Die Stimmbürger haben sich klar für einen besseren Schutz der Jugendlichen ausgesprochen. Es ist nicht nur staatspolitisch problematisch, sich einfach darüber hinwegzusetzen.
Die Kinder weitestgehend vor schädlichen Tabakprodukten schützen, auch wenn solche Massnahmen für die Wirtschaft schmerzhaft sein mögen: Dies war die explizite Ansage, mit der die Verfechter der Tabakinitiative in den Abstimmungskampf gezogen sind. Die Stimmbevölkerung hat sich vor zwei Jahren deutlich, mit 57 Prozent Ja-Stimmen und 15 Ständen, für die Initiative ausgesprochen. Und damit für scharfe Einschränkungen der Zigarettenwerbung.
Was macht jetzt das Parlament? Es riskiert, dass es in absehbarer Zeit keine brauchbare Umsetzung der Initiative auf Gesetzesstufe gibt. Am Donnerstag versenkte eine unheilige Allianz von Linken und SVP den vorliegenden Gesetzesentwurf. Den Vorschlag, wohlgemerkt, den die Kommission der grossen Kammer selbst ausgearbeitet hat. Es ist ein Armutszeugnis für die parlamentarische Arbeit. Und schuld daran sind in erster Linie die Bürgerlichen.
Angefangen hat es im Ständerat, der die neuen Verfassungsartikel im letzten Herbst bereits sehr kreativ auslegte. Unter dem Einfluss der nach wie vor mächtigen Tabaklobby votierten die bürgerlichen Standesvertreter dafür, dass Zigarettenfirmen weiterhin mobiles Verkaufspersonal an Bahnhöfe, Chilbenen oder in Restaurants schicken dürfen – obwohl sich dort auch junge Menschen tummeln. Auch das Sponsoring von Open Airs durch Zigarettenhersteller wäre weiterhin möglich. Beide Punkte widersprechen eindeutig der Initiative, die «jede Art von Werbung für Tabakprodukte, die Kinder und Jugendliche erreicht», verbietet.
Schlechter als das alte Tabakgesetz
Solche Erwägungen hielten FDP, Mitte und SVP im Nationalrat nicht davon ab, in der Detailberatung weitgehend dem Ständerat zu folgen. Das ist problematisch, weil die neuen Regelungen in gewissen Punkten sogar hinter das alte Tabakgesetz zurückfallen, welches die Befürworter der Volksinitiative verschärfen wollten. Laut einem Parteigutachten der Initianten wäre es theoretisch sogar zulässig, dass die Tabakindustrie an einem Junioren-Fussballturnier als Sponsor auftreten und einen Stand zur Verkaufsförderung betreiben dürfte.
Es ist auch staatspolitisch heikel. Die SVP, die FDP und die Mitte müssen sich vorwerfen lassen, den Willen der Stimmbürger zu missachten. Bei der SVP ist der Kontrast zur eigenen Rhetorik besonders gross. Ausgerechnet die Partei, die sich als Hüterin des Volkswillens gebärdet, will eine zahnlose Umsetzung der Initiative. Sie stellt die Wirtschaftsfreiheit über den Jugendschutz.
Nun wäre die Tabakinitiative nicht das erste Volksbegehren, dessen Endprodukt die Initianten enttäuscht – die SVP sah sich mit der Masseneinwanderungsinitiative (MEI) selbst in dieser Opferrolle. Doch so störend die Nicht-Umsetzung der MEI auch war, so konnte das Parlament damals immerhin höhere Interessen der Schweiz geltend machen, die auf dem Spiel standen – die Beziehungen zur EU und der bilaterale Weg.
Wo Tabakwerbung sinnvoll ist
In einem Punkt geht die Umsetzung der Initiative, wie sie der Bundesrat vorschlug, allerdings wirklich zu weit: Zusammen mit den Linken will er Werbung für Tabakprodukte auch in Qualitätszeitungen, die sich fast ausschliesslich an ein erwachsenes Publikum richten, verbieten. Das ist falsch. Einerseits, weil die Initianten im Abstimmungskampf betonten, es gehe ihnen nicht um Inserate in der NZZ oder im «Tages-Anzeiger», sondern um Gratiszeitungen oder Influencer mit grosser Reichweite bei den Jungen.
Andererseits, weil Tabakwerbung durchaus förderlich sein kann für die Volksgesundheit. Natürlich nicht, wenn sie Jugendliche zum Rauchen verführt. Aber dann, wenn sie erwachsene Raucher dazu bringt, von klassischen Zigaretten auf elektronische Tabakerhitzer umzusteigen. Diese sind nach allen bis anhin vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen für den Körper deutlich weniger schädlich.
Viele Tabakfirmen stecken mittlerweile einen Grossteil des Werbebudgets in diese neuen Produkte. Gleichzeitig darf man nicht naiv sein: Die Branche wird auch in Zukunft auf die Jungen schielen und Wege suchen, sie als neue Käufer zu gewinnen. Kein florierender Wirtschaftszweig schafft sich freiwillig selbst ab, indem er sich der potenziellen Kundschaft der Zukunft verschliesst.
Es braucht deshalb strikte Regeln bei der Werbung, beim Sponsoring und bei Verkaufsaktionen. Das Beharren der SVP auf einem laschen Jugendschutz hat vielleicht sein Gutes. Wollen FDP und Mitte bei der weiteren Beratung der Vorlage einen Absturz verhindern, müssen sie ein paar Schritte auf die Linken zugehen. Und damit auf die klare Mehrheit des Volkes.