Nato-Generalsekretär Mark Rutte und Norwegens Regierungschef Jonas Gahr Störe versuchten am Donnerstag in Washington nochmals die europäische Perspektive auf den Ukraine-Krieg zu erläutern. Aber der US-Präsident blieb bei seiner Russland-freundlichen Sichtweise.
Kurz nachdem der prorussische «Friedensplan» der USA durchsickerte, schlugen in Kiew in der Nacht auf Donnerstag stundenlang Raketen ein. Insgesamt zwölf Personen wurden getötet und neunzig verletzt. Er sei «nicht glücklich» über den Angriff, schrieb der amerikanische Präsident Donald Trump am frühen Morgen auf seinem Kurznachrichtendienst Truth Social. «Das war nicht nötig und kam zu einem sehr schlechten Zeitpunkt. Wladimir, Stopp!» Das klingt etwas verärgert, aber nicht wie eine ernstzunehmende Drohung.
Wie so oft verzichtete Trump auch diesmal darauf, dem russischen Diktator Wladimir Putin schmerzhafte Konsequenzen in Aussicht zu stellen. Bei der späteren Pressekonferenz im Oval Office mit dem norwegischen Ministerpräsidenten Jonas Gahr Störe wollte ein Journalist wissen: «Wenn die Bomben weiterhin einschlagen, werden sie zusätzliche Sanktionen gegen Russland erwägen?» Er wolle diese Frage erst kommende Woche beantworten, wich Trump aus. Er wolle nun schauen, ob ein Friedensabkommen möglich sei.
Die Nato ist vor allem für Europa wichtig
Eine Journalistin hakte nach: «Warum üben Sie nicht mehr Druck auf Russland aus?» Seine Regierung übe «sehr viel Druck» auf Moskau aus, behauptete Trump ohne weitere Erklärungen. «Sie wissen nicht, wie viel Druck ich ausübe.» Putin würde sonst gar keine Gespräche führen. Darauf fragte ein weiterer Reporter: «Welche Zugeständnisse hat Russland bisher offeriert, um einem Frieden näher zu kommen?» Der amerikanische Präsident dachte zwei Sekunden nach und meinte dann: «Den Krieg zu beenden. Damit aufzuhören, das ganze Land (die Ukraine) zu erobern. Das ist ein ziemlich grosses Zugeständnis.»
Seine europäischen Gäste dürfte Trump damit kaum beruhigt haben. Neben Ministerpräsident Jonas Gahr Störe gehörte auch der frühere Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg zur norwegischen Delegation. Er ist in Norwegen nun Finanzminister. Bei einer kurzen Fragerunde mit Journalisten vor dem gemeinsamen Mittagessen wurde Trump danach gefragt, ob die Nato für ihn «sakrosankt» sei. Der amerikanische Präsident antwortete: «Das ist eine sehr interessante Frage. Sie (die Nato) ist sicherlich wichtig für Europa. Ich denke, ohne uns wäre sie nicht annähernd so mächtig.» Ein klares Bekenntnis zur transatlantischen Allianz ist das nicht.
Störe und Stoltenberg versuchten nicht dem amerikanischen Präsidenten zu widersprechen. Vielmehr schien der norwegische Ministerpräsident bemüht, Trump mit schmeichelnden Worten für sich zu gewinnen. «Um diesen Krieg zu einem Ende zu bringen, ist das Engagement der USA entscheidend. Und Präsident Trump hat dies möglich gemacht, es passiert wirklich.» Störe erinnerte aber auch diplomatisch daran, dass «beide Konfliktparteien» den Druck spüren müssten, um zu einem Ergebnis zu kommen. Und im Gegensatz zu Trump machte er klar: «Die Ukraine wird angegriffen. Sie verteidigt sich.»
Der von der Trump-Regierung skizzierte Friedensplan setzt zurzeit einzig Kiew unter Druck. Die Ukraine müsste die russische Besetzung der Gebiete im Osten faktisch akzeptieren. Die USA würden die Halbinsel Krim zudem als russisches Territorium anerkennen und die Wirtschaftssanktionen gegen Moskau aufheben. Ein Nato-Beitritt wäre für Kiew ausgeschlossen, und gleichzeitig gäbe es keine konkreten Sicherheitsgarantien des Westens. Unter diesen Bedingungen könnte Putin eine kurze Verschnaufpause ungehindert dazu nutzen, eine neue Aggression vorzubereiten und bald wieder frische Truppen und neue Panzer in Richtung Kiew zu schicken.
Nato-Generalsekretär Rutte verbreitet Zuversicht
Trotzdem gab sich auch der Nato-Generalsekretär Mark Rutte am Donnerstag in Washington optimistisch. Er traf neben Trump auch den amerikanischen Verteidigungsminister Pete Hegseth, den Aussenminister Marco Rubio und den Berater für nationale Sicherheit Mike Waltz. Er habe mit seinem Gesprächspartner nicht nur über die Ukraine, sondern auch über die Vorbereitungen zum Nato-Gipfel im Juni in Den Haag geredet, erklärte Rutte am Donnerstag. Um Trump gütig zu stimmen, appellierte der Generalsekretär vor allem an die Europäer. Sie und die Kanadier müssten bei ihren Beiträgen für das Verteidigungsbündnis einen «Quantensprung» vollziehen, sagte Rutte vor seinen Treffen in Washington. Danach forderte er die Nato-Mitglieder dazu auf, «deutlich mehr» als 3 Prozent ihres Bruttoinlandprodukts in die Verteidigung zu investieren. «Mit 2 Prozent können wir das Nato-Territorium nicht schützen.»
Über seine Gespräche zur Ukraine wollte sich Rutte nicht wirklich in die Karten blicken lassen. Was er Präsident Trump zu einer möglichen Anerkennung der Krim als russisches Territorium sagte, wollte der Niederländer nicht erklären. «Diese Gespräche laufen, und es ist nicht hilfreich, wenn ich jeden Aspekt davon kommentiere.» Rutte gab sich aber zuversichtlich, dass die Verhandlungen vorankommen. In den vergangenen Tagen seien «riesige Schritte» gemacht worden. So bezeichnete er etwa das Treffen am Mittwoch in London mit amerikanischen, ukrainischen, britischen, französischen und deutschen Vertretern als «erfolgreich». Eigentlich hätte dieses auf Ministerebene stattfinden sollen. Aber Rubio und der Trump-Berater Steve Witkoff sagten ihre Teilnahme kurzfristig ab, nachdem der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski eine Abtretung der Krim kategorisch ausgeschlossen hatte.
Wenn sich die Ukraine und Russland nicht bald einigen sollten, würden sich die USA von den Friedensgesprächen verabschieden, sagte der amerikanische Vizepräsident J. D. Vance am Mittwoch warnend. Trump liess es am Donnerstag offen, ob die USA in einem solchen Fall die Ukraine noch mit Raketen oder Geheimdienstinformationen beliefern würden. Rutte gab sich aber auch in dieser Hinsicht optimistisch. Er gehe nicht davon aus, dass sich Amerika von den Gesprächen verabschiede: «Ich sehe eine Situation, in der dies unter Präsident Trumps Führung zu einem positiven Ende gebracht werden könnte.»
Rutte machte aber auch klar: «Der Ball liegt momentan klar bei Russland.» Am Freitag wird sich Trumps Sondergesandter Witkoff in Moskau voraussichtlich erneut mit Putin treffen. Wie der amerikanische Präsident scheint auch Witkoff mehr Sympathien für den russischen Autokraten als für den ukrainischen Präsidenten zu empfinden. Er habe eine Freundschaft mit Putin entwickelt, sagte Witkoff bereits im Februar. Die Verhandlungen bewegten sich in die richtige Richtung, erklärte der russische Aussenminister Sergei Lawrow am Donnerstag in einem Interview mit CBS. Aber einige Punkte brauchten noch einen «Feinschliff». Eine Einigung sei aber vor allem deshalb möglich, weil Trump «vermutlich der einzige» ausländische Staatschef sei, der die «ursprünglichen Gründe» des Konflikts verstehe. Dessen Amtsvorgänger Joe Biden habe die Ukraine in die Nato ziehen wollen, meinte Lawrow, und Trump möchte diesen «riesigen Fehler» nun korrigieren. Moskau scheint überzeugt davon, dass der amerikanische Präsident die russische Weltsicht teilt.