Israel hat Mitarbeitern der Uno-Organisation vorgeworfen, an dem Terroranschlag der Hamas vom 7. Oktober beteiligt gewesen zu sein. Der Stopp der Zahlungen gefährdet nun die Fortsetzung der Hilfe für die Palästinenser im Gazastreifen.
Nach der Entscheidung wichtiger Geberländer zur Aussetzung ihrer Zahlungen an das Uno-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) hat der Uno-Generalsekretär diese Staaten aufgerufen, ihren Entschluss zu überdenken. Zwei Millionen Zivilisten im Gazastreifen seien für ihr tägliches Überleben auf die Hilfe der UNRWA angewiesen, mahnte Antonio Guterres am Sonntag. Zurzeit reichten die Mittel nicht einmal für Februar. Die Geber sollten zumindest garantieren, dass das Hilfswerk seine Arbeit im Februar fortsetzen könne.
Die USA und andere wichtige Geberländer wie Deutschland, Kanada und Grossbritannien hatten zuvor ihre Zahlungen an die UNRWA ausgesetzt. Sie reagierten damit auf neue Vorwürfe Israels, wonach zwölf Mitarbeiter der Organisation im Gazastreifen an den Terroranschlägen der Hamas vom 7. Oktober beteiligt gewesen seien. Der UNRWA-Direktor Philippe Lazzarini zog daraufhin Konsequenzen und verkündete am Freitag, er habe neun der Mitarbeiter gefeuert.
Washingtons Ankündigung zur Aussetzung seiner Zahlungen fiel am Freitag kurz nach dem Entscheid des Internationalen Gerichtshofs zum Genozid-Vorwurf gegen Israel. Die Richter forderten dabei Israel unter anderem dazu auf, die Lieferung humanitärer Hilfe für die Palästinenser sicherzustellen. Dies ist nun durch den Stopp der Gelder gefährdet. Die UNRWA ist der wichtigste Lieferant humanitärer Hilfe im Gazastreifen. Ohne sie ist die Fortsetzung der Hilfen kaum möglich.
Lazzarini beklagt kollektive Bestrafung der Palästinenser
Der UNRWA-Chef Lazzarini äusserte sich schockiert über die Aussetzung der Hilfsgelder. Er verwies darauf, dass seine Organisation sofort reagiert, die fraglichen Mitarbeiter entlassen und eine interne Untersuchung angeordnet habe. Es wäre unverantwortlich, die gesamte Organisation und eine ganze Gemeinschaft wegen Vorwürfen gegen einzelne Mitarbeiter zu bestrafen, mahnte Lazzarini. Er erinnerte daran, dass im Gazastreifen eine Hungersnot drohe und eine Million Palästinenser heute in UNRWA-Einrichtungen lebten.
Die UNRWA wurde 1949 zur Versorgung der bei der Staatsgründung Israels vertriebenen oder geflohenen Palästinenserinnen und Palästinenser gegründet. Heute ist das Hilfswerk im Gazastreifen, dem Westjordanland sowie in Jordanien, Libanon und Syrien für insgesamt 5,9 Millionen Palästinenser zuständig. Es betreibt Hunderte Schulen, Kliniken und andere soziale Einrichtungen und beschäftigt 30 000 Mitarbeiter, 13 000 von ihnen im Gazastreifen.
Die UNRWA sieht sich seit langem Vorwürfen ausgesetzt, in ihren Schulen Hass auf Israel und die Juden zu schüren. Einzelne Geberländer setzten daher schon früher ihre Zahlungen aus. Israel wirft ihr zudem vor, eine Lösung des Nahostkonflikts zu erschweren, da sie die Integration der Palästinenser in den Nachbarländern verhindere. Allerdings erbringt die UNRWA auch wichtige soziale Dienstleistungen in den besetzten Gebieten, die sonst Israel erbringen müsste.
Die Schweiz zeigt sich «äusserst besorgt» über die Vorwürfe
Die Unterstützung der UNRWA sorgt auch in der Schweiz immer wieder für Debatten. Erst vor einem Monat diskutierte das Schweizer Parlament über einen Stopp der Zahlungen. Im Rahmen der Budgetdebatte wollte der Nationalrat der UNRWA 20 Millionen Franken streichen. Aussenminister Ignazio Cassis mahnte aber, die Kürzung könne für die Schweiz ein Reputationsrisiko darstellen. Am Ende einigte sich das Parlament auf einen Kompromiss.
Der Nationalrat reduzierte die Kürzungen auf zehn Millionen Franken und überliess dem Bundesrat die Entscheidung, ob er bei der UNRWA oder anderen humanitären Projekten spart. Nach den neuen Vorwürfen gegen Mitarbeiter des Hilfswerks äusserte sich das Aussendepartement «äusserst besorgt». Die Schweiz verfolge eine Nulltoleranz gegenüber jeglicher Unterstützung von Terrorismus und dem Aufruf zu Hass oder Gewalt. Sie erwarte dies auch von ihren Partnern.
Von einer formellen Suspendierung von Zahlungen sieht die Schweiz zwar vorerst ab. Die für das laufende Jahr vorgesehenen Beiträge an die UNRWA seien bis anhin aber nicht ausbezahlt worden, machte das EDA klar. Über die Auszahlung werde erst entschieden, wenn mehr Informationen über die schweren Vorwürfe vorlägen. Die Schweiz gehört zu den zehn grössten Geldgebern des Hilfswerks. Wichtigste Geldgeber sind die USA, Deutschland und die Europäische Union.
Das Hilfswerk sorgt in Nahost für eine gewisse Stabilität
Der Schweizer Bundesrat Ignazio Cassis hatte die UNRWA schon nach einer Reise in den Nahen Osten im Jahr 2018 kritisiert. Das Hilfswerk sei zu einem Teil des Problems geworden und wecke unrealistische Hoffnungen bei den Palästinensern, sagte er damals. «Indem wir die UNRWA unterstützen, halten wir den Konflikt am Leben.» Cassis sagte aber auch, wenn alle Staaten dem Hilfswerk ihr Geld verweigerten, würde eine Maschinerie zerfallen, die für eine gewisse Stabilität sorge.
Israels Aussenminister Israel Katz forderte Lazzarini nach den neuen Vorwürfen zum Rücktritt auf. Israels Ziel sei es, dass die UNRWA nach dem Krieg im Gazastreifen keine Rolle mehr spiele. Der palästinensische Minister für zivile Angelegenheiten, Hussein al-Sheikh, mahnte dagegen, der Stopp der Zahlungen berge grosse politische und humanitäre Risiken. Die EU erklärte, sie wolle zunächst das Ergebnis der Untersuchung abwarten, bevor sie über die Hilfen entscheide.
Andere wichtige Geldgeber wie Norwegen und Irland kündigten an, ihre Unterstützung fortzuführen. Der irische Aussenminister Michael Martin betonte, die UNRWA rette mit ihrer Hilfe Leben und zahle dafür einen hohen Preis. Tatsächlich wurden seit Oktober 152 ihrer Mitarbeiter im Gaza-Krieg getötet. Die Situation in Gaza sei katastrophal, und die UNRWA sei die wichtigste Hilfsorganisation dort, hiess es von Norwegens Vertretung bei der Palästinensischen Autonomiebehörde. «Wir müssen unterschieden zwischen dem, was Individuen womöglich getan haben, und dem, wofür die UNRWA steht.»