Die Entwicklungspsychologin Pasqualina Perrig-Chiello erforscht Beziehungen. Sie weiss, was es braucht, damit die Liebe jahrzehntelang hält.
Frau Perrig-Chiello, Sie erforschen, warum manche Partnerschaften nach Jahrzehnten zerbrechen und andere nicht. Was braucht es, damit die Liebe hält?
Wir haben über tausend langjährig Verheiratete gefragt, was in einer guten Partnerschaft besonders wichtig sei. Ebenso viele Geschiedene fragten wir, was sie rückblickend besser hätten machen können. Beide Gruppen stimmten überein, dass Kommunikation das A und O sei. Man sollte über Differenzen sprechen, aber auch die Gemeinsamkeiten pflegen.
Dass man Differenzen klären sollte, liegt auf der Hand. Aber wie wichtig ist es tatsächlich, viele Gemeinsamkeiten zu haben?
Für eine gute Partnerschaft sind Gemeinsamkeiten erwiesenermassen essenziell, in erster Linie gemeinsame Werte wie Treue, Ehrlichkeit oder Vergebungsbereitschaft. Das Paar sollte im Kern dasselbe Verständnis davon haben, welche Grundsätze im Leben wichtig sind.
Auch wer gemeinsame Werte hat, kann sich auseinanderleben. Wie wichtig ist es, Zeit miteinander zu verbringen?
Gemeinsame Projekte sind ein Kernelement einer gelingenden Beziehung, beispielsweise die Kinder, die Familie, Hobbys oder die Firma, die man zusammen führt. Der häufigste Trennungsgrund nach einer jahrzehntelangen Ehe ist übrigens, dass sich die Personen auseinanderentwickelt haben. Das Gemeinsame, das so wichtig ist, schien ihnen nicht mehr möglich zu sein.
Es kann ja vorkommen, dass plötzlich ein Partner viel mehr Einsatz zeigt als der andere, zum Beispiel beim Projekt Kindererziehung. Ist ein Problem, dass manchmal ein Einzelkämpfer übrig bleibt?
Richtig. Wenn ein Projekt auf Kosten nur einer Person geht, dann ist das natürlich nicht zielführend. Es kommt aber auch vor, dass jemand von sich aus zu viel Zeit und Energie in die gemeinsame Entwicklung investiert und die eigene Entwicklung vernachlässigt. Und so wird die Person zunehmend uninteressant für den Partner oder die Partnerin.
Es braucht also eine Balance zwischen Gemeinsamkeit und persönlicher Entwicklung?
Genau. Jeder Mensch strebt danach, sich selbst immer wieder neu zu definieren. Wir müssen das auch tun, allein schon aufgrund äusserer und innerer Veränderungen. Wir bleiben nicht stehen, es entstehen neue Vorlieben und Bedürfnisse. Wir ändern uns ein Leben lang. Und es ist ganz wichtig, dass man bereit ist, dem Partner seine eigene Entwicklung zuzugestehen.
Warum sollte man das verhindern wollen?
Es macht vielen Angst, wenn sich der Partner verändert. Das sorgt für Unruhe in der Beziehung. Manche Menschen haben dann den Reflex, dass sie das stoppen wollen. Sie sagen zum Beispiel: «Du gehst nicht in eine Psychotherapie, das würde uns entfremden.» Oder: «Du brauchst doch nicht noch dieses Studium anzufangen.» Die Herausforderung in einer Langzeitbeziehung ist, dass man sich gegenseitig Freiraum gibt für die eigene Entwicklung, ohne dabei das Gemeinsame zu vernachlässigen. Gelassenheit und Vertrauen sind wichtig: Es wird schon gut. Ich unterstütze dich und schaue, dass auch ich nicht zu kurz komme.
Bedrohlich kann es sich ja tatsächlich anfühlen, wenn ein Partner plötzlich in eine ganz andere Richtung geht. Muss man sich dann unbedingt darüber austauschen, was einen als Paar überhaupt noch ausmacht?
Schauen Sie, Liebe ist keine Konserve. Liebe verändert sich, und Partnerschaft verlangt eine ständige Neudefinition. Man ist nach 30, 40 oder sogar 50 Jahren Ehe nicht mehr dasselbe Paar, das man einmal war. Es sind immer noch dieselben Personen, aber sie haben neue Ansprüche, haben Entwicklungen durchlaufen, kurzum: Sie gehen mit einem anderen Rucksack durchs Leben. Man sollte das aber nicht als Belastung, sondern als Chance sehen, neue, spannende Wege gemeinsam zu bestreiten.
Haben viele Paare Probleme damit?
Ich habe in Gesprächen mit Paaren immer wieder Sätze wie diesen gehört: «Meine Frau ist nicht mehr dieselbe wie damals.» Es ist allerdings naiv zu glauben, dass ein Mensch sich nicht verändert. Die besten Karten in der Hand haben Paare, die keine Angst vor der Veränderung haben und die kompromissbereit sind.
Es sind gar nicht die jungen Ehen, die besonders oft in die Brüche gehen. Viele Paare bleiben lange zusammen – und trennen sich dann doch noch. Warum ist das so?
Das häufigste Scheidungsalter ist Ende vierzig, also in der Lebensmitte. Das ist eine Phase, die von vielen Veränderungen geprägt ist. Auf körperlicher Ebene – Stichwort Wechseljahre – wie auch auf psychischer. Dazu gehört etwa das Bewusstwerden, dass das Lebenszeitfenster immer kleiner wird. Die Kinder ziehen aus, und die eigenen Eltern werden zunehmend hilfsbedürftig. Stress und Veränderungen im Beruf fordern ihren Tribut.
Und das belastet die Beziehung.
All diese Veränderungen erfordern eine Neudefinition der Identität und das Loslassen alter Rollen. Nach vielen Jahren mit Kompromissen ziehen viele Menschen Bilanz und fragen sich: Will ich die restlichen Jahre so weiterleben wie jetzt?
Die Scheidungsraten zeigen, dass sich viele Menschen gegen die Beziehung entscheiden. Warum?
Die positive Nachricht ist: Die meisten Ehen halten. Aber es stimmt, viele Ehen werden geschieden. Die Menschen haben eine längere Lebenserwartung in guter Gesundheit als früher, das eröffnet neue Perspektiven. Heute gibt es so viele Möglichkeiten, das Leben zu gestalten, wie nie zuvor. Immer weniger Personen harren in unbefriedigenden Ehen aus, die aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung viele Jahrzehnte dauern könnten.
Manche Paare schaffen es, auch schwere Krisen zu überwinden. Wie gelingt das?
Einige sind pragmatisch und fragen sich: Was wäre die Alternative? Für manche wäre die Trennung zum Beispiel ein finanzieller Ruin. Andere befürchten Einsamkeit oder einen sozialen Statusverlust. So raufen sie sich zusammen und suchen eventuell eine Paarberatung auf, um die Situation in den Griff zu bekommen.
Gibt es auch Menschen, die das gar nicht so pragmatisch sehen müssen? Denen es leichter fällt, Krisen zu trotzen?
Paare, die lange zusammen sind und es gut miteinander haben, lassen auch einmal alle fünfe gerade sein. Sie sind bereit zu vergeben, haben Humor und Zuversicht. Sie haben bereits schwierige Zeiten durchgemacht. Das schweisst zusammen.
Ob sich Probleme anbahnen oder nicht – ist es sinnvoll, dass sich Paare alle paar Jahre ganz bewusst zusammensetzen, Bilanz ziehen und offen darüber sprechen, ob sie ihren gemeinsamen Weg weitergehen wollen?
Es gibt viele Paare, die zum Beispiel die verschiedenen Ehejubiläen als Chance nehmen, ihre Partnerschaft neu zu definieren. Sie sprechen darüber, was schiefgelaufen ist, was gut war – und ob und wie sie weiterhin zusammen sein wollen. Ich finde das sinnvoll und ehrlich. Denn individuell macht man solche Bestandsaufnahmen ja sowieso. Warum also nicht gemeinsam und ritualisiert?
Eine langfristige Partnerschaft bedeutet viel Beziehungsarbeit. Wieso tut man sich das überhaupt an?
Weil wir Menschen soziale Wesen sind. Wir brauchen enge Beziehungen. Und zwar partnerschaftliche, intime. Die Partnerschaft deckt unsere psychologischen Grundbedürfnisse nach Liebe, gegenseitiger Unterstützung und Verlässlichkeit ab. Das ist gerade in Zeiten wie heute wichtig, wo vieles im Umbruch und Unverbindlichkeit zunehmend die Regel ist.
Wünschen sich junge Menschen noch die verlässliche Langzeitbeziehung?
Das tun sie. Die Forschung zeigt: Sie wollen Treue und ein Leben lang zusammen sein. Sie unterscheiden sich darin nicht von früheren Generationen. Vermutlich ist die Aussicht auf ein Leben in dieser unverbindlichen Gesellschaft mit einem Partner an der Seite allemal die bessere Option. Darüber hinaus wissen wir, dass intime, enge Beziehungen einen enormen Gesundheitsvorteil haben. Menschen in stabilen Beziehungen geht es körperlich und psychisch besser, und sie haben eine längere Lebenserwartung.
Für manche wird die Beziehung aber auch zur Stressquelle.
Ja. Eine Beziehung kann eine unendliche Ressource sein. Sie kann aber auch eine Stressquelle sein, die krank macht. Wer liebt, macht sich verletzlich. Wer sich trennt, hat zu seinem Vorteil mit unbefriedigenden Umständen gebrochen und einen mutigen Entscheid gefällt. Wer verlassen wird, leidet. Allerdings muss ich beifügen, dass die meisten sich nach einiger Zeit gut an die neue Situation adaptieren.
Kann jedes Paar, das nur entschlossen genug ist, für das Gelingen der Beziehung kämpfen?
Man kann vieles für eine gelingende Partnerschaft tun, aber es gibt keine Garantie dafür. Man kann im Leben nicht alles kontrollieren. Es gibt Ereignisse, die eine Partnerschaft auf eine harte Probe stellen können – wie der Tod eines Kindes oder eine schwere Erkrankung. Es braucht also auch Glück. Aber eben: Dem Glück kann man auf die Sprünge helfen.
Zur Person
Pasqualina Perrig-Chiello ist emeritierte Professorin für Entwicklungspsychologie der Universität Bern. Zum Thema Langzeitbeziehungen hat sie das Buch «Wenn die Liebe nicht mehr jung ist» publiziert. Ihr soeben erschienenes Buch «Own Your Age. Stark und selbstbestimmt in der zweiten Lebenshälfte» nimmt das Thema ebenfalls auf.