Nordkoreanische Raketen und Granaten hageln bereits auf die Ukraine herab. Südkorea hilft den Verteidigern indirekt durch die Lieferung von Waffen- und Bauteilen an die USA und Polen. Der Aufstieg beider Korea zu Waffenexporteuren hat globale Folgen.
Die Spannungen zwischen Nord- und Südkorea setzen sich auf den Schlachtfeldern der Ukraine fort. Zwei Jahre nach dem Überfall Russlands auf seinen Nachbarn sind die beiden verfeindeten Staaten, die sich auf der koreanischen Halbinsel hochgerüstet gegenüberstehen, zu wichtigen Waffenlieferanten für die Kriegslager geworden.
Nordkorea erregte weltweit Aufsehen, weil der kleine, arme, aber hochgerüstete Frontstaat seinen alten Verbündeten Russland neuerdings mit Kurzstreckenraketen, Munition, Mörsern und Granaten beliefert. Der südkoreanische Verteidigungsminister Shin Wok Sik schätzte Mitte Januar, dass der Norden entgegen einem Waffenexportverbot der Vereinten Nationen bereits mehr als 5500 Container mit Kriegsgütern ausgeführt habe.
Weniger bekannt ist der Kriegsbeitrag von Südkorea, dem Verbündeten der USA. Bis anhin liefere der Süden offiziell nur nichttödliche Ausrüstung wie Gasmasken und schusssichere Westen direkt an die Ukraine, keine Munition oder Waffen, sagt Frederic Spohr, Büroleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung von der deutschen FDP in Südkorea. Doch das Land unterstützt die Ukraine indirekt.
«Hinter vorgehaltener Hand heisst es, dass Südkorea grosse Mengen Munition an die USA geliefert habe, damit diese wiederum Kapazitäten hätten, um die Ukraine zu unterstützen», sagt Spohr. «Ausserdem stecken in einigen westlichen Waffen für die Ukraine südkoreanische Komponenten, zum Beispiel in polnischen Krab-Haubitzen.» Doch was macht die beiden Länder als Waffenlieferanten für die Kriegsgegner so interessant?
Was Russland von Nordkorea will
Russlands Motiv für den Waffenkauf beim ostasiatischen Nachbarn und Verbündeten ist leicht erklärt. Während Russland im Krieg gegen die Ukraine Waffen und Munition ausgehen, gleicht Nordkorea einem riesigen Waffen- und Munitionsdepot. Denn auch nach dem Korea-Krieg (1950 bis 1953) hat sich der kleine Staat auf einen neuen Konflikt mit dem Süden und dessen Schutzmacht USA vorbereitet.
Bei 26 Millionen Einwohnern hat Nordkorea über eine Million Soldaten, für die das Land Waffen und Munition produziert. Wichtiger für die moderne Kriegsführung ist jedoch die Konzentration auf Artillerie, seien es Haubitzen oder atomar bestückbare Kurz-, Mittel- und Langstreckenraketen. Nordkorea ist gemäss Schätzungen im Besitz von zwischen fünfzig bis mehreren hundert nuklearen Sprengköpfen.
Russland bedient sich reichlich aus diesem Arsenal: Mehrere Einsätze der nordkoreanischen KN-23 seien bisher verifiziert worden, sagt Spohr. Diese ballistische Kurzstreckenrakete kann vermutlich einen 500 Kilogramm schweren Sprengkopf tragen.
Seit Herbst kursieren in russischen sozialen Netzwerken zudem Bilder, die russische Soldaten in der Ukraine mit nordkoreanischen Artillerie- und Mörsergranaten zeigen. Auch nordkoreanische Raketen für Mehrfachraketenwerfer vom Kaliber 120 Millimeter wurden auf Fotos gesichtet. Für den Korea- und Sicherheitsexperten Ramon Pardo vom britischen King’s College ist das erst der Anfang: «Wenn sich die russische Invasion hinzieht und der russische Präsident Wladimir Putin darum bittet, könnte Nordkorea bereit sein, Raketen mit grösserer Reichweite zu liefern.» Der südkoreanische Generalleutnant a. D. Chun In Bum rechnet sogar damit, dass Nordkorea ganze Waffenfabriken exportieren könnte.
Was sich Nordkorea von der Waffenhilfe an Russland erhofft
Im Gegenzug erhält Nordkorea nicht nur wirtschaftliche Hilfe von Russland, sondern vor allem Spielraum auf dem internationalen Parkett, der durch die Sanktionen der Vereinten Nationen und des Westens bisher extrem eingeschränkt war. Der Machthaber Kim Jong Un traf sich bereits vergangenen Herbst in Sibirien mit Putin. Dieser will sich nun bald bei dem langjährigen Verbündeten mit einem Gegenbesuch bedanken.
Die Partnerschaft ist nicht einfach. Und nun schafft der wachsende Grossmachtkonflikt zwischen den USA und China eine neue Situation. Plötzlich wird Pjongjang im Dreieck der Diktaturen China, Russland und Nordkorea vom Hilfsempfänger zum strategischen Partner Russlands.
Für Jenny Town, Senior Fellow am amerikanischen Think-Tank Stimson Center, gewinnt Nordkoreas Diktator Kim Jong Un durch die neue Waffenbrüderschaft drei Vorteile:
- eine politische Absicherung gegen weitere Strafmassnahmen der Vereinten Nationen, da Russland und China bei Verstössen gegen Uno-Resolutionen nicht mehr für Sanktionen stimmen;
- eine verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit, um die extrem schwache Wirtschaft anzukurbeln;
- und eine neue Stufe der militärischen Zusammenarbeit, «die es seit den Tagen der Sowjetunion nicht mehr gegeben hat», so Town.
Nordkorea könnte neue Kampfflugzeuge als Ersatz für seine alten sowjetischen Modelle erhalten, zudem andere konventionelle Waffen sowie Hilfe bei seinen Programmen für ballistische Raketen und Satelliten, sagt Town. Gleichzeitig belebe der Pakt zwischen Kim und Putin die Rüstungsindustrie.
Die Folgen sind bereits spürbar. Nordkorea hat Südkorea wieder zum Hauptfeind erklärt und redet wieder mehr von Krieg. Auch das nukleare Drohpotenzial Nordkoreas wächst. So mahnte Südkoreas Uno-Botschafter Hwang Joon Kook kürzlich, Nordkorea habe die Ukraine zum Testlabor für seine atomar bestückbaren Raketen gemacht. Dies habe «erhebliche Auswirkungen auf die weltweite Nichtverbreitung von Kernwaffen».
Selbst im Bereich der konventionellen Waffen könnte Nordkorea Konflikte anheizen. Traditionell ist Nordkorea ein wichtiger Waffenlieferant für Rebellen und Terroristen in aller Welt. Nach Angaben des südkoreanischen Geheimdienstes setzte die Palästinenserorganisation Hamas im Krieg mit Israel sogar nordkoreanische Waffen ein. Nun, da sich über Russland neue Lieferwege auftäten, könnte Nordkoreas Rolle wieder wachsen, sagt Town warnend. Nordkorea habe «wenig zu verlieren, wenn es Waffen an jeden liefert, der bereit ist, zu zahlen».
Südkorea will einer der grössten Waffenexporteure der Welt werden
Südkorea ist das kapitalistische Gegenstück zu Nordkorea. Wegen des Dauerkonflikts mit dem Norden hat die Exportnation immerhin rund 600 000 Soldaten unter weit moderneren Waffen als der kommunistische Teil der getrennten Halbinsel. Viele Waffensysteme stammen zudem aus eigener Produktion.
Das politische Establishment hat die kritische Situation bereits vor zwanzig Jahren parteiübergreifend als wirtschaftliche Chance erkannt. Um die finanzielle Last der permanenten Kriegsbereitschaft zu mindern und die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Rüstungskonzerne zu erhöhen, haben linke wie rechte Regierungen den Rüstungsexport zu einer Säule der Wirtschaftsstrategie gemacht.
Die Ziele sind ehrgeizig: Bis 2027 will der konservative Präsident Yoon Suk Yeol die bisherige Batterie-, Auto- und Chip-Grossmacht auch zum viertgrössten Waffenexporteur der Welt aufbauen. Das könnte gelingen, denn mit der globalen Aufrüstung explodieren auch Südkoreas Waffenexporte.
Im Jahr 2022 verkaufte Südkorea Rüstungsgüter im Wert von mehr als 17 Milliarden Dollar. Grösster Abnehmer war Polen mit 13 Milliarden Dollar. Um seine Verteidigung gegen einen möglichen Angriff Russlands zu stärken, kaufte das Nato-Mitglied koreanische K-2-Panzer, K-9-Haubitzen, leichte Kampfflugzeuge vom Typ FA-50 und Mehrfachraketenwerfer vom Typ K-239.
Die Nachfrage bleibt hoch. So hat Saudiarabien vergangenes Jahr ein Rüstungsgeschäft mit Südkorea abgeschlossen. 2023 lagen die Exporte damit noch bei 13 Milliarden Dollar. Für dieses Jahr rechnet die Regierung dank einer zweiten Lieferung an Polen sogar mit Einnahmen von mehr als 20 Milliarden Dollar.
Der Korea-Experte Pardo sagt: «Der Hauptgrund für Südkoreas Erfolg liegt darin, dass das Land kurzfristig eine Reihe hochwertiger Waffen liefern kann.» Polen erhielt seine ersten Haubitzen nur fünf Monate nach Unterzeichnung des Kaufvertrags. Ausserdem seien Südkoreas Waffen billiger als die westlicher Exporteure, so Pardo.
Südkoreas Panzerabwehrrakete AT-1K Raybolt kostet nur ein Drittel einer amerikanischen Javelin. Die K-9-Haubitzen wiederum sollen die deutschen Pendants preislich unterbieten. Dass die Waffen aus Ostasien zudem Nato-Standards erfüllen, verstärkt ihren Reiz für westliche Staaten noch. Es zahlt sich für Südkorea also aus, das aus Angst vor Nordkorea eingegangene Bündnis mit den USA und hohe Rüstungskapazitäten weiter zu unterhalten.
Die grosse Frage für Südkorea ist allerdings, ob die Regierung auch Waffenverkäufe an die Ukraine durchsetzen will. Bis anhin sind direkte Waffenexporte in Kriegsgebiete gesetzlich verboten. Doch der deutsche Korea-Experte Spohr beobachtet, dass Yoon durchaus auf eine aktivere globale Rolle Südkoreas drängt.
«Yoon weiss auch, dass Waffenlieferungen in die Ukraine die Allianz Südkoreas mit den USA weiter festigen würden», sagt Spohr. Politisch sei der Schritt aber brisant. Die Bevölkerung sei zurückhaltend. «Viele befürchten, dass Russland aus Rache Nordkorea stärker unterstützen könnte.»
Spohr hält direkte Waffenlieferungen deshalb für unwahrscheinlich. Zudem würden die Südkoreaner auch den Ausgang der amerikanischen Präsidentschaftswahl im November abwarten. Sollte Donald Trump gewinnen, könnten die amerikanischen Hilfen für die Ukraine komplett eingestellt werden. Niemand schliesst sich gerne einer fragilen Koalition an.