Modisches Gebrüll
Animal-Print ist aus der aktuellen Mode nicht mehr wegzudenken. Wie die wilden Muster salonfähig wurden.
Diese Kausalkette ist etwas gewagt, aber laut der Modezeitschrift «Vogue» konnte den letzten Winter nur überleben, wer genügend Animal-Print im Schrank hatte. Kein echtes Fell, versteht sich. Es ging hier sowieso weniger um den Schutz vor den Elementen, sondern um das Durchkommen im harten modischen Wettstreit. Ohne wilde Muster, so lautete der Befund vergangenen November, laufe da gar nichts, siehe das Angebot von Marken wie Bottega Veneta, Jil Sander und Stella McCartney.
Konsequenterweise müsste man nun hinterherschieben, dass die Lage sich in diesem Frühling keineswegs geändert hat, eher im Gegenteil. Zebrastreifen, Giraffen- und vor allem Leo-Print sind in den Kollektionen weiterhin stark vertreten. Bei Dolce & Gabbana, Alaïa, Wales Bonner oder Ba&sh. Nächsten Winter geht es immer noch nicht ohne, nicht bei Dior, nicht bei Versace, wo Animal-Print mit dem typischen Barockmuster verschmilzt, und nicht bei Blumarine.
In der ersten Kollektion des neuen Kreativdirektors von Blumarine, Walter Chiapponi, war gleich der erste Look ein Leo-Mantel, auf den viele Leo-Strumpfhosen folgten. Gäbe es Buchmacher für den Modebetrieb, könnte man gleich noch ein paar Wetten für Sommer 2025 abschliessen, die man garantiert nicht verlieren würde. Leo-Print ist längst so etwas wie das neue Karo, ein Klassiker unter den Mustern. Er ist einmal mehr oder weniger präsent, aber er geht nicht mehr weg.
Ein kulturelles Phänomen
Warum das Ganze dann überhaupt noch eine Meldung wert ist? Weil wohl kein Trend nach wie vor so kontrovers diskutiert wird wie Animal-Print. Die einen lieben ihn, die anderen finden ihn immer ein bisschen «trashig» – tragen ihn irgendwann aber natürlich trotzdem. Ganz kalt lassen diese Muster niemanden, was auch damit zu tun hat, dass sie kaum zu übersehen sind und nicht zuletzt deshalb über die Jahre für eine ganze Reihe kultureller Phänomene herhalten mussten.
Zuletzt etwa für die sogenannte «Mob Wife Aesthetic», die stets mit viel Haar, viel Make-up, viel Schmuck und viel Tier illustriert wird. Überkandidelte Mafiabräute, die sich einen feuchten Kehricht um «Quiet Luxury» scheren. Genau deshalb sorgte das Ganze auf Tiktok ja so für Furore. Auf Trend folgt Gegentrend.
Egal, ob man der Optik von Leoparden, Geparden und anderen exotischen Tieren nun persönlich zugeneigt ist oder nicht, ihr Weg in die Alltagsgarderobe gehört tatsächlich zu den wildesten und interessantesten Kapiteln der Modegeschichte. Von ganz oben nach ganz unten und wieder zurück, Geld, Macht, Glamour, Sex – wäre Animal-Print eine Personengruppe, würde Netflix sofort einen mitreissenden Sechsteiler über ihr Leben drehen.
Auch Götter trugen Leo-Print
Wo die animalischen Ursprünge liegen, liess sich gerade noch einmal eindrucksvoll bei der Schau von Marni für den nächsten Winter beobachten. In einer höhlenartigen Location zeigte Francesco Risso eine Art modischen Urschrei, die Essenz von kleidsamer Kreativität, die einmal mit Fell und eben auch gemusterten Tierfellen begonnen hat, siehe Familie Feuerstein. Wobei die Jacken und Kleider von Risso in Leo-Print natürlich keineswegs primitiv, sondern absolute Avantgarde sind.
Von Anfang an suchte der Mensch in diesen Kleidungsstücken aber nicht nur Schutz und Wärme, viele Kulturen glaubten, dass sich die Stärke der Tiere auf den Träger übertrage. Sich mit den wildesten Trophäen zu schmücken, symbolisierte Macht und Status. Sogar die Götter trugen Animal-Print: Die altägyptische Göttin des Schreibens und des Ahnenkults Seschat oder der griechische Gott Dionysos wurden oft in Leo-Print gehüllt dargestellt.
Napoleon und Tarzan setzen Modetrends
In die moderne Garderobe gelangte der Animal-Print dadurch, dass die europäische Aristokratie im 18. Jahrhundert auf Weltreise ging und mit Pelzen zurückkam. Echten, versteht sich. Exotische Felle aller Art wurden zum ultimativen Luxusobjekt. Napoleons Expeditionen nach Nordafrika sollen damals einen regelrechten Animal-Print-Hype in Frankreich ausgelöst haben. Diese aristokratische Allüre haftete dem Look immer noch an, als er in den 1930er Jahren wirklich in Mode kam.
Bald versprühte er jedoch auch eine Spur Unbändigkeit und Abenteuerlust: 1932 lief der Film «Tarzan the Ape Man» in den Kinos, und obwohl auf dem Filmplakat nur Johnny Weissmüller Leo trägt, soll dieser Film vor allem Frauen dazu inspiriert haben, es doch einmal mit ein bisschen Exotik in der Garderobe zu probieren.
Halten wir also fest: Das Ursignal plus ultimativer Luxus plus Chuzpe, und mit dieser Mischung machten die Muster fortan eine eindrucksvolle Karriere.
Der Leo-Mantel ist ein Klassiker
Christian Dior präsentierte 1947 ein elegantes Leo-Kleid in typischer New-Look-Silhouette, gab aber zu bedenken: «If you are fair and sweet, don’t wear it.» Einige Jahre später posierte das berühmte Pin-up Bettie Page, betont unzahm, im Geparden-Badeanzug neben zwei echten Raubkatzen.
Dann wiederum sah man selbst die Präsidentengattin Jackie Kennedy im schicken, zweireihigen Leo-Mantel. Der ultimative Freifahrtschein. Von Elizabeth Taylor bis Catherine Deneuve und Kate Moss liess sich bis heute jede «Göttin» einmal in einem solchen fotografieren.
Der Animal-Print wird massentauglich
Doch wie bei allen Megatrends wurde es irgendwann auch hier im wahrsten Sinne des Wortes zu wild. Weil das Muster nicht mehr auf Echtpelz beschränkt war, sondern fleissig auf Stoff und Leder gedruckt wurde, trugen Frauen das plötzlich demokratische Statussymbol von Kopf bis Fuss, Leo-Stiefel zu Leo-Kleid zu Leo-Tasche. Designer wie Roberto Cavalli bauten später eine ganze Marke rund um Animal-Print auf.
Vor allem landete der Look buchstäblich auf der Strasse: Prostituierte schmückten sich mit dem vordergründig luxuriösen Muster und stilisierten sich als mondäne Wildkatzen. Schliesslich kam noch Peggy Bundy daher und trug in der 1980er-Jahre-Sitcom «Eine schrecklich nette Familie» ständig Leo. Aus selten und teuer wurde populär und trashig. Und das machte die Sache richtig interessant. Denn innerhalb dieses Spannungsfelds gibt es keine eindeutige Botschaft mehr. Das Muster wird zur ambivalenten Spielfläche, dessen Pendel in jede Richtung schlagen kann.
Als die Grunge-Ikone Kurt Cobain einen Leo-Mantel trug – umarmte er damit den Trash? Oder provozierte er das alte Establishment? Warum sieht Salma Hayek bei der Show von Bottega Veneta im Rock mit Giraffen-Print unglaublich elegant aus, während Eva Mendes im Leo-Komplett-Look bei der Dolce & Gabbana-Show eher wie eine Mob-Wife daherkam? Auch deshalb ist Animal-Print so verhasst, weil viele Leute sich davor fürchten, diese Sachen nicht gebändigt zu bekommen.
Frisch statt «trashig»
Wird es statt chic am Ende eher geschmacklos aussehen? Will ich insgeheim doch wild und gefährlich aussehen oder einfach nur cool? Was also macht den Unterschied? Es kommt wie so oft auf den Kontext, die Kombination und die Dosis an. Wenn die schwedische Marke Ganni sich mit einer urbritischen Marke wie Barbour zusammentut und das Muster mit klassischen Outdoor-Materialien und -Schnitten kombiniert, sieht das Ergebnis kein Stück überkandidelt oder kitschig aus, sondern ungewohnt und frisch.
Je hochwertiger oder sportlicher die Gesamtausstattung, desto geringer das Trash-Risiko. Und je kleiner die Dosis, desto weniger Wirkung. Die eigene Stärke und das Selbstbewusstsein per se – ohne irgendein übernatürliches Fell – spielen natürlich auch eine Rolle.
Die junge Kate Moss trug häufig nur eine Leo-Tasche zur Jeans, so wie Mädchen heute Sneaker mit Leo von Golden Goose anziehen. Erst später, als Frau, stieg das Model grossflächig ins Animalische ein. Denn so sehr das Fell die Tiere in ihrer natürlichen Umgebung tarnen soll, so auffällig wirkt das Muster am Menschen im Grossstadtdschungel. Animal-Print mag ein Klassiker sein, wandelbar und immer wieder überraschend aussehen, aber eines wird er wohl nie sein: leise.