Volle Gruppenkurse, Versagensängste oder andere Angststörungen können den Spass am Sport trüben. Was hilft?
Körperliche Aktivität und emotionales Wohlbefinden sind eng verbunden. Einerseits kann uns Sport ein Gefühl der Selbstwirksamkeit geben, er stärkt die Leistungs- und die Widerstandsfähigkeit, und durch die Ausschüttung von Neurotransmittern wie Serotonin, Noradrenalin und Dopamin stellt sich ein Gefühl von Zufriedenheit ein. Wissenschaftliche Studien belegen diesen begünstigenden Effekt auf die Psyche, weshalb Sport auch in der Therapie von verschiedenen psychischen Erkrankungen wie Depressionen eingesetzt wird.
Doch gerade bei Angststörungen gibt es eine knifflige Besonderheit: Sport kann neue belastende Situationen hervorbringen, etwa Höhenangst oder die Angst, sich in der Gruppe bei einer neuen Übung zu blamieren. Sport triggert auch bestehende Ängste, oft unvorhersehbar, etwa wenn ein Sportkollege einen bestimmten Duft trägt oder die Trainerin einen gewissen Tonfall anschlägt.
So kann es vorkommen, dass sich bereits vorhandene Ängste auch in einer Zumba-Stunde, in der Garderobe des Hallenbads oder beim Grümpelturnier melden. Diese unangenehme Erfahrung nimmt die Freude am Sporttreiben und führt dazu, dass manche Betroffene den Sport ganz sein lassen – mit weitreichenden gesundheitlichen Folgen, von Bewegungsmangel bis zu Isolation und Verstärkung der Symptome.
Imke Knafla, die sich als Co-Leiterin Zentrum Klinische Psychologie & Psychotherapie an der ZHAW unter anderem mit Stressbewältigung und Resilienzförderung befasst, kennt noch andere Wechselbeziehungen von Sport und Angst: «Eine zu starke Angst kann beispielsweise in Wettkampfsituationen auch zu Leistungseinbussen führen.» Doch Angst könne im Sportkontext auch einen präventiven Aspekt haben. «Ein gewisses Mass an Angst kann als Antrieb dienen, so dass man sich intensiver mit einer Situation auseinandersetzt, sich besser vorbereitet – und so Unfällen oder Verletzungen vorbeugt», sagt sie.
Vorhersehbarkeit ist wichtig
Angststörungen, von der WHO definiert als eine «generalisierte, anhaltende und nicht auf bestimmte Umgebungsbedingungen beschränkte Angst», sind in unterschiedlichen Ausprägungen in der Gesellschaft weit verbreitet: Schätzungsweise 15 bis 20 Prozent der Schweizer Bevölkerung leben damit. Angststörungen äussern sich bei Betroffenen mit Symptomen wie ständiger Nervosität, Zittern, Muskelspannung, Schwitzen, Herzklopfen oder Schwindelgefühlen.
Gerade für Menschen mit Angststörungen ist Sport aber eine Möglichkeit, die Symptome zu verbessern und sich im sicheren Rahmen den Ängsten zu stellen. Leidet jemand zum Beispiel an Platzangst und geht auf eine Bergtour, kann es ein Gefühl von Kontrolle vermitteln, sich mental darauf vorzubereiten, dass zu der Wanderung die Auffahrt mit einer Gondel gehört, die möglicherweise voll sein wird.
Sich dann mögliche Bewältigungsstrategien zu überlegen, ist ein wichtiger Schritt: «Vorhersehbarkeit und Kontrolle können die Angstreaktion reduzieren», sagt Knafla. Je besser Betroffene unvorhersehbare Situationen antizipieren können, desto besser können sie sich darauf vorbereiten. Menschen mit einer Angststörung sollten sich vorab klar sein, unter welchen Bedingungen sie eine gewählte Aktivität ausüben können und wollen. Im Falle der Bergwanderung also: Halte ich es in einer vollen Gondel aus? Bin ich mit einer alternativen Wanderroute auch zufrieden?
Herausfordernder sind unvorhersehbare Situationen und Angststörungen, die bei bestimmten Triggern ausgelöst werden. Hier kann es eine einfache und niederschwellige Möglichkeit sein, im eigenen, sicheren Zuhause mittels Online-Kursen seine Grenzen zu testen. Allerdings ist es gerade für Betroffene von sozialen Ängsten typisch, Situationen systematisch zu vermeiden, die Angst auslösen könnten.
«Bei sozialen Ängsten kann es durchaus Vermeidung sein, wenn jemand Online-Angebote nutzt, um nicht von anderen beobachtet oder beurteilt zu werden», bestätigt Imke Knafla. Doch sie relativiert: Bei sozialen Ängsten könnten Online-Lektionen ein erster, vorbereitender Schritt sein, «quasi bevor ich den Schritt nach aussen wage». Bei sozialen Ängsten können auch kleine Gruppengrössen dazu beitragen, dass sich Betroffene wohler fühlen. Es lohnt sich, bei Studiobetreibern und Kursleitenden nachzufragen, welche Lektionen wenig besucht sind.
Tipps gegen die Angst
Was tun, wenn die Angst beim Sport doch kommt? Hier setzt die Psychologin auf Atemübungen und Entspannungstechniken. «Bei Angststörungen ist es generell zu empfehlen, sich mit diesen Techniken auseinanderzusetzen. Werden diese vorab gelernt, so weiss man, wie man in der jeweiligen Situation reagieren kann», sagt Knafla. Dies reduziere die Hilflosigkeit und vermittle Kontrolle durch die Möglichkeit, etwas zu tun.
Je nach Situation kann es auch hilfreich sein, diese kurz zu verlassen, wenn etwa der Duft der Nachbarin im Gruppenkurs unangenehme Gefühle auslöst. Hier ist wieder die Vorbereitung wichtig: Wo kann ich mich wenn nötig zurückziehen, ist die Garderobe leer, oder kann ich kurz vor die Türe? Dort kann man sich dann fragen, wie real die befürchtete Gefahr tatsächlich ist.
Bei manchen Menschen funktionieren auch Visualisierungen gut, wenn man sich zum Beispiel vorstellt, dass man die herausfordernde Situation erfolgreich gemeistert hat. Auch ein sogenannter «accountability buddy» kann bei plötzlich aufkommender Angst ein sicherer Anker sein: eine Vertrauensperson, die über die Angst informiert ist und weiss, wie handeln. Wer sich zu zweit für einen Kurs oder eine Aktivität anmeldet, schafft zudem Verbindlichkeit – der Angst wird so gleich doppelt ein Schnippchen geschlagen.
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