Jiang Hongjing / Imago
Früher warb China mit Pandas um die Gunst des Westens. Heute zeigen sie das Selbstbewusstsein der neuen Supermacht. Eine Geschichte über die wohl einflussreichsten Tiere der Welt.
Es ist vorbei. Der amerikanische Nationalzoo in Washington hat ein Pandagehege, Pandawärter, eine Bambusplantage. Doch seit November keine Pandas mehr. Am Tag der Abreise hielt eine hochrangige Diplomatin der chinesischen Botschaft eine Abschiedsrede. «Pandas gehören China», sagte sie.
Eine Woche darauf trafen sich die Präsidenten Xi Jinping und Joe Biden in San Francisco. Sie verhandelten über Taiwan, Nahost, Fentanyl. Und über Pandas. Denn 2024 laufen die Verträge der letzten vier verbliebenen Pandabären in den USA aus, die im Zoo von Atlanta leben. Zum ersten Mal seit über achtzig Jahren werden keine Pandas mehr in den Vereinigten Staaten leben. Es ist unsicher, ob sie je zurückkommen werden.
Alle Pandabären in den Zoos dieser Welt gehören China, wo der natürliche Lebensraum der Bären ist. Im Gegensatz zu anderen Ländern behält China aber die Kontrolle über die Tiere und stellt sie nur ausgewählten Partnern zur Verfügung. Der Welt ist das als Panda-Diplomatie bekannt. Ein Zoo bekommt Pandas, wenn die Beziehungen zwischen China und dem entsprechenden Staat einen Meilenstein erreicht haben. China behandelt die Bären wie Staatsbürger und nennt sie seine «Botschafter».
Wie echte Diplomaten sind die Bären nur auf Besuch im fremden Land. Kriselt es in der Völkerfreundschaft, zieht die Supermacht ihre «Botschafter» ab. Bis vor kurzem waren laut der chinesischen Forstbehörde 64 Bären in 19 Länder entsendet. Inzwischen sind es weniger. Denn auch Grossbritannien steht jetzt ohne Bären da, im Dezember flogen die zwei Pandas aus dem Zoo in Edinburg zurück nach Hause. Die leeren Pandagehege sind zum Zeichen der wachsenden Feindseligkeit zwischen China und der westlichen Welt geworden.
«Wie süss!»
Dabei begann die Pandaliaison zwischen der Volksrepublik und dem Westen so verheissungsvoll. Richard Nixon war 1972 zum ersten Staatsbesuch der USA ins kommunistische China gereist. Bei einer Dinnerparty sass seine Gattin Patricia neben Chinas damaligem Ministerpräsidenten Zhou Enlai, auf dem Tisch lag eine Zigarettenschachtel mit Pandalogo. «Wie süss!», soll die First Lady gesagt haben. «Sie bekommen welche», erwiderte der Ministerpräsident. Zwei Monate später flogen zwei Pandabären in den Zoo nach Washington.
Es war ein Geschenk der chinesischen Regierung, das die Amerikaner zu lesen wussten: China war an guten Beziehungen interessiert. Fortan näherten sich die beiden Weltmächte an. Mit dem Pandageschenk an den kapitalistischen Klassenfeind leitete das kommunistische China eine neue Phase in seiner Politik ein, während deren es seinen Einfluss weltweit ausdehnte.
Pandabären erobern die Herzen der Menschen. Das wussten die Politiker der Volksrepublik, die mit den flauschigen Geschenken an eine lange Tradition anknüpften. Seit Jahrhunderten verschenkten chinesische Herrscher immer wieder Pandabären, um ihren guten Willen für eine Freundschaft zu zeigen.
Doch erst mit der Staatsgründung der Volksrepublik im Jahr 1949 haben die Pandas die kulturelle Bedeutung erlangt, die ihnen bis heute zukommt. Obwohl die Bären seit Urzeiten in China leben, hatten keine vorherigen Herrscher sie zum Zeichen ihrer Macht erhoben. Der Staatsgründer Mao Zedong nutzte die Pandas, um auch symbolisch einen Neuanfang zu setzen. Er machte sie zum Wahrzeichen des neuen China.
Seitdem zieren die Bären Zigarettenschachteln, Kondensmilch und Briefmarken. 2022 waren sie eines der Maskottchen der Olympischen Winterspiele. Die Chinesen verbinden ihren Nationalstolz mit den Bären, sie verfolgen genau, wie es ihren Pandas im Ausland geht. Als im vergangenen Februar ein Panda im Zoo von Memphis unerwartet an einem Herzversagen starb, löste das in China eine Welle der Empörung aus. Viele vermuteten, die Amerikaner hätten sich schlecht um den Bären gekümmert, und forderten, dass alle Pandas aus den USA sofort zurückgebracht werden sollten.
Auch Deutschland sorgte einmal für einen Eklat. Als Berlins Pandadame Yan Yan 2007 starb, stopfte man sie im Naturkundemuseum aus – statt die Leiche direkt nach China zu senden. Der Gesandte des chinesischen Botschafters schaltete sich ein und sorgte dafür, dass China seinen toten Panda bekam. Die diplomatischen Beziehungen waren gerettet. Noch gerade so.
Pandas für Deutschland
Deutschland hatte seine ersten Pandas 1980 erhalten, der Bundeskanzler Helmut Schmidt bekam das Pärchen Bao Bao und Tian Tian – «Schätzchen» und «Himmelchen» – von China geschenkt. Ein Jahr, nachdem die beiden Länder einen Vertrag über ihre wirtschaftliche Zusammenarbeit unterschrieben hatten. Und zwei Jahre, bevor die Bundesrepublik erstmals ihren Präsidenten zu einem Staatsbesuch nach China schickte.
Fortan standen Schätzchen und Himmelchen im Westberliner Zoo dafür, dass sich die Bundesrepublik und China um gute Beziehungen zueinander bemühten – und voneinander profitierten.
Doch im Jahr 1984 steckte sich Himmelchen mit einem Virus an und starb. Schätzchen lebte als Witwer noch bis 2012. Kinderlos. Nach 32 Jahren stand Deutschland wieder ohne Pandas da. Trotz allen guten Beziehungen zur Volksrepublik sollte es fast fünf Jahre dauern, bis China neue Pandas entsendete. Sogar die deutsche Kanzlerin Angela Merkel musste aktiv werden.
Im Oktober 2015 sprach Merkel beim Präsidenten Chinas vor. Nach einem Abendessen in Peking vermittelte sie ihm, dass die Deutschen gerne wieder Pandas hätten. Merkel und Xi tranken Tee, zuvor hatten sie über Fussball gesprochen, ein Lieblingsthema des chinesischen Herrschers. Der Wunsch nach den Pandas werde geprüft, sagte Xi. Und er fügte einen Satz an, der in der Sprache der Diplomatie viel bedeutet: Es sei denkbar.
Zwei Jahre später lächelten Merkel und Xi in die Kameras in Berlin und begrüssten die neuen Gäste der Stadt. Die sassen hinter den Politikern und knabberten Bambus. Im Berliner Zoo sagte Merkel damals, die beiden Pandas seien «zwei sehr sympathische Diplomaten». Und: «Dieses heutige Ereignis steht symbolisch für die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern.»
In Hamburg fand zwei Tage später der G-20-Gipfel statt, für den Xi nach Deutschland angereist war. Mit ihrer Politik zeigte sich Merkel der Volksrepublik wohlgesinnt, ihr Kurs war wirtschaftsfreundlich. Das Credo: Was deutschen Unternehmen nützt, dient auch dem Staat. Auch dafür stehen die zwei Pandabären in Berlin. Sie sind ein Dankeschön an die Kanzlerin.
«Save the pandas»
Ein Panda ist eine Gabe an ein Land, nicht an einen Zoo. Es erhalten vor allem jene Länder Pandas, die der Volksrepublik wirtschaftlich nützen. Eine Denkfabrik aus den USA rechnet vor, dass Chinas grösste Handelspartner bisher am meisten Pandas bekommen haben: die USA, Südkorea und Japan. Deutschland steht auf Platz sieben der wichtigsten Partner. Je grösser eine Volkswirtschaft ist, desto höhere Chancen hat sie auf die knuddeligen Bären.
Die Panda-Diplomatie entwickelte sich schnell zum Erfolgsmodell für China und dessen Handelsbeziehungen. Doch sie war schlecht für die Tiere. Die Chinesen jagten die Wälder leer. Mehr als siebzig Bären fingen sie allein in den siebziger Jahren, um sie an fremde Nationen zu verteilen.
Zudem verschmutzte die wachsende Industrie immer mehr die Umwelt und zerstörte den Lebensraum der Bären. China befand sich mitten in der wirtschaftlichen Reformphase der frühen achtziger Jahre, als die Pandas in den Bergen der Provinzen Sichuan und Gansu begannen, apathisch und schwach zu werden. Schuld daran war der Bambus, der auf grossen Flächen verkümmerte. Chinas beliebtestes diplomatisches Instrument drohte zu verhungern.
Das rückte die Pandas auf die chinesische Naturschutzagenda. Tote Pandas wurden observiert, schwächelnde gerettet, man pflanzte Bambus und wies Naturschutzgebiete aus. Auch international gab es viel Solidarität. Die erste grosse «Save the pandas»-Welle rollte an. Die Naturschutzorganisation WWF nahm über eine halbe Million Dollar für die Pandas in China ein. Sogar die Schulkinder in den USA sammelten «Pennies for Pandas». Deng Xiaoping, der chinesische Führer, bedankte sich dafür 1984 bei der amerikanischen First Lady Nancy Reagan.
Spätestens da erkannte die Volksrepublik: Die Welt war bereit, für die Pandas zu zahlen. China hörte auf, Pandas zu verschenken, und verleiht sie nun stattdessen für bis zu eine Million Dollar pro Pandapaar und Jahr. Das Geld fliesst in den Pandaschutz. Die Verträge haben eine Laufzeit von zehn bis fünfzehn Jahren, dann wird neu verhandelt.
Pandas muss sich ein Zoo leisten können. Zur hohen Leihgebühr kommen die immensen Kosten für die Haltung. Die Tiere fressen um die 18 Kilo Bambus pro Tag. In Europa gibt es dafür extra Plantagen, die sich ihren Pandabambus teuer bezahlen lassen. Hinzu kommt: Pandas sind Prinzessinnen, ihr Anspruch an die Umgebung ist hoch. Das neue Gehege in Berlin kostete 10 Millionen Euro.
Die Zoos zahlen das, weil die Leute verrückt nach den Bären sind. Erhält ein Zoo Pandas, kommen die Menschen in Scharen. Teilweise verdoppeln sich die Besucherzahlen. Doch über Geld schweigen Zoodirektoren lieber.
Ein besonderes, ein politisches Tier
Anruf bei Volker Homes in Berlin, dem Geschäftsführer des Verbands der Zoologischen Gärten im deutschsprachigen Raum. Was er von der Panda-Diplomatie halte? Holmes überlegt ein paar Sekunden, dann sagt er: Der Panda sei ein besonderes Tier. Ein politisches Tier, das auf Regierungsebene verhandelt werde. Mehr sagt Homes dazu nicht, er verweist auf den Zoo Berlin.
Dessen Pandabeauftragter Florian Sicks will ebenso wenig über die politische Dimension der Bären reden. Auch nicht über Finanzen, Verträge und die Abhängigkeit von China. Lieber erzählt er vom Naturschutz. Wenige Tage zuvor ist Sicks von einer Pandakonferenz aus Chengdu zurückgekehrt. Von den Eindrücken in Chinas Pandareservat ist er noch beseelt. Mehr als 200 Pandas leben dort. «Es ist ein Artenschutzprojekt, das seinesgleichen sucht», sagt Sicks.
Der Pandaschutz ist in China zu einem Vorzeigeprojekt geworden. Mittlerweile entlassen chinesische Tierpfleger und Wissenschafter erste Bären, die sie im Gehege aufgezogen haben, in die Wildnis. Fast 1900 Bären leben heute in freier Wildbahn, in den achtziger Jahren waren es rund 1100. Die Pandas sind damit in der Kategorie der gefährdeten Arten auf die niedrigste von drei Stufen gefallen.
Die Pandas haben das Chinas internationalen Kooperationen zu verdanken. 1979 holte China als erste westliche Naturschutzorganisation den WWF ins Land, der fortan die Regierung bei ihren Massnahmen für die Pandas unterstützte. 1980 f0lgte eine erste Feldstudie zu den Lebensgewohnheiten der Bären – unter Leitung eines amerikanischen Zoologen.
Damals war China ein armer Bauernstaat. Um die Pandas alleine zu retten, fehlten Geld und Wissen. Heute ist das Land eine aufstrebende Supermacht, die keine Hilfe mehr aus dem Ausland braucht. In den vergangenen Jahrzehnten hat China zunehmend den Einfluss ausländischer Experten reduziert. Jetzt leiten Chinas Pandaprofis die Mission der Rettung der Bären, die Fachleute aus dem Ausland folgen.
Der WWF hat als Logo einen Panda. Das machte den Bären weltweit zum ikonografischen Symbol für bedrohte Tierarten. China wandelte das Symbol der Schwäche in eines der Stärke um. Aus süssen Knuddelbären, mit denen China um die Gunst des Westens warb, wurden Diplomaten, die China entsendet oder abzieht, wie es ihm gefällt.
Xi in Pandastimmung
Dieses Jahr zieht China voraussichtlich alle verbliebenen Pandas aus den USA ab. Die Beziehungen der beiden Länder sind an einem Tiefpunkt. Doch ein Zoo, der seine Pandas verliert, lässt traurige Kinder zurück. Das ist ein Szenario, auf das amerikanische Politiker gerne verzichten möchten. Xi witterte da eine Gelegenheit, als Gönner dazustehen. Nach seinem Treffen mit Biden im November sagte er: «Mir wurde gesagt, dass viele Amerikaner, vor allem Kinder, sich nur ungern von den Pandas trennen wollten.» Die USA könnten wieder neue Pandas bekommen. Was Xi dafür im Gegenzug erwartet, ist unbekannt.
Den Pandas ist das alles egal. Sie fressen und schlafen. Ihr Leben gestalten sie so gemütlich, dass sie oft sogar den Sex vergessen. Auch deswegen gibt es so wenige von ihnen.
Text: Leon Igel, Katrin Büchenbacher, Bildrecherche: Dario Veréb.