Vielen fällt es schwer, über den Gaza-Krieg zu reden. Zu komplex und aufgeladen erscheinen die Begriffe. Diese Übersicht schafft Klarheit.
Der Nahostkonflikt ist komplex. Er ist historisch verzwickt, politisch aufgeladen und in Anbetracht des menschlichen Leids emotional überfordernd. Vielen fällt es schwer, über den Konflikt zu sprechen. Zudem fürchten viele, unwissentlich etwas Falsches zu sagen. Gerade in den sozialen Netzwerken ist der nächste Shitstorm nur ein Wort entfernt.
Diese Übersicht erklärt die wichtigsten Begriffe einfach und kurz.
Wer Juden hasst, ist ein Antisemit. So eindeutig, so einfach. Doch was heisst der Begriff genau? Darüber wird viel diskutiert. Die Internationale Allianz zum Holocaustgedenken definiert Antisemitismus als «eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann». Das heisst, wer Vorurteile gegenüber dem Judentum hat und diese auf einzelne jüdische Menschen überträgt, verhält sich antisemitisch. Egal, ob das mit Hass verbunden ist oder nicht.
Auch bestimmte Äusserungen zum Staat Israel sind problematisch. Kritik an einem Staat ist legitim. Doch wer Vorurteile über Juden auf den Staat Israel überträgt, verhält sich antisemitisch. Wer etwa behauptet, Israel sei ein Land voller Kolonialherren und damit ein Unrechtsstaat, sollte noch einmal nachdenken. In Israel gibt es gute und schlechte Menschen, wie in jedem Land auch. Zudem ist es problematisch, den Juden ein Recht auf einen eigenen Staat abzusprechen.
Es gibt auch antisemitische Klischees, die viele unbewusst benutzen. Das sind zum Beispiel Geldgier oder die Idee, Juden würden das Weltgeschehen kontrollieren.
Das Judentum ist Religion und Volk zugleich. Beides hängt zusammen. Die Juden verstehen sich als das auserwählte Volk Gottes, der ihnen das Land Israel versprochen hat. Das ist in der Sammlung ihrer heiligen Schriften überliefert, dem Tanach. Er entspricht dem Alten Testament der Bibel. Heute blicken die Juden auf eine lange Geschichte zurück, haben eigene Traditionen und mit Hebräisch eine eigene Sprache. Der Glaube an Gott kombiniert mit der jahrhundertelangen Verfolgung hat die Juden zu einer Gemeinschaft gemacht, lange bevor es das Konzept der Nation gab.
Zwar hätte es ohne den Glauben an Gott das Judentum niemals gegeben. In der säkularen Welt gibt es heute aber ebenso Juden, die gar nicht mehr an Gott glauben. Um Jude zu werden, braucht es auch keine Taufe wie bei den Christen. Wer eine jüdische Mutter hat, ist automatisch jüdisch. Zudem ist es schwierig, zum Judentum zu konvertieren.
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Obwohl sich die Juden als ein Volk verstehen, hatten sie über Jahrtausende kein eigenes Land – und litten besonders in Europa unter Verfolgung. Antisemitismus war in ganz Europa weit verbreitet. Sechs Millionen Juden wurden im Holocaust durch die Nazis ermordet. Der Zionismus entstand im 19. Jahrhundert als Bestreben nach einem eigenen Staat, in dem Juden in Sicherheit leben können. Zionismus heisst nicht, den Palästinensern ihre Existenz abzusprechen.
Der Begriff kommt von Zion, dem Tempelberg in Jerusalem. Für gläubige Juden ist er eine heilige Stätte. Heute benutzen manche Menschen «Zionismus» als Schimpfwort, viele setzen Juden mit Zionisten gleich. Das ist falsch. Viele Juden sehen sich nicht als Zionisten. Weltweit gibt es mehr als 15 Millionen Juden, weniger als die Hälfte besitzt die israelische Staatsbürgerschaft. Die Bürger Israels nennt man übrigens Israeli, denn neben Juden leben dort auch Angehörige anderer Religionen und Ethnien.
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Rund 700 000 Juden leben in mehr als 250 Siedlungen im Westjordanland, in den vergangenen Jahrzehnten hat ihre Zahl immer stärker zugenommen. Nach dem Sechstagekrieg im Jahr 1967 besetzte Israel das palästinensische Westjordanland, mit den jüdischen Siedlungen weitet das Land seinen Einfluss dort aus. Israel begründet dies mit Sicherheitsinteressen und dem angeblich biblischen Anspruch auf das Land.
Die Siedlungen sind einer der grössten Streitpunkte zwischen den beiden Völkern und werden von vielen als Hindernis angesehen, um einen palästinensischen Staat zu schaffen. In einem besetzten Gebiet Siedlungen zu bauen, ist völkerrechtswidrig. Israel bestreitet das.
Viele der Siedler sind ultra-religiös und politisch radikal, einen Staat Palästina lehnen sie ab. Manche Siedler sind gewaltbereit und greifen Palästinenser an, wobei immer wieder Palästinenser sterben. Die Siedler werden vom israelischen Militär beschützt. Seit dem Kriegsausbruch am 7. Oktober hat die Gewalt der Siedler zugenommen. Laut den Vereinten Nationen wurden seit Kriegsbeginn mehr als tausend Palästinenser aus ihren Häusern im Westjordanland vertrieben.
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Palästina ist ein Land, das sich finden muss. Die Palästinenser beanspruchen das Westjordanland und den Gazastreifen für ihren Staat. Inzwischen erkennen 138 Länder oder 80 Prozent der Weltbevölkerung Palästina als Staat an, grosse Teile des Westens und Israel tun das nicht. Bei den Vereinten Nationen hat Palästina den Status eines Beobachterstaats.
Nach Jahrhunderten unter osmanischer Herrschaft erteilte der Völkerbund nach dem Ersten Weltkrieg den Briten das Mandat über Palästina. Wegen der zunehmenden Verfolgung im Europa der 1930er Jahre kamen immer mehr Juden in das Gebiet. Bis 1945 stieg der Bevölkerungsanteil auf 30 Prozent. Mit dem Gefühl der Entfremdung in der Heimat fingen die dort lebenden Araber an, eine eigene palästinensische Identität zu entwickeln, und forderten Selbstbestimmung und Unabhängigkeit.
Der Uno-Teilungsplan von 1947 sollte sie ihnen geben, doch mehr als die Hälfte des ersehnten Landes wurde den Juden zugeteilt. Das lehnten die arabischen Nachbarstaaten ab, auch Israel war mit seinem Anteil unzufrieden. Direkt nach der Gründung Israels im Mai 1948 griffen die arabischen Staaten den jungen jüdischen Staat an. Und die Geschichte von Hass, Gewalt und beidseitigen Verfehlungen nahm ihren Lauf – seit nun mehr als siebzig Jahren.
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Die Parole nutzen Demonstranten weltweit, um für die Rechte der Palästinenser einzustehen. Übersetzt heisst sie so viel wie «Vom Fluss bis zum Meer, Palästina wird frei sein.» Gemeint sind damit der Jordan und das Mittelmeer. Jene Gewässer, die Israel und das Westjordanland begrenzen. Die Worte sind doppeldeutig: Sind sie eine Forderung nach Freiheitsrechten für die Palästinenser? Oder für einen Staat Palästina vom Meer bis zum Fluss – also ohne Israel?
Zwar meinen viele Demonstranten die Worte nicht antisemitisch, doch sie sind problematisch. Die Hamas hat den Spruch in ihrem Grundsatzprogramm stehen und spricht damit Israel sein Existenzrecht ab. Wer den Spruch nutzt, stellt sich in eine antisemitische Tradition. Ganz egal, wie er ihn meint.
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Als kollektives Trauma hat die sogenannte «Nakba» für die Palästinenser einen ähnlichen Stellenwert wie der Holocaust für die Juden. Der arabische Begriff bedeutet «Katastrophe». Er meint die Vertreibung und Flucht von über 700 000 Palästinensern in den Jahren 1948 und 1949 aus ihrer Heimat. Schon vor der Gründung Israels besetzten Zionisten erste palästinensische Siedlungen. Nach der Gründung führten die arabischen Nationen einen Krieg gegen den jungen Staat. 1949 siegte Israel und erweiterte sein Territorium.
Bis heute dürfen die Menschen nicht in die Gebiete zurückkehren, die sie verlassen haben. Die Palästinenser berufen sich auf das Völkerrecht. Laut diesem dürfe jeder Mensch in seinem eigenen Land leben; Flüchtlinge sollen in ihre Heimat zurückkehren dürfen, wenn sie dort in Frieden mit ihren Nachbarn leben möchten.
Heute leben mehr als 5 Millionen Palästinenser im Westjordanland und im Gazastreifen. 1,6 Millionen Palästinenser haben die israelische Staatsbürgerschaft angenommen. Fast 7 Millionen Menschen mit palästinensischen Wurzeln befinden sich in der Diaspora, Hunderttausende sind in vierter Generation Staatenlose und zum Leben als Flüchtlinge verdammt. Die Palästinenser sind ein Volk der Heimatlosen.
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Viele werfen den Israeli vor, sie würden im Gazastreifen einen Völkermord an den Palästinensern begehen. Mit dem Begriff sollte man vorsichtig umgehen. Gemäss der Konvention der Vereinten Nationen wird ein Völkermord in der «Absicht» begangen, «eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören».
Diese Absicht muss man einer Kriegspartei nachweisen. Dafür sind Gerichte zuständig. Nachdem Südafrika Israel wegen Völkermordes angeklagt hat, prüft nun der Internationale Gerichtshof, ob Israel einen Völkermord verübt. Israel betont, dass es im Gazastreifen die terroristische Hamas beseitigen will – und nicht die Zivilbevölkerung.
Der Gazastreifen ist eines der am dichtesten besiedelten Gebiete der Welt, und die Hamas nutzt die zivile Infrastruktur für militärische Zwecke. Das ist ein Grund für die hohe Opferzahl bei den Palästinensern. Mehr als 27 000 Zivilisten wurden nach palästinensischen Angaben bisher getötet. Am 7. Oktober überfiel die Hamas Israel und ermordete über 1200 Menschen, grösstenteils Zivilisten. Daraufhin griff das israelische Militär den Gazastreifen an. In ihrem Grundsatzdokument schreibt die Hamas, sie lehne das Existenzrecht Israels ab.
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