Die Schwester des argentinischen Präsidenten ist die Schlüsselfigur in seiner Regierung: Sie entscheidet, wer Zugang zu Milei bekommt und wie der Präsident strategisch vorgeht.
Im Wahlkampf schimpfte Javier Milei gegen die «Kaste» in der argentinischen Politik. Doch einen Tag nach seinem Antritt im Dezember 2023 machte er in seiner ersten Amtshandlung das, was er an den etablierten Politikern so heftig kritisiert hatte. Er änderte ein Dekret seines konservativen Vorvorgängers Mauricio Macri, das verhindern sollte, dass der Präsident Verwandte für Kabinettsposten nominiert.
Nachdem er das Dekret 93/2018 für ungültig erklärte hatte, machte er genau das: Er ernannte seine Schwester Karina Elizabeth Milei zur Generalsekretärin seiner Regierung. Niemand konnte ahnen, dass die 52-jährige Karina in sechs Monaten zur mächtigsten Figur nicht nur in seiner Regierung, sondern in der Politik allgemein werden sollte.
Inzwischen ist Mileis zwei Jahre jüngere Schwester als engste Vertraute der entscheidende Gatekeeper für Milei geworden. Sie entscheidet darüber, wer mit Milei sprechen darf und wer nicht. Sie soll alle Vorlagen und Gesetzestexte lesen, bevor Milei sie weiterleitet. Sie kontrolliert Mileis Partei La Libertad Avanza (LLA) – Die Freiheit schreitet voran – und deren Finanzen.
Erfolg im Abgeordnetenhaus
Dabei ist sie überraschend erfolgreich: Sie hat entscheidend daran mitgearbeitet, dass das umfassende Reformprogramm für Staat und Wirtschaft letzte Woche vom Abgeordnetenhaus angenommen wurde, obwohl die Regierung dort nur eine Minderheit der Sitze hat. Bei Themen der Verwaltung, der Energie, der Wirtschaft und der Finanzen kann Milei nun am Kongress vorbei für ein Jahr per Dekret regieren, falls der Senat dieser Ermächtigung auch zustimmt.
Als das Programm nach einer nächtelangen Sitzung in einer Kampfabstimmung angenommen wurde, klatschte Karina Milei von einer Loge im Kongress aus Beifall, wie eine Monarchin. An ihrer Seite sass Innenminister Guillermo Francos, der die Beziehungen zu den Provinzgouverneuren pflegt. Das Signal war klar: Karina ist zur wichtigsten Strippenzieherin der Regierung im Kongress geworden.
Anders als vor drei Monaten, als das Reformpaket am Widerstand der Legislative gescheitert war, war Karina Milei jetzt bei den Verhandlungen anwesend. Sie wirkte als Garantin dafür, dass Milei – der den Prozess schweigend und nicht wie zuvor schimpfend begleitete – hinter den Abmachungen stehen und nicht wieder alles hinwerfen würde, wie er dies im Februar getan hatte.
Diesen Einfluss Karina Mileis haben die wenigsten erwartet. Bis vor wenigen Jahren verkaufte sie Torten im Internet und legte Tarotkarten. Zuvor hatte sie Marketing und PR an privaten Universitäten studiert. Doch dann organisierte sie für ihren Bruder den Wahlkampf. Sie gründete nicht nur seine Partei LLA, sondern bestimmte auch, wer für diese antreten oder Funktionen übernehmen darf. «Sie ist Moses», sagt Milei über sie. «Ich bin nur ihr Verkünder.»
Sie soll der einzige Mensch sein, dem Milei vertraut. In Mileis schwieriger Kindheit soll sie ihren älteren Bruder vor der väterlichen Gewalt in Schutz genommen haben, heisst es in seiner nicht autorisierten Biografie. Auch die Mutter schien ihrem Sohn wenig Aufmerksamkeit geschenkt zu haben. Milei hatte über zehn Jahre keinen Kontakt mit seinen Eltern. Er sprach über sie als seine «Vorfahren». Karina brachte erstmals seine Mutter zu einer Wahlveranstaltung.
Sie ist der Chef – daran zweifelt niemand
Zum Amtsantritt im Dezember stieg Karina im weissen Kostüm vor ihrem Bruder vor dem Kongress aus der Limousine – und nicht Mileis damalige Freundin Fátima Flórez. Der Präsident ist wie seine Schwester nicht verheiratet, sie haben auch keine Kinder aus früheren Beziehungen.
Er nennt Karina «el jefe», also «den Chef» – nicht die Chefin. «Ohne sie wäre das hier alles nicht möglich gewesen», dankte er in seiner Siegesrede nach der Wahl. Nach einer Umfrage des Instituts Giacobbe wird Karina im Internet vor allem mit dem Begriff «jefe» assoziiert. Als Milei vor zwei Wochen Elon Musk im texanischen Austin besuchte, war Karina an seiner Seite. Milei stellte sie als «den Boss» vor.
Der Milei-Biograf Juan Luis González sagt, dass niemand an ihr vorbeikomme, der mit dem Präsidenten reden wolle. Jeder wisse, welche Telefonnummer man anrufen müsse, um zu Milei zu kommen, sagte González in einem Interview mit der BBC.
Einen zukünftigen Konflikt erwarten viele in Buenos Aires mit der Vizepräsidentin Victoria Villarruel, die auch die Vorsitzende des Senats ist. Sie ist ähnlich machtbewusst wie Karina. Nach der Verfassung ist sie die zweitmächtigste Person in der Regierung. Sollte der so explosive wie unberechenbare Milei sein Amt verlieren oder zurücktreten, dann würde Villarruel seine Nachfolgerin.
In einem Interview erklärte die 48-jährige Villarruel, dass Karina eine starke Persönlichkeit habe. «Wir sind in mancher Hinsicht ähnlich, in anderer nicht. Dazwischen ist Javier, der arme kleine Schinken.»
Wollen die Mileis eine politische Dynastie gründen?
Unklar ist, ob Karina Milei persönlich politischen Ehrgeiz hat. Bei den nächsten Wahlen Mitte 2025 könnte sie als Senatorin antreten, wird in Buenos Aires spekuliert. Oder träumen die Milei-Geschwister von einem fliegenden Wechsel im Präsidentenamt – so wie einst beim Ehepaar Néstor und Cristina Fernández de Kirchner?
Von ihr selbst ist zum Thema politische Zukunft nicht viel zu hören. Sie gibt kaum Interviews und ist nicht auf den sozialen Netzwerken aktiv. Vor einem Jahr hat sie die Marke «Milei» auf ihren Namen eintragen und schützen lassen.
In einem der wenigen Interviews erklärte sie, dass Milei und sie wegen ihrer Ideale in die Politik gegangen seien. Mileis Biograf González sagt dazu: «Sie glauben, dass Gott sie auserwählt hat, und alles, was sie tun, entspringt dieser Idee: Sie sind überzeugt, dass ihr Leben Teil eines prophetischen Plans ist, der von einer höheren Macht entworfen wurde.»