Die neuen Kleiderregeln bei der 78. Edition des Filmfestival in Cannes sorgen für Gesprächsstoff.
Der neue Dresscode für das Filmfestival von Cannes ist gut versteckt: Er ist eingebettet in die Liste der Fragen und Antworten auf der offiziellen Website. Zur Empfehlung, elegante Abendgarderobe zu tragen, kommen weitere Punkte hinzu: Zum einen sei aus Gründen des Anstands Nacktheit weder auf dem Roten Teppich noch in sonstigen Bereichen des Festivals verboten. Dieser Punkt sorgte für Gesprächsstoff, vor Ort und im Internet; ein bisschen fühlte man sich an die Diskussion um angebrachte Outfits in Schulklassen erinnert. Es ist nicht das erste Mal, dass die Kleiderregeln des Festivals diskutiert werden. Das Highheelsgebot, dass es nun nicht mehr gibt, sorgte für Diskussionen und Protestaktionen von Schauspielerinnen wie Julia Roberts und Jennifer Lawrence.
Die neue Regel ist deutlich komplizierter
Nun aber: Wer entscheidet, was zu nackt ist? Ist ein tiefes Décolleté noch in Ordnung? Und wie will man Stars daran hindern, sich so zu zeigen, wie sie es für richtig halten? Und wird so nicht nur die Outfitwahl, sondern auch die Mode als Kunstform massiv eingeschränkt? Nacktheit auf dem Roten Teppich, das ist ja nicht immer nur Provokation um der Provokation willen. Man denke etwa an Bella Hadid in Elsa Schiaparelli auf dem Roten Teppich in Cannes im Jahr 2021. Und ja, Kleidervorschriften für Frauen hinterlassen immer auch ein schales Gefühl.
Bitte hinsetzen
Der andere Punkt traf auf mehr Verständnis: Zu voluminöse Kleider und lange Schleppen sind nicht mehr erwünscht; sie würden das Sitzen erschweren und den Verkehrsfluss auf dem roten Teppich behindern, so die Veranstaltenden. Das ist keine altmodische Schikane, sondern vernünftig. Denn das Festival de Cannes ist kein reines Schaulaufen, sondern ein Filmfestival. Nach dem Posieren auf den «Marches» schaut man einen Film. Im Palais. Und das ist eher schmal bestuhlt; für modische Experimente, die auf dem Roten Teppich etwas hermachen, aber weder zum Treppensteigen noch zum Sitzen geeignet sind, hat es in dem wie ein Amphitheater aufsteigenden Eventlokal keinen Platz.
Und man sitzt je nach Film mehrere Stunden, davor noch Preisverleihung, danach Applaus. Das geht nicht mit jedem Outfit. Das merken einige erst, wenn der Film bereits begonnen hat, immer wieder verlassen aufwendig gewandete Frauen den Saal. Viele von ihnen tragen Kleider mit Schleppe.
Rebellion oder nicht?
Da die neuen Vorgaben gut versteckt waren und auch recht spät bekanntgegeben wurden, ist schwer zu sagen, wer sich rebellisch widersetzte und wer vielleicht schon im Flieger sass, als der Dresscode durchgegeben wurde. Schauspielerin und Jury Mitglied Halle Berry hatte sich wegen der Vorgaben wohl in letzter Sekunde noch unentschieden, konnte man in der Presse lesen. Jurypräsidentin Juliette Binoches Ensemble, eines der meistdiskutierten Outfits des Abends, hatte tatsächlich eine Schleppe, auf die ein anderes Mitglied der Jury sogar draufstapfte beim Gruppenbild auf den Stufen vor dem Eingang zum Casino; sie war allerdings vergleichsweise kurz und nicht voluminös, so dass zumindest das Platzargument nicht zählt.
Heidi Klum wiederum kam in einer Robe von Elie Saab mit einer Schleppe, mit der man ihre ganze Kinderschar hätte einkleiden können. Sie war allerdings nur für den Roten Teppich gedacht, danach wurde sie abgenommen und weggetragen.