Die russische Rüstungsindustrie wächst trotz dem Sanktionsregime des Westens. Die benötigten Materialien und Maschinen importiert Russland – zum Grossteil aus China. Eine Analyse in Grafiken.
Keine Frage, der chinesische und der russische Staatschef verstehen sich gut. Seit Wladimir Putin die Ukraine angegriffen hat, hat sich ihr Verhältnis nur noch weiter besser. Das hat Putins Besuch bei Xi Jinping am Donnerstag und Freitag noch einmal gezeigt. Vor zwei Jahren, als westliche Länder neue Sanktionen gegen Russland verhängten, sprang China als Lieferant in die Bresche. Letztes Jahr belief sich das Handelsvolumen der beiden Länder auf rund 240 Milliarden Dollar. Das waren 26 Prozent mehr als im Jahr zuvor.
Chinas Regierung sagt, sie sei gegen unilaterale Sanktionen und pflege mit Russland eine normale Handelsbeziehung. Im Gegensatz zu den USA sende China schliesslich keine tödlichen Waffen an eine Kriegspartei.
Pekings Hilfe ist indirekter
Tatsächlich hat China Russland seit Kriegsbeginn 2022 kaum Waffen und Munition aus eigener Produktion geliefert. Pekings Hilfe ist indirekter. China liefert dem kriegstreibenden Land eine Vielzahl von Maschinen und Vorprodukten, mit denen sich Waffen bauen lassen. Es handelt sich dabei um Waren wie Elektronik, Geräte und Baustoffe, die sich sowohl im zivilen Bereich als auch in der Rüstungsindustrie einsetzen lassen.
Diese sogenannten Dual-Use-Güter rücken immer mehr ins Zentrum der Bemühungen der USA, der EU, Grossbritanniens und Japans, die russische Kriegsmaschinerie zu schwächen. Ungefähr 60 Prozent dieser Dual-Use-Güter, die Russland im vergangenen Jahr importiert hat, stammen laut einer Berechnung der «Financial Times» aus China.
Zwar zeigt ein Blick in die chinesische Aussenhandelsstatistik, wie sehr die Ausfuhr dieser Güter in den ersten Monaten nach der russischen Invasion der Ukraine eingebrochen ist. Doch schon ab Juli 2022 lieferte China sie wieder im gleichen Umfang wie vor dem Krieg und steigerte die Ausfuhren Anfang 2023 gar nochmals.
Besonders auffällig: Zwischen Juli 2022 und Juli 2023 stieg der Export von modernen CNC-Maschinen aus China nach Russland stark an. Dies sind hochpräzise Werkzeugmaschinen, die für die moderne Waffenproduktion unerlässlich sind. Sie werden beispielsweise für die Herstellung von Läufen oder Gehäusen von Gewehren, Motorenteilen von Flugzeugen und Komponenten für Panzer und Raketen eingesetzt.
Vor der Invasion in der Ukraine lieferte Peking CNC-Maschinen im Wert von etwa 6,5 Millionen Dollar an Russland. Bis Juli 2023 verzehnfachte sich dieser Wert, wie aus den letzten verfügbaren Zolldaten hervorgeht, die vom russischen Statistikamt veröffentlicht wurden. Laut diesen Daten löste China die EU nach dem Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine als Hauptlieferant der Maschinen ab. Trotzdem erhielt Russland auch anderthalb Jahre nach Kriegsbeginn noch CNC-Maschinen aus der EU im Wert von bis zu 12 Millionen Dollar. Auch Taiwan, Südkorea und Japan exportierten bis Juli 2023 Maschinen im Wert von etwa 40 Millionen Dollar nach Russland.
Die russische Rüstungsindustrie braucht Nachschub
Der rapide Anstieg des Handels mit modernen Werkzeugmaschinen ist sinnbildlich für Chinas Unterstützung von Russland seit Kriegsbeginn. Peking hat dem Kreml auch Halbleiter, Kugellager, Navigationsgeräte sowie Stahl- und Eisenprodukte im Wert von Milliarden Dollar verkauft. Moskau erhielt ausserdem Teile für den Bau von Eisenbahntrassen aus Peking.
Bahnlinien sind für die Logistik von Armee und Industrie gleichsam wichtig. Zwischen 2022 und Juli 2023 machten Eisenbahnkomponenten laut einer Analyse des amerikanischen Center for Strategic and International Studies 10 Prozent der Importe von wichtigen Gütern für die russische Kriegswirtschaft aus.
Einen besonderen Anstieg erlebte der chinesisch-russische Handel mit wichtigen Rüstungsgütern im vergangenen Frühjahr. Im März 2023 besuchte Xi Jinping seinen «alten Freund» Putin in Moskau. Er stellte den Besuch als Vermittlungsversuch im Krieg dar. Ein Blick in die chinesische Handelsstatistik zeigt allerdings: Nach Xis Rückkehr nach China stieg der Lieferumfang bei Gütern, die der russischen Kriegsmaschinerie nützen, markant an. Hatte er sich im ersten Kriegsjahr noch auf rund 5 Milliarden Dollar belaufen, waren es im zweiten Kriegsjahr etwa 7 Milliarden Dollar.
Für Putin kamen die chinesischen Lieferungen zur rechten Zeit. Russland steckte in einer heiklen Phase des Kriegs. Die Ukrainer waren im Vorteil, den russischen Soldaten fehlte es an Ausrüstung, Munition und Waffen.
Bei Putins Gegenbesuch vergangene Woche in Peking wird der russische Präsident um fortwährende Kriegsunterstützung geworben haben. Doch dieses Mal ist die Situation anders. Die russische Armee rückt vor, den Ukrainern mangelt es an Ausrüstung. Allerdings hat der amerikanische Kongress nach monatelanger Wartefrist Waffen und Munition im Umfang von über 60 Milliarden Dollar bewilligt. Das wird der ukrainischen Armee wieder Auftrieb verleihen – und Russlands Kriegswirtschaft muss mithalten.
Russland stellt seine Wirtschaft immer mehr in den Dienst des Kriegs. Obwohl das Land keine detaillierten Informationen über seine Haushaltsausgaben mehr veröffentlicht, schätzt das Stockholm International Peace Research Institute (Sipri), dass Russlands Militärausgaben seit 2022 um fast 40 Prozent pro Jahr gestiegen sind. Der Anteil soll in diesem Jahr noch einmal kräftig zunehmen. Der Kreml investiert derzeit schätzungsweise 7,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts in die Armee.
Laut Experten beschäftigt Russlands Rüstungsindustrie mittlerweile rund 3,5 Millionen Personen, das sind 2,5 Prozent der russischen Bevölkerung und mehr als das Dreifache der Angestellten, die im amerikanischen Verteidigungssektor arbeiten.
Was bringen die westlichen Sanktionen?
Dass die russische Rüstungsindustrie so stark gewachsen ist, wirft eine brisante Frage auf: Wie viel haben die westlichen Sanktionen gebracht? Dass Russland sich den Krieg immer noch leisten kann, liegt auch an der weiterhin gut funktionierenden Wirtschaft. Das Erdöl, das Russland nicht mehr nach Europa exportieren kann, fliesst nun nach China und Indien. Auch das hält die Kriegsmaschinerie am Laufen.
Doch wie kann es sein, dass sogar Komponenten aus der EU in russischen Waffen landen? Dies ermöglichen die zahlreichen Helfer Russlands. Diese kaufen die Komponenten aus aller Welt ein und verkaufen sie weiter nach Russland. Nicht nur China tut das, sondern auch Firmen in der Türkei, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Kasachstan und Weissrussland.
Dazu kommt: Dual-Use-Güter sind erst mit Verspätung in den Fokus der Sanktionsbehörden gerückt. Noch immer gibt es Schlupflöcher für Firmen oder Einzelpersonen, um trotz den Sanktionen Vorprodukte und Maschinen nach Russland zu schaffen.
Diese Schlupflöcher wollen die USA nun schliessen. Anfang Mai haben sie knapp 300 zusätzliche Sanktionen gegen Firmen und Einzelpersonen verhängt, die Komponenten über Drittstaaten nach Russland schleusen oder Dual-Use-Güter für die russische Kriegswirtschaft produzieren. Auf der Liste stehen Drohnenhersteller aus Hongkong, russische Importfirmen für elektronische Geräte und Beteiligte des russischen Biowaffen-Programms.
Chinas indirekte Unterstützung Russlands wird also immer riskanter. Doch Xi und Putin zeigen sich unbeeindruckt. Am Freitag fuhr Putin von Peking aus in den Nordosten Chinas nach Harbin, einer Stadt mit engen Verbindungen zu Russland. Dort steht das Harbin Institute of Technology, sozusagen die ETH von China.
Die Spitzenuniversität ist seit vier Jahren mit amerikanischen Sanktionen belegt. Denn sie ist eine der führenden Einrichtungen im Bereich der militärischen Forschung. Dass Putin ausgerechnet das Harbin Institute of Technology besucht, sendet ein eindeutiges Signal: Er baut auf Chinas Unterstützung.