Der Ukrainer hat in Riad Sportgeschichte geschrieben. Der Rückkampf gegen Tyson Fury wird aber wohl später als geplant stattfinden müssen.
Vielleicht bringt eine handfeste Auseinandersetzung im Kampfsport ihre Kontrahenten tatsächlich einander näher. Die Profiboxer Olexander Usik und Tyson Fury mochten in der Nacht auf Sonntag jedenfalls kaum noch aufhören, sich nach dem letzten Gong in Riad zu umarmen.
Vor allem bei Fury war über zwölf brisante Runden um die vier etablierten WM-Titel im Schwergewicht (WBA, WBC, IBF und WBO) eine Menge Respekt gewachsen. Um die Augen herum gut ausgebeult, hob der 2 Meter 6 grosse Exzentriker aus Nordengland hervor, dass sein um 15 Zentimeter kleinerer Bezwinger aus der Ukraine es «sehr gut gemacht» habe – auch wenn er geglaubt habe, genug für einen Punktsieg getan zu haben. Und so gratulierte Fury in aller Form.
Ein Kampfrichter hatte Fury vorne gesehen
Was für ein Kontrast zu den letzten Tagen und Wochen, als Fury (davor 34 Siege, 1 Remis) seinen Mitbewerber um das Prestige des ersten alleingültigen Champions seit 25 Jahren so konsequent wie niveauarm herabgesetzt hatte! Es macht eben einen Unterschied, ob man aus der Position des ungeschlagenen WBC-Weltmeisters spricht – oder aus der eines ehemaligen Titelträgers, der zum ersten Mal in 16 Profijahren verloren hat.
So hatten es jedenfalls zwei der drei Kampfrichter gesehen (113:114 und 112:115), während der dritte Fury vorne hatte (114:113). Was einiges über die wechselnden Kräfteverhältnisse im «Kampf des Jahrhunderts» verrät, der unter dem Motto «Ring of Fire» weltweit vermarktet wurde – und aussergewöhnliche Qualität wie Dramatik lieferte.
Fury, der Nachfolger von Travellern, sah nach verhaltenem Beginn bald wie der Dominator aus. Vor allem seine Körpertreffer und wuchtigen Aufwärtshaken zeitigten beim überraschend offensiv agierenden Usik Wirkung. Der hielt Druck und Tempo dennoch so hoch, dass Fury in der zweiten Kampfhälfte kaum noch nachlegen konnte. So taumelte der hünenhafte Brite nach mehreren Volltreffern in Runde 9 gar angeschlagen in den Seilen und konnte sich wohl nur in die Pause retten, weil der ansonsten tadellose Ringrichter Mark Nelson ihn kurz zuvor angezählt hatte. Aber auch unmittelbar danach war er meist auf der Flucht, ehe er zum Schluss noch einmal etwas aufdrehte.
Die «Split Decision», die Mehrheitsentscheidung der Ringrichter, macht den 37-jährigen, aus dem Cruisergewicht aufgestiegenen Usik (22 Siege) zum einhelligen Weltmeister in der zweiten Gewichtsklasse – ein Kunststück, das vor ihm nur dem US-Profi Terence Crawford (Superleicht- und Halbweltergewicht) und dem Japaner Naoya Inoue (Bantam- und Superbantamgewicht) in der Ära der vier konkurrierenden Verbände gelungen ist. Darum sprach der Aussenseiter der Buchmacher noch im Ring von einem «grossen Tag» für ihn und die Ukraine.
Dann begab er sich in ein Spital, wo eine Fraktur des Kiefers diagnostiziert wurde. Sie könnte den für Oktober angepeilten, vertraglich fixierten Rückkampf um einige Woche nach hinten schieben.
Usik muss nun wohl gegen einen kroatischen Pflichtherausforderer ran
Die Freude über die neue Übersicht in der Königsklasse dürfte gleichwohl von kurzer Dauer sein. Schon vor dem WM-Duell, das unter den 26 000 Zuschauern in der Kingdom Arena auch die früheren Boxgrössen Lennox Lewis und Evander Holyfield verfolgten, hatte die International Boxing Federation ihren abweichenden Fahrplan verkündet. Demnach muss sich der Sieger, also Usik, als Nächstes ihrem kroatischen Pflichtherausforderer Filip Hrgovic stellen; andernfalls wird der Titel vakant. Es ist das alte, verwirrende Spiel der Organisationen, die sich mehr für ihre Zukunft als die eines transparenten Boxgeschäfts interessieren.