Mit dem Ausbau der Autobahnen lenke der Bund noch mehr Verkehr in die Städte, kritisiert der Mobilitätsplaner Stephan Erne. Sinnvoller wären differenzierte Preise, je nach der Nachfrage.
Herr Erne, fahren Sie Auto?
Das hängt von der gegenwärtigen Lebensphase ab. Früher hatten wir ein eigenes Auto. Heute wohne ich mit meiner Familie in einem kleinen Dorf in der Nähe von Baden, aber noch in der Agglomeration. Im Moment sind wir nicht auf ein Auto angewiesen. Für den Fall, dass wir trotzdem eines brauchen, sind wir Mitglied bei der Carsharing-Genossenschaft Mobility.
Sie empfehlen mit 340 anderen Verkehrsexperten ein Nein zur Autobahn-Vorlage. Warum haben Sie diesen Appell lanciert?
Es ist nicht ein Nein zu den Nationalstrassen, sondern zu dieser Vorlage. Der Bundesrat setzt mit den sechs Ausbauten die verkehrspolitischen Prioritäten falsch. Uns fehlt ein Gesamtkonzept. Der Bund hat klare strategische Ziele, die teilweise auch das Volk bestätigt hat. Mit dem Raumplanungsgesetz will man in den Städten die Innenentwicklung vorantreiben. Zudem sehen die entsprechenden Programme vor, in den Agglomerationen den Fuss- und Veloverkehr zu fördern. Die sechs Ausbauten der Nationalstrassen liegen mehrheitlich im städtischen Raum und helfen nicht, diese Ziele zu erreichen.
Inwiefern?
Die Ausbauten führen dazu, dass auf den Nationalstrassen noch mehr Verkehr abgewickelt werden kann. Doch die Leute wollen nicht zur Raststätte oder zu den Autobahnanschlüssen. Die meisten Zielorte liegen im städtischen Raum. Auf den grossen Leitungen, die die Autobahnen gewissermassen sind, wird der Verkehr zwar flüssiger. Aber das Problem der Feinverteilung in den Städten verschärft sich.
Die rot-grün regierten Städte tragen ihren Teil bei, indem sie Spuren abbauen.
Es handelt sich nicht primär um eine ideologische Frage. Die Herausforderung im urbanen Raum ist, dass der Platz knapp ist. Wir müssen diesen optimal nutzen. Die Städte mit den Strassen sind gebaut, doch immer mehr Leute wohnen dort. Deshalb wird die Erschliessung mit dem öV und Veloverkehr wichtiger. Und jetzt kommt der Bund und will noch mehr Verkehr in die Städte lenken. Das passt nicht zusammen.
Ausbauten haben jedoch Verbesserungen gebracht, wie das Beispiel der dritten Gubriströhre zeigt. Dort haben die Staus und teilweise auch der Ausweichverkehr abgenommen.
Historisch betrachtet sind die Nationalstrassen angesichts des Siegeszugs, den das Auto im letzten Jahrhundert angetreten hat, eine Erfolgsgeschichte. Sie haben die Voraussetzung dafür geschaffen, dass die Städte nicht vom zunehmenden Verkehr erdrückt wurden. Mit den Erweiterungen bringt man punktuell zwar wieder etwas Verkehr auf die Nationalstrassen zurück. Doch der Nutzen ist beschränkt. Wenn wir einen Abschnitt ausbauen, generieren wir jedes Mal nur anderswo einen neuen Engpass. Beim Bau der dritten Bareggröhre bei Baden war absehbar, dass die Zürcher ein Problem haben werden. Dieses wird nun mit der dritten Gubriströhre gelöst, aber im Bareggtunnel wird es dadurch zu Spitzenzeiten wieder mehr Verkehr haben. Damit steigt auch die Gefahr, dass der Ausweichverkehr wieder zunimmt.
Ihr Appell wirkt, als sei das Auto das Böse und der öV beziehungsweise das Velo das Gute.
Ich denke nicht gerne in diesen Kategorien. Aber der öV, der Velo- und Langsamverkehr schneiden bei der Flächeneffizienz einfach besser ab als der Autoverkehr. Das gilt auch für die Klimabilanz. Wir wollen nicht das Auto verteufeln. Aber wir sollten den Autoverkehr nur dort stärken, wo er sinnvoll ist. Vielerorts gibt es bessere Alternativen. Vor allem in den Städten braucht es vermehrt flächeneffiziente Verkehrsmittel.
Sie loben das Velo, weil es im urbanen Raum das effizienteste Transportmittel sei. Städte wie Zürich tun sich jedoch seit Jahren schwer damit, bessere Velowege zu schaffen.
Die Schweiz steht bei der Förderung des Veloverkehrs noch am Anfang. Der Kanton und die Stadt Zürich haben mit der Umsetzung des Velonetzplans erst begonnen. Ähnlich ist es beim nationalen Veloweggesetz. Es handelt sich aber auch um eine gesellschaftliche Frage, wie stark wir bereit sind, auf das Auto zu verzichten. Wir können die Leute nicht dazu zwingen, aber Anreize setzen. Ein guter Ansatz ist es, in den Städten nicht nur neue Arbeitsplätze zu schaffen, sondern auch Wohnraum. Das sorgt dafür, dass mehr Leute einen Wohnsitz wählen, der mit dem Velo oder zu Fuss erreichbar ist.
Ihre Vorschläge sind urban geprägt. Auf dem Land sind viele Menschen auf das Auto angewiesen.
Im Entlebuch oder in anderen peripheren Regionen wird man nie denselben Anteil des Velo- und Fussverkehrs erreichen wie in den städtischen Räumen. Aber die hängigen Ausbauvorlagen zielen stark auf die Mobilität in den urbanen Ballungsräumen. Darum sind wir so kritisch.
Wenn jemand mit dem Auto vom Land in die Stadt fährt, nimmt er ebenfalls die Autobahn.
Ja, aber auch hier gibt es Alternativen. Der Bund hat in den letzten Jahren ein Programm gestartet, um die Verkehrsdrehscheiben auszubauen. Da wurde zwar viel Papier produziert, aber bisher noch wenig umgesetzt. Es wäre eine Chance, das Potenzial stärker auszuschöpfen und die Fahrt teilweise mit dem Auto und teilweise mit dem öV zurückzulegen. Hier sind neue Konzepte gefragt. Es muss attraktiver werden, das Auto am Rande des urbanen Raums stehenzulassen und mit den städtischen Verkehrsmitteln weiterzureisen.
Wie wollen Sie das erreichen?
Sinnvoll wären differenzierte Preise für den ganzen Verkehr, je nach der Nachfrage. Auf dem Land, wo weniger Leute unterwegs sind, könnte eine Fahrt sogar günstiger werden als heute. Wer mit dem Auto in die Stadt hineinfährt, müsste dagegen mehr bezahlen. Bei der Stromversorgung akzeptieren wir auch, dass es ein Gleichgewicht braucht, da es sonst einen Blackout gibt. Es gibt unterschiedliche Preise, je nach der Nachfrage auf dem Markt. Warum machen wir das bei der Mobilität nicht?
Ist das Autofahren in der Schweiz zu billig?
Wir müssen die Mobilität generell stärker ökonomisch denken. Wir dürfen diese nicht als unbeschränkt verfügbares öffentliches Gut betrachten. Mobilität ist ein Wirtschaftsfaktor und für die Unternehmen wichtig. Aber heute ist sie keinen Marktgesetzen unterworfen, obwohl sie andere Wirtschaftszweige beeinflusst, zum Beispiel den Immobilienmarkt. Wenn die Nachfrage hoch ist, bauen wir einfach das Angebot aus.
Das gilt auch für die Bahn. Mit den geplanten Programmen sieht der Bund Ausbauten von 23 Milliarden Franken vor. Mehr ist nicht möglich.
Auch bei der Bahn müssen wir intelligenter investieren. Heute sind die Ausbauten oft regionalpolitisch motiviert. Man will möglichst viel von allem für alle. Im Moment kann sich die Schweiz das noch leisten. Doch ich bezweifle, dass dieser Weg langfristig finanzpolitisch und volkswirtschaftlich sinnvoll ist. Die SBB und der Bund machen sich ebenfalls Gedanken, wie sie die bestehende Infrastruktur intelligenter nutzen. Wir sollten die Bahn dort ausbauen, wo das Verlagerungspotenzial vom motorisierten Individualverkehr am grössten ist. Das dient auch jenen, die auf das Auto angewiesen sind.
Mobilität und Raumplanung
Stephan Erne (47) ist diplomierter Bauingenieur ETH/SVI und Raumplaner MAS ETH. Er ist selbständiger Mobilitätsplaner und betreibt den Blog «mobilitaet-erfahren.ch». Er hat den Aufruf von rund 340 Verkehrsfachleuten unterzeichnet, der ein Nein zur Autobahn-Vorlage empfiehlt. Die Befürworter haben mit einem Gegenappell reagiert. Rund 225 Fachleute der Schweizerischen Vereinigung beratender Ingenieurunternehmen (suisse.ing) empfehlen ein Ja zur Vorlage. Sie argumentieren, die Nationalstrassen seien entscheidend für die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Verkehrssystems. Ingenieure hätten die sechs Projekte sorgfältig projektiert. (gaf.)