhöhte Cortisollevel seien biologische Risikofaktoren für Depressionen bei Männern.
Und was können die betroffenen Männer tun? Die Therapie von postpartalen Depressionen unterscheidet sich nicht von der herkömmlicher Depressionen. Deshalb rät Andreas Walther zur kognitiven Verhaltenstherapie, da diese sich in Studien als besonders wirksam gegen Depressionen herausgestellt hat.
Zusätzlich könne es Männern helfen, ihre Rollenvorstellungen zu hinterfragen und überhöhte Ansprüche an sich selbst zu erkennen. Gruppentherapien können den Austausch zwischen betroffenen Vätern fördern. Bei schweren Fällen komme eine medikamentöse Behandlung infrage. Die Erfolgsaussichten seien insgesamt gut. «Etwa zwei Drittel der Betroffenen zeigen einen guten Therapieverlauf, von denen die Hälfte langfristig stabil bleibt», so Walther.
Tipps zur Stärkung der Vater-Kind-Bindung
Damit es aber gar nicht erst so weit kommt, können Männer das Risiko einer postpartalen Depression von vornherein verringern. Andreas Walther empfiehlt, sich schon vor der Geburt mit dem Vatersein auseinanderzusetzen und danach positive Bindungserfahrungen zu fördern. Der Mann könne sich etwa aktiv in die Pflege des Babys einbringen. «Seine Ansprüche an sich und seine Rolle als Vater sollte er dabei immer wieder reflektieren und mit seiner Partnerin eine offene Kommunikation führen.»
Hier setzt auch das Netzwerk postpartale Depressionen Schweiz an. Teil dieses Netzwerks ist Remo Ryser, Väterberater bei der Mütter- und Väterberatung Kanton Bern.
Bei seiner Arbeit bemerkt er immer wieder: Anders als bei betroffenen Müttern ist die Stigmatisierung betroffener Väter immer noch gross. Er sagt: «Eine gesellschaftliche Männlichkeitsanforderung, die sich am hartnäckigsten hält, ist weiterhin: Hab’s im Griff. Sei stark. Zeige keine Schwächen.» Seine Beobachtung: Männer, die Väter würden und dabei offen zu ihren Unsicherheiten stünden, würden immer noch häufig als Schwächlinge belächelt oder als Versager abgestempelt.
Doch er sieht Veränderungen. «Es bewegt sich etwas. Das zeigt sich in unseren Väterrunden in Geburtsvorbereitungskursen und Vater-Kind-Treffs.» Dort fänden die Männer einen sicheren Ort, an dem sie mit ihren Sorgen und Ängsten gehört würden und realisierten: Ich bin mit diesen nicht allein. Wichtig: Die Väterberater gehen jeweils mit gutem Beispiel voran und erzählen von eigenen Grenzerfahrungen und Nöten als Väter.
Mit den Betroffenen spricht er über Gefühle, Gedanken und Spannungsfelder des Vaterseins. «Die Väter kommen in der Regel mit dem Eindruck zu uns, nicht in die Vaterrolle hineinzufinden. Wir schauen dann gemeinsam auf ihre Erfahrungen rund um Geburt, Schwangerschaft und Wochenbett und was gerade in ihrer Innenwelt passiert», erklärt Ryser.
Habe er die Vermutung, dass der Unsicherheit eine postpartale Depression zugrunde liege, verweise er an psychotherapeutische Fachpersonen in der Region.
Hohe Stigmatisierung betroffener Väter
Weil viele Väter nicht einmal wissen, dass Wochenbettdepressionen auch bei Männern vorkommen können, setzt Ryser auf Aufklärung. «Wir sprechen in unseren Väterrunden ‹Start ins Vatersein› dieses Thema konsequent an und sprechen darüber, wie wir damit umgehen, wenn wir an unsere Grenzen stossen.»
Von vielen Hebammen und Beraterinnen zur frühen Kindheit wisse er, dass sie dasselbe täten. «Aber leider ist es immer noch so, dass Väter mit ihren Fragen, Herausforderungen und auch Belastungen rund um die Geburt oft übersehen werden, weil der Blick hauptsächlich auf die Mutter-Kind-Beziehung gerichtet ist.»
So ging es auch dem ehemaligen Patienten von Andreas Walther. Er hatte Überzeugungen wie «Ich muss ein Held für meine Familie sein» und «Nur wenn es allen gut geht, darf ich mich ausruhen» tief in sich verankert. Durch eine gezielte Behandlung aus männerspezifischer Psychotherapie und Paartherapie lernte er, so erzählt es Walther, seinen Alltag besser zu gestalten und sich selbst weniger zu überfordern. Das half ihm dabei, die Depression zu bewältigen und eine stabilere Balance zwischen Arbeit und Familie zu finden. Mit der Zeit schwand das Unwohlsein. Der Mann begann sich zu freuen. Denn er war Vater.
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