Jan Cadieux hat den Genève/Servette HC innerhalb eines Jahres zur Meisterschaft und zum Triumph in der Champions Hockey League geführt. Er trägt jenes Sieger-Gen in sich, das schon seinen Vater auszeichnete.
Viele Menschen werden ungern am eigenen Vater gemessen. Jan Cadieux dagegen störten die Vergleiche nie. «Mein Vater war der bessere Eishockeyspieler als ich», sagte der kanadisch-schweizerische Doppelbürger der «NZZ am Sonntag» vor knapp einem Jahr. «Dafür hoffe ich, ein besserer Trainer zu werden.»
So schlecht war Jan Cadieux auf dem Eis zwar nicht. Für Lugano, Fribourg-Gottéron und Genf/Servette bestritt er 462 Nationalliga-A-Partien. 2001 wurde er von der Liga zum Neuling des Jahres gewählt. Zwei Jahre später gehörte er jenem Team an, das für den HC Lugano den bis heute zweitletzten Titel gewann. Mehr als eine Nebenrolle im vom finnischen Verteidiger Petteri Nummelin angeführten Tessiner Starensemble hatte er allerdings nicht.
Mit 34 Jahren beendete Cadieux die Spielerkarriere und begann im Nachwuchs Gottérons jene als Coach. Zu den prägendsten Erinnerungen aus der Aktivzeit gehören die Jahre zwischen 2003 und 2011, als er unter Chris McSorley für Genf/Servette spielte. Der 52-jährige Kanadier, der während achtzehn Jahren in verschiedenen Positionen für die Genfer arbeitete, sagte der NZZ vor einem Jahr: «Jan war für mich immer ‹Mister Serious>. Ich hatte nie den geringsten Anlass, mir seinetwegen Sorgen zu machen. Ich bin nicht überrascht, welch hervorragenden Job er heute als Trainer in Genf macht.»
Als McSorley das sagte, war Jan Cadieux noch ein Trainernovize, der nichts gewonnen hatte. Mittlerweile ist der Genève/Servette HC unter ihm zuerst Schweizer Meister geworden und hat am vergangenen Dienstag im Final gegen Skelleftea auch die Champions Hockey League gewonnen. Nach dem Sieg gegen den schwedischen Spitzenklub sagte der Coach, das sei der Lohn für die harte Arbeit, welche das Team in den vergangenen eineinhalb Jahren geleistet habe.
Eigentlich sollte der ältere Bruder kommen
Arbeit ist ein Begriff, der untrennbar mit der Familie Cadieux und ihren Protagonisten verbunden ist. Paul-André Cadieux, Jans Vater, stiess 1971 mehr zufällig als willentlich als Spielertrainer zum SC Bern. Eigentlich erwartete der Klub seinen sechs Jahre älteren und sportlich erfolgreicheren Bruder Raymond am lokalen Flughafen in Belp. Doch dieser war unpässlich und schickte stattdessen einen Statthalter in die Eishockey-Provinz.
Als er das Traineramt in Bern antrat, erklärte Paul-André Cadieux zunächst, dass er höchstens ein Jahr bleiben werde. Daraus wurde schliesslich ein Leben lang. Mittlerweile ist der Vater Cadieux in der Schweiz assimiliert und besitzt die Staatsbürgerschaft.
Paul-André Cadieux lehrte die Eishockeyspieler in Bern, was harte Arbeit heisst. Er führte die täglichen Trainings ein und hetzte Nachwuchstalente in der Sommer-Eishockeyschule mit Gepäck auf dem Rücken die steilen Treppenstufen der legendären Wand in der Postfinance-Arena hoch.
Später spielte und coachte Paul-André Cadieux auch noch beim HC Davos, beim EHC Chur, bei Fribourg-Gottéron, beim SC Langnau, bei Genf/Servette, beim EHC Biel, bei Ajoie, La Chaux-de-Fonds, Lausanne, Octodure Martigny, beim EHC Basel und schliesslich bei den Young Sprinters aus Neuenburg, ehe er schwer erkrankte. In den letzten zwölf Monaten mussten ihm wegen eines Infekts beide Füsse und Unterschenkel amputiert werden.
Paul-André Cadieux war und ist ein Eishockey-Besessener. Er hat diese Leidenschaft an seinen Sohn weitergegeben. Jan Cadieux erzählte der NZZ vor einem Jahr, als Junior habe er stets zwei Trainer gehabt: jenen auf dem Eis und an der Bande und einen zweiten zu Hause am Küchentisch. Es gehört zu seinen Jugenderinnerungen, als Halbwüchsiger am Sonntagmorgen mit seinem Vater ab VHS-Videokassetten jeweils die Spiele des Vorabends analysiert zu haben.
Doch wie viel Eishockey ist zu viel? Gefangen zu sein im Schatten eines Vaters, der in der Schweiz eine Legende ist, kann die Lust an der Leidenschaft auch trüben. Es gab eine Zeit, da hatte Jan Cadieux nur einen Wunsch: Eishockey sein zu lassen und seinen eigenen Platz im Leben zu suchen. Doch weil er eben doch durch und durch ein Cadieux ist, tat er das nicht und schlug stattdessen den Weg seines Vaters ein.
Marc Gautschi ist Sportchef in Genf und in dieser Funktion noch fast ebenso neu wie sein Trainer. Er hat den Vater Cadieux während seiner Jugend im Nachwuchs des SC Langnau kennengelernt. Heute sagt er: «Ich erkenne in Jan sehr viel von Paul-André wieder. Die beiden teilen die Intensität, die Leidenschaft, aber auch die Ehrlichkeit, mit der sie mit den Spielern umgehen. Doch Jans grösste Stärke ist die Akribie, mit der er arbeitet.»
Die spielerische Klasse seines Vaters hat Jan Cadieux trotz dem Meistertitel mit Lugano tatsächlich nie erreicht. Doch den zweiten Teil seines Bonmots, dereinst ein besserer Trainer zu werden, hat er mit den zwei Titeln, die er in den vergangenen zehn Monaten feierte, bereits eingelöst.
Vor einem Jahr sagte Jan Cadieux der NZZ selbstkritisch: «Auch wenn meine Liebe für das Eishockey sehr gross ist, ist jene meines Vaters noch um zehn Prozent grösser. Vielleicht auch deshalb hätte ich nie einer seiner Spieler sein wollen. Wahrscheinlich sind wir uns zu ähnlich.»
«Wir stehen nicht dort, wo wir stehen möchten»
Doch es mangelt dem Trainer nicht an der Einsatzbereitschaft. Bereits am Mittwochmorgen, nur Stunden nach dem Triumph im Champions-League-Final, traf sich Jan Cadieux auf der Eisbahn bereits wieder mit Marc Gautschi. Der Berner teilt mit seinem Coach die relative Unerfahrenheit. Auch er ist zum ersten Mal in einer führenden Position.
Gautschi sagt: «Es bringt nichts, wenn wir uns nun allzu stark im Erfolg sonnen. Wir stehen in der Meisterschaft nicht dort, wo wir stehen möchten und aufgrund unseres Kaders auch stehen sollten.» In einer ausgeglichenen Liga vertrage es kein Nachlassen, sonst komme es so, wie es in dieser Saison gekommen sei.
Das sind unerwartet kritische Worte für einen Manager, der mit seinem Team und dessen Trainer gerade den wichtigsten europäischen Klubwettbewerb gewonnen hat. In der nationalen Meisterschaft lag Servette vor diesem Wochenende lediglich auf Platz 8, zwei Plätze hinter jenen Rängen, auf denen man sich direkt für die Play-offs qualifiziert.
Noch in der Kabine nach dem Match hat Jan Cadieux sein Team dazu angehalten, den Fokus nicht zu verlieren. Gautschi sagt: «Hätten wir den Final verloren, hätte ich mir Sorgen gemacht, nun in ein Loch zu fallen. Doch so hoffe ich, dass wir diesen Schwung mitnehmen können.» Im mentalen Bereich habe sein Team immer noch ein Defizit gegenüber routinierteren Teams wie den ZSC Lions oder dem EV Zug.
Gewinnen ist ein Prozess, den man zuerst lernen muss. Jan Cadieux hat dieses Sieger-Gen von seinem Vater geerbt. Seine Aufgabe ist es nun, es an seine Spieler weiterzugeben. Bisher ist ihm das nicht schlecht gelungen.