Würde allein die Kompetenz zählen, wäre Markus Wolf wohl so gut wie gewählt als neuer Chef des Dachverbands. Doch seine Nähe zu Urs Lehmann ist ein Handicap. Im finalen Countdown zur Wahl ist nun eine überraschende Idee aufgetaucht.
In gut einer Woche entscheidet das Schweizer Sportparlament, wer Swiss Olympic als Präsidentin oder Präsident in die Zukunft führen soll. Zur Wahl stellen sich die Altbundesrätin Ruth Metzler und der profilierte Sportfunktionär Markus Wolf. Die stimmberechtigten Verbände müssen sich – verknappt formuliert – zwischen Charme und Kompetenz entscheiden. Die Verlockung ist gross, das Amt in die Hände einer Frau zu legen, die in der Politik hervorragend vernetzt ist. Doch fachlich erreicht Metzler nicht das Niveau Wolfs.
Wolf sagt: «Der Sport ist meine Kernkompetenz. Ich kenne seine Prozesse, Entwicklungen und die Menschen, die in ihm tätig sind. Es geht im Amt darum, Strategien zu entwickeln, die Mittel effizient und am richtigen Ort einzusetzen. Dafür sind meine Erfahrungen wertvoll. Ich darf auf starke und belastbare Netzwerke innerhalb und ausserhalb des Sports zählen.»
Das ist ein indirekter Angriff auf Metzler und ihre Schwachstelle: Sie hatte zuletzt bei verschiedenen Auftritten wie etwa am «Magglingertag» oder am Sportforum in Luzern damit kokettiert, dass es kein Nachteil sei, von aussen zu kommen und einen neuen Blick auf den Sport zu werfen.
Das forsche Auftreten des Swiss-Ski-Präsidenten Urs Lehmann weckt in gewissen Kreisen Ablehnung
Im Wahlkampf ist die finale Phase eingeläutet. Verschiedene grosse Verbände haben sich zu einer der beiden Kandidaturen bekannt. Der Fussballverband, die Leichtathleten oder die Turner sprechen sich für Metzler aus. Swiss Ski, Swiss Ice Hockey und Swiss Cycling hingegen wollen für Wolf votieren.
Stimmberechtigt sind die 83 Mitgliedverbände von Swiss Olympic, einige Partnerorganisationen und Privatpersonen. Ihre Stimmkraft orientiert sich an ihrer Grösse. Schwergewichte sind der Fussballverband, Swiss Athletics und der Turnverband mit je 16 Stimmen – also Parteien, die allesamt hinter Metzler stehen.
Wolf schien lange der Favorit. Mittlerweile sehen die Prognosen Metzler vorne. Entsprechend siegessicher gibt sie sich. In einem Gespräch mit der NZZ vor einigen Wochen sagte sie, es werde diesmal nicht so knapp wie bei ihrer Wahl in den Bundesrat.
Ihre Zuversicht fusst nicht zuletzt darauf, dass Markus Wolf von Swiss Ski portiert wird. Die Athleten dieses Verbands sind ausgesprochen erfolgreich unterwegs. An den letzten Winterspielen 2022 in Peking gingen sämtliche vierzehn Schweizer Medaillen auf ihr Konto. Der Swiss-Ski-Präsident Lehmann sagte danach in einem Interview mit der NZZ, diese Erfolge würden zu wenig honoriert.
Es sind solch forsche Töne, welche die Ablehnung gegen Swiss Ski und Lehmann nähren. Wolf sagt: «Für mich ist das eine falsche Diskussion, weil ich nicht ein Vertreter dieses Verbands bin, und schon gar nicht ein Kandidat von Lehmanns Gnaden.» Überrascht hat ihn der Reflex gegen Swiss Ski und Lehmann aber nicht: «Ein Grund dafür könnte sein, dass wir in der Schweiz nicht gerne grosse, selbstbewusste und scheinbar mächtige Organisationen und Personen in der Verantwortung haben. Urs Lehmann verkörpert diesen Typus. Und ist kompetent.»
Lehmanns Auftreten weckt in gewissen Kreisen Ablehnung. Anderseits war der Schweizer Skisport immer ein Treiber für Fortschritte, von denen auch die anderen Sportverbände profitierten. Aus dem Kater der medaillenlosen Winterspiele 1964 in Innsbruck entstand eine politische Diskussion, deren Ergebnis die erste staatliche Unterstützung des Leistungssports war; durch das Nationale Komitee für Elitesport (NKES), die Sporthilfe und das Programm Jugend und Sport. 1972 versetzten die «Goldenen Tage von Sapporo» (mit dem späteren Bundesrat Adolf Ogi in einer Hauptverantwortung) das Land in eine Euphorie, die vielen etwas brachte.
Als die Schweizer 2005 ohne Medaille von den alpinen Ski-Weltmeisterschaften aus Bormio zurückkehrten, versammelte der damalige Sportminister Samuel Schmid die Protagonisten des Schweizer Sports im Berner Kursaal zu einem Krisentreffen, das den nächsten Entwicklungsschub auslöste. «Alles fährt Ski», war ein Gassenhauer und der Slogan einer ganzen Nation.
Die Idee für ein Co-Präsidium kommt wahrscheinlich zu spät
Wolf war von 2014 bis 2019 CEO von Swiss Ski. Diese Zeit hat sein Image geprägt. Er sagt: «Swiss Ski gehört europaweit zu den am besten organisierten Verbänden. Gemessen am Wert des Produkts schafft Swiss Ski ein enormes Werbepotenzial. Das schürt diffuse Ängste. Doch im Prinzip spricht das für die Arbeit, die dieser Verband leistet.»
Im Ranking der TV-Einschaltquoten erzielt das Schweizer Fernsehen mit Übertragungen von Skirennen regelmässig Spitzenwerte. Mithalten kann da höchstens noch die Fussball-Nationalmannschaft oder das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest.
Der Radsport-Verband Swiss Cycling vertritt eine klassische Sommersportart, trotzdem hat er sich zum «Wintersportler» Wolf bekannt. Der Präsident Patrick Hunger sagt, er teile die Befürchtung angesichts eines übermächtigen Wintersports nicht. «Wir sind selbstbewusst und unabhängig genug, um damit umgehen zu können. Man sollte die Funktion des Präsidiums nicht überhöhen. Zudem macht Swiss Ski vieles gut. Sein Beispiel kann ein Vorbild für andere Verbände sein.»
Nun, im finalen Countdown vor der Wahl, ist sogar noch eine neue Idee aufgetaucht, verbunden mit der Frage: Warum tun sich Wolf und Metzler mit ihren hochkarätigen Kandidaturen nicht zusammen und teilen sich die Aufgabe in einem Co-Präsidium?
René Stammbach ist Präsident von Swiss Tennis, einem anderen Schwergewicht in der Schweizer Sport-Landschaft, und sagt: «Ich würde eine solche Doppelkandidatur fraglos unterstützen. Der Sport würde so keine der beiden hervorragenden Persönlichkeiten verlieren. In der Politik und in der Wirtschaft sind solche Modelle längst an der Tagesordnung und funktionieren tadellos.»
Patrick Hunger ist bei Swiss Cycling selber in einem Co-Präsidium tätig, mit Franz Gallati, und weiss, dass so etwas funktionieren kann. Er sagt: «Es ist eine interessante Idee, aber wahrscheinlich kommt sie für Swiss Olympic zu spät.»
Markus Wolf gibt sich zur Idee eines Co-Präsidiums zurückhaltend. Er sagt: «Sie steht zurzeit nicht auf der Agenda. Meine Wahlchancen sind gut. Sollte aber eine Mehrheit der Verbände die Lösung in einem Co-Präsidium sehen, würden meinerseits kein alleiniger Machtanspruch und keine unsachlichen Gründe der Diskussion im Weg stehen.» Auch er hat mitbekommen, wie schwer sich viele tun mit dem Entscheid in der Frage «Metzler oder Wolf?». Spätestens der Wahltag vom 22. November muss Klarheit bringen.