Fabio Marchesin ist der bekannteste Finanz-Influencer der Schweiz. Jetzt ruft er dazu auf, eine Petition der FDP zu unterschreiben.
Ratterratter. Im hinteren Teil eines Podcast-Studios steht ein automatischer Zähler in einem Plexiglaskasten, der Instagram-Follower zählt. Bei jedem neuen Follower blättert er die Ziffer um. Der derzeitige Stand: 82 621. Der Instagram-Zähler und auch das Studio gehören Fabio Marchesin. Er sagt: «Am Anfang habe ich bei jedem Follower innerlich gejubelt. Heute höre ich das Geräusch oft gar nicht mehr.»
Fabio Marchesin nennt sich Finanzfabio. Er ist 37 und der bekannteste Finanz-Influencer der Schweiz. Jahrelang hat er in Lenzburg als Finanzplaner gearbeitet. Dann hat er sich ein Büro mit Studio aufgebaut, mit teurem Equipment, grauen Teppichen und einer dunkelblauen Wand. Im Regal stehen Bücher mit Titeln wie «Think and Grow Rich» oder «Rich Dad Poor Dad».
In seinem Podcast erklärt Fabio die Altersvorsorge, auf Social Media teilt er Tipps zum Sparen oder Investieren. Fabio postet fast täglich. Doch letzte Woche hat er auf Linkedin einen Post hochgeladen, der anders ist als die bisherigen.
Darin schreibt Fabio: «Während des Spiels die Regeln ändern? Unfair!» – «Bei Kindergartenkindern vielleicht okay, aber doch nicht vom eigenen Staat! (Wobei . . . manchmal erinnert Bern tatsächlich an einen Kindergarten.)»
Fabio hat sich lange nicht zu politischen Belangen geäussert. Jetzt kann er nicht anders. «Bei diesem Thema wäre es falsch, nichts zu sagen.»
Das Thema, über das sich Fabio so aufregt, ist die geplante Erhöhung der Steuern auf Vorsorgegelder, die sich in der Vernehmlassung befindet. Eine Expertenkommission hat den Vorschlag als Teil des Sparprogramms des Bundes geplant, um weitere Einnahmen zu generieren.
Nach heutiger Rechtslage ist es steuerlich attraktiv, Kapital aus der dritten und der zweiten Säule zu beziehen. Der Fiskus erfasst die Steuern auf den Kapitalbezügen getrennt vom übrigen Einkommen und belastet sie mit einem tieferen Steuersatz. Sollte der Vorschlag durch die Vernehmlassung kommen, könnten diese Vorteile künftig verschwinden. Fabio fände das unfair. Er sagt: «Wer für sich selbst vorsorgt, darf nicht bestraft werden.»
Dutzende fragen, ob sie noch in die Säule 3a einzahlen sollen
Es sind ein paar Sätze im Internet. Doch Fabio hat damit einen kleinen Sturm verursacht.
Auf Linkedin ruft Fabio seine Follower dazu auf, eine Petition der FDP zu unterstützen, die Unterschriften gegen die geplante Erhöhung der Steuern auf Vorsorgegelder sammelt. Damit ist er Teil einer Gruppe von Influencern und Youtuberinnen, die politisch Einfluss nehmen wollen. Dazu gehört auch der Schweizer Satiriker und Youtuber Michael Elsener. Vor der Abstimmung zum Ausbau der Autobahn drehte Elsener ein Video mit dem Titel «Rösti versteht das Strassengesetz nicht», die FDP bezeichnete er als Akronym für «Fuck the Planet».
Die Petition der FDP, die Fabio bewirbt, hat Stand jetzt 42 000 Unterschriften. Nicht viel, wenn man bedenke, dass das Thema die ganze Schweiz angehe, sagt Fabio. Auf all seinen Kanälen folgen ihm zusammengerechnet über 130 000 Menschen. Nicht einmal die Hälfte von ihnen müsste unterschreiben, und es würde reichen für ein Referendum.
Bei Fabio Marchesin hat sich etwas verändert. Er habe sich lange nicht politisch engagiert, weil er der Meinung sei, man solle nur etwas sagen, wenn man darüber auch viel wisse. Jetzt glaubt er, viel zu wissen. Oder zumindest genug.
Fabio sagt: «Ich sehe meine Verantwortung darin, zu zeigen, dass das der falsche Weg ist.» Seit Bekanntwerden der geplanten Zusatzsteuern fragen ihn täglich Dutzende Personen, ob sie noch in ihre Säule 3a einzahlen sollten. In einem Kommentar unter seinem Linkedin-Post schreibt er: «Die, die wissen, von was sie sprechen, sollten auch lauter sein als die anderen.»
Fabio kritisiert Bundesbern
Fabio ist laut. Im Oktober schrieb er in einem Post auf Linkedin: «Bundesrätin Karin Keller-Sutter treibt die Schweiz in die Altersarmut! Der Bund beweist immer wieder, dass er nicht in der Lage ist, den Wohlstand der Bevölkerung im Pensionsalter zu sichern.»
Die Expertengruppe hat vorgeschlagen, die Kapitalbezüge im Rahmen der Altersvorsorge im Vergleich zu den Rentenleistungen nicht mehr steuerlich zu begünstigen. Sie begründet ihren Vorschlag so: Zum einen stelle der Rentenbezug die Einkommen im Alter mit weniger Risiken sicher als der Kapitalbezug und senke die Gefahr, dass Pensionierte später Ergänzungsleistungen beziehen müssten. Zum anderen sinke dadurch der Anreiz, die zweite und die dritte Säule nur zu nutzen, um damit Steuern zu optimieren.
Allgemein schreibt die Expertengruppe in ihrem Bericht, dass es besser sei, die Steuervergünstigungen aufzuheben, als die Mehrwertsteuer oder die direkte Bundessteuer zu erhöhen. Dass es überhaupt Steuererhöhungen brauche, begründet der Bundesrat damit, dass das Sparpaket des Bundes ausser auf der Ausgaben- auch auf der Einnahmenseite ansetzen solle.
Ob der Bund tatsächlich Zusatzeinnahmen braucht, ist jedoch umstritten. Letzte Woche gab die Finanzverwaltung bekannt, dass der Bund seine Jahresrechnung von 2024 mit einem geringen Defizit von 80 Millionen Franken abschliesst. Das entspricht 0,1 Prozent der Ausgaben. Budgetiert war ein Finanzierungsdefizit von 2,6 Milliarden Franken.
Fabio sagt, er beobachte derzeit erstaunlich wenig Widerstand gegen die geplante Erhöhung der Steuern auf Vorsorgegelder. Der Finanzplanerverband müsste eigentlich laut werden. Aber er werde es nicht. Stattdessen seien die Finanzplaner bereits fleissig daran, Berechnungen anzustellen für einen möglichen neuen Ist-Zustand. «Es scheint mir, als hätten sie die Vorlage bereits akzeptiert. Als hätten sie resigniert.»
Käme die Steuererhöhung durch, wäre die Säule 3a nicht mehr interessant, sagt Fabio. Firmen, die Produkte der zweiten und der dritten Säule verkauften, hätten dann ein Problem. Die grössten Leidtragenden aber seien Personen mit einem mittleren Einkommen, die etwa auf Ferien verzichteten, um in die dritte Säule einzahlen zu können.
Fabios Hauptargument ist: «Es muss sich lohnen, etwas zu leisten.»
Seriöser Job oder Bar in Las Vegas
Fabio ist in Lenzburg aufgewachsen. Geld habe ihn schon immer interessiert, sagt er. Ein seriöser Job mit gutem Lohn, das war sein Ziel. Fabio machte das Diplom zum Finanzplaner. Die Eltern waren stolz. Und Fabio war zufrieden.
Doch irgendwann hatte er «keinen Bock mehr» auf die Finanzbranche.
Mit dreissig dachte Fabio daran, zu kündigen und eine Barkeeper-Schule in Las Vegas zu besuchen. Doch das Internet kam dazwischen. Fabio fand ein Inserat des mittlerweile eingestellten Magazins «Friday» von «20 Minuten». Er sollte seine Ausgaben tracken und einen Beitrag dazu verfassen.
Fabio machte es Spass, sich mitzuteilen. Im Oktober 2018 begann er, Beiträge zu Spartipps und später Ratgeber-Videos auf einem Blog hochzuladen. Er nannte ihn «Finanzfabio».
Fabios Marke begann zu wachsen. Langsam zwar – ein Jahr habe es gedauert, bis ihm 2000 Leute auf Instagram gefolgt seien –, aber stetig. Im Hintergrund rattert der Zähler.
Anfangs verfasste Fabio seine Blog-Beiträge noch an den Sonntagen und arbeitete unter der Woche als Finanzplaner. Doch über seine Website kamen immer mehr Beratungsanfragen herein. Irgendwann handelte Fabio mit seinem Arbeitgeber einen Deal aus: Die komplizierten Anfragen sollten über seinen Arbeitgeber laufen. Die einfachen durfte er als Finanzfabio, also selbständig, machen.
Fabio arbeitete von da an nur noch 80 Prozent. 2020 bekam er von der Aargauer Kantonalbank einen niedrigen fünfstelligen Betrag, um damit einen Podcast zu starten. Fabio erreichten noch mehr Beratungsanfragen, er reduzierte sein Pensum noch weiter, bis er irgendwann feststellte: Beides, Finanzplaner und Finanzfabio, geht nicht mehr.
Fabio und seine Frau erwarteten zu dieser Zeit gerade ein Kind. Auch wenn es unsicher war, Fabio wollte sich selbständig machen. Dem Ganzen eine Chance geben und, wenn es nicht klappt, wieder einen stabilen Job suchen – das war der Plan.
Fabio bereut heute nichts. Für ihn ist der Weg in die Selbständigkeit aufgegangen. Zumindest vorerst. «Ich verdiene heute in einem Jahr als Finanzfabio mehr als davor als Finanzplaner», sagt er.
Ratterratter. Der Glaskasten zeigt mittlerweile 82 645 Follower.