Das deutsche Fiskalpaket ist geschnürt, der Leitindex Dax steht bei rund 23‘000 Punkten, und auch in Europa wird viel Geld in die Verteidigung fliessen. Eine Konjunkturerholung scheint teils eingepreist. Für Trendfolger ist es daher an der Zeit, bei der Bewertung noch genauer hinzuschauen.
Chinesische, polnische, österreichische und vor allem deutsche Aktien laufen derzeit besonders gut. Die einstigen Stars, die US-Titel, haben dagegen deutlich an Kursmomentum verloren. Das verrät ein Blick auf die vierzig von The Market beobachteten Aktienindizes. Die Rotation weg von der Wallstreet hin zu internationalen Valoren und im Speziellen zu europäischen Aktien hat die Börsen bereits deutlich verändert. Und nun?
Gemäss der jüngsten Auswertung der Bank of America melden die befragten Fondsmanager ein signifikantes Übergewicht in Aktien aus der Eurozone: von «MAGA» (Make America Great Again) keine Spur mehr. Jetzt heisst es eher «MEGA»: Make Europe Great Again, wenn es etwa nach Tristan Bregy geht. Der Fondsmanager von Valeria Capital sieht in der Erhöhung der Verteidigungsausgaben Europas eine Chance für expansive Effekte auf das Wirtschaftswachstum, aber auch die Gefahr zur Eskalation geopolitischer Spannungen.
Für Trendfolger lässt dies nur einen Schluss zu: Wer auf Aktien setzen will, die sich in einem Aufwärtstrend befinden, wird derzeit besonders in Europa und Deutschland fündig. Mit dem Momentum Screen identifiziert The Market diejenigen Titel, die besonders kräftigen Kursschwung zeigen. Solche Papiere setzen häufig ihren Trend fort, sodass ein Investment lohnen kann.
Die Idee des Momentum Screen
In den Tabellen des Momentum Screen sind Aktien bekannter Indizes nach relativer Stärke sortiert. Je stärker das Kursmomentum, sprich, je nachhaltiger der Aufwärtstrend, desto weiter oben sind sie zu finden. Ein solcher Trend setzt sich häufig fort («The trend is your friend»). Messen lässt er sich anhand der relativen Stärke nach Levy (RSL). Die Kennzahl setzt den aktuellen Aktienkurs ins Verhältnis zum Durchschnittskurs der vergangenen 26 Wochen (multipliziert mit 100). Aktien, deren Kurs deutlich über dem Mittelwert liegt, haben Momentum. Gute RSL-Werte beginnen bei über 105 bis 110 (5 oder 10% über dem Durchschnittskurs) oder liegen über dem Mittelwert für den Gesamtmarkt. Um das Risiko der Methode abzufedern, sollten die Aktien zudem fundamental attraktiv bewertet sein, weshalb sich auch entsprechende Kennzahlen wie zum Beispiel das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) in den Tabellen wiederfinden. Der Momentum Screen kombiniert so Trendfolge mit Value Investing.
Im Dax verweilen der Rüstungskonzern Rheinmetall, der Zementhersteller Heidelberg Materials und die von UniCredit umworbene Commerzbank an der Spitze des Momentum Screen. Die Frage, die sich mehr und mehr aufdrängt, ist jedoch: Sind die Titel nach dem starken Run auch noch attraktiv bewertet? Denn nur dann sollten Trendfolger auf den fahrenden Zug aufspringen.
Der Vergleich von Rheinmetall und KI-Profiteur Nvidia illustriert den allgemeinen Börsentrend weg von den USA, hin zu Europa im Extrem. Seit drei Monaten driftet die Kursentwicklung deutlich auseinander: Der neue Anlegerliebling Rheinmetall hat sich mehr als verdoppelt, während der alte Börsenstar Nvidia an Wert verloren hat. Jüngst konnte Nvidia zumindest ein wenig Boden gutmachen und mit den neuen Chips Blackwell Ultra und Vera Rubin punkten, die CEO Jensen Huang auf der Entwicklerkonferenz GTC vorstellte. Für eine nennenswerte relative Stärke hat dies aber noch nicht gereicht.
Schaut man beim Düsseldorfer Rüstungskonzern auf die Bewertung, erscheinen die Papiere im ersten Moment teuer. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), gemessen am geschätzten Gewinn der nächsten zwölf Monate, liegt gemäss Daten von Bloomberg bei 43. Werte von mehr als 40 gelten – egal, bei welcher Aktie und in welcher Branche – eigentlich als (zu) hoch, es sei denn, es handelt sich um einen Wachstumstitel. Ein solcher aber ist Rheinmetall.
Bei der Präsentation der Jahreszahlen sorgte vor allem eine Folie für Aufsehen. Demnach rechnet Rheinmetall sich gute Chancen aus, in den nächsten fünf Jahren 20 bis 25% der Nato-Verteidigungsausgaben zu erhalten. Je nachdem, ob die Staaten bis 2030 am Ende 2,5%, 3% oder sogar 3,5% ihres Bruttoinlandprodukts (BIP) investieren, würde dies für Rheinmetall Rahmenvereinbarungen und Aufträge in Höhe von 50 bis 105 Mrd. € pro Jahr bedeuten.
Nato-Verteidigungsausgaben sollen auf rund 1000 Mrd. € steigen
Spätestens 2029 oder 2030, da sind sich Militärexperten einig, hat Russland stark genug aufgerüstet, um Europa angreifen zu können. Die Zeit drängt also, rechtzeitig eine angemessene Abschreckung aufzubauen, selbst wenn es in der Ukraine zu einem Waffenstillstand kommen sollte. Die hohe Nachfrage aufgrund der Nachrüstung dürfte ausserdem über 2030 hinaus anhalten und somit länger, als viele Investoren glauben.
Rheinmetalls Umsatz soll in diesem Jahr um 25 bis 30% zulegen. Das entspricht einem Erlös von 12,2 bis 12,7 Mrd. €. In dieser Prognose noch gar nicht enthalten sind jedoch die Entwicklungen der vergangenen Wochen.
Ähnlich äusserte sich Oliver Dörre, CEO von Hensoldt, jüngst im Internationalen Club Frankfurter Wirtschaftsjournalisten. Seine Prognosen habe der Radarspezialist bislang unter der Annahme von Militärausgaben in Höhe von 2% des BIP getroffen.
Hensoldt hat in den vergangenen drei Jahren rund 1 Mrd. € investiert und will dieses Jahr das Personal erneut um 1000 auf dann 8500 Mitarbeiter aufstocken. Man übernehme ganze Teams vom Automobilzulieferer Continental, die dort von der Schliessung von Werken bedroht seien. Dabei geht es vor allem um Softwarespezialisten, denn «Daten sind so wichtig wie Munition», sagt Dörre. Eine Fregatte sei «ein schwimmendes Rechenzentrum». Auch er hofft, ein grosses Stück vom Kuchen des Konjunkturpakets abzubekommen, verweist aber darauf, dass das Geld ebenso für die Betriebskosten, die Infrastruktur, das Personal und den Zivilschutz benötigt wird. Mit anderen Worten: Nicht die komplette Summe wird direkt in Rüstungsgüter fliessen.
Das erste Sondervermögen für die Bundeswehr über 100 Mrd. € kam nach Dörres Angaben zu einem Drittel sogar US-Unternehmen zugute. Künftig sollten die Staaten europäischer einkaufen, wenn es nach dem CEO von Hensoldt geht.
Die Valoren des Radarspezialisten sind für die nächsten zwölf Monate mit einem KGV von 38 bewertet. Beim Panzergetriebehersteller Renk, am Montag in den MDax aufgestiegen, liegt die Kennzahl sogar bei 50. The Market sieht bei Rheinmetall und Hensoldt weiter Kurspotenzial, während bei Renk aufgrund des zunehmenden Wettbewerbs Vorsicht geboten ist.
Zwar ist noch nicht klar, wie die Rüstungsausgaben aufgeteilt werden oder wann sie sich in tatsächlichen Aufträgen niederschlagen, doch das Wachstumspotenzial ist enorm. Grundsätzlich sind Kursrücksetzer durch Gewinnmitnahmen – wie zuletzt – daher eine Gelegenheit, Positionen aufzustocken.
Die Aktien des Energietechnikkonzerns haben wieder eine gewisse relative Stärke und sind im Momentum Screen zurück in der Nähe der Tabellenspitze, sie liegen an fünfter Stelle.
Siemens Energy gilt ebenfalls als ein Profiteur des Infrastrukturpakets. Denn aufgrund eines Zugeständnisses an die Grünen im deutschen Bundestag musste der Klimaschutz in dem Paket mehr Beachtung finden. Davon könnte in Zukunft ausgerechnet das defizitäre Windkraftgeschäft profitieren, heisst es an der Börse.
Siemens Energy hat ferner gerade einen Grossauftrag aus Saudi-Arabien an Land gezogen. Für insgesamt 1,6 Mrd. $ sollen die Münchner zusammen mit der chinesischen Harbin Electric zwei gasbetriebene Kraftwerke ausrüsten. Der Auftrag umfasst auch die langfristige Wartung, um den Betrieb in den nächsten 25 Jahren zu gewährleisten, und entspricht etwa 11% des gesamten Auftragseingangs des ersten Quartals des laufenden Geschäftsjahres.
Die Aktien wurden zuletzt durch die Erwartung angetrieben, in den USA könnte Siemens Energy viele Aufträge einheimsen, da dort der Energiebedarf beim Einsatz von KI zunehmen wird. Dementsprechend sind auch die Valoren von Wettbewerber GE Vernova gestiegen. Siemens Energy ist auf Basis des für die nächsten zwölf Monate geschätzten Gewinns mit einem KGV von 54 bewertet, GE Vernova ist mit 55 nur unwesentlich teurer. Auch wenn es deutliche Wachstumsfantasie gibt, ist The Market skeptisch und stuft Siemens Energy als Hochrisikoaktie ein. Daran ändert auch das zurückgewonnene Momentum nichts.
Der Zementhersteller Heidelberg Materials dürfte direkt von der Modernisierung und dem Ausbau der deutschen Infrastruktur profitieren. Die Titel sind verglichen mit ihrer Historie und auch dem Wettbewerb mittlerweile aber recht teuer. Das KGV für die nächsten zwölf Monate beträgt 14, während der Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre bei 8 liegt. Wettbewerber Holcim aus der Schweiz, schon immer etwas höher bewertet, gibt es zum 16-Fachen des für die nächsten zwölf Monate geschätzten Gewinns (Mittelwert der vergangenen fünf Jahre: 14).
Auffällig sind die Insiderverkäufe: Zuletzt haben Ludwig Merckle und seine Familie über ihre Holding Spohn Cement mehrmals Aktien im zweistelligen Millionenvolumen veräussert. Das muss nicht unbedingt Unheil bedeuten, ein Vertrauensbeweis ist es aber auch nicht. Wer die Papiere hält, könnte es den Insidern gleichtun und einen Teil seines Gewinns realisieren. The Market empfahl sie im Juni vergangenen Jahres. Da wurden sie zu Kursen um 95 € gehandelt.
Nach Schätzungen des Bankhauses Metzler könnte die Staatsverschuldung Deutschlands als Folge des Infrastrukturpakets und der deutlich höheren Militärausgaben in der kommenden Dekade in der Spitze bis auf 90% des BIP steigen. 2024 waren es gemäss Daten von Eurostat 62%. Die Zinsen haben wegen der drohenden höheren Staatsverschuldung bereits angezogen. Sollte sich die Konjunktur erholen, wird zudem die Kreditnachfrage steigen. Von dem Fiskalpaket profitierten Kreditinstitute also zweifach.
Bei Commerzbank (Coba) wird die Luft allerdings immer dünner. So könnte sie für UniCredit als Übernahmeobjekt langsam tatsächlich an Reiz verlieren. Denn Coba ist mittlerweile mit einem KGV von 11 bewertet. Der Durchschnitt der vergangenen drei Jahre liegt bei 9.
Die Aktien der Deutschen Bank werden derzeit für die nächsten zwölf Monate mit einem KGV von 8 gehandelt. Das Kurs-Buchwert-Verhältnis beträgt 0,6, bei einer Eigenkapitalrendite von 8%. Auch wenn das selbstgesteckte Ziel von 10% vielleicht zu ambitioniert erscheint, sind die Titel des grössten deutschen Kreditinstituts recht günstig zu haben. Die Analysten der DZ Bank etwa halten den Bewertungsabschlag gegenüber vergleichbaren europäischen Banken für «zu ausgeprägt». Denn die Bank ist nach der erfolgreichen Restrukturierung in den vergangenen Jahren gut aufgestellt, ihren Gewinn künftig zu steigern. Die Prämie zur Absicherung gegen das Risiko eines Zahlungsausfalls ist zuletzt ebenfalls gesunken. Erste Wahl für Shortseller sind die Valoren jetzt jedenfalls nicht mehr.
Wer das Risiko nicht scheut, das insbesondere die von aussen schwer vorhersagbare Entwicklung im Investment Banking bedeutet, bekommt hier eine im Vergleich zu anderen europäischen Bankaktien günstige Investmentchance mit Momentum.
In der Schweiz sind die Kursbewegungen zurzeit weniger ausgeprägt, und die Gewinneraktien wechseln sich häufiger an der Spitze ab. Auffällig sind allerdings die Versicherer Swiss Re, Zurich und Swiss Life im Swiss Leader Index (SLI). Ihre Titel notieren auf oder nahe ihrem 52-Wochen-Hoch. Das ist für sich genommen ein Kaufsignal für Trendfolger, vorausgesetzt, die Bewertung ist attraktiv.
Swiss Life glänzt als Dividenden-Aristokrat mit einer verlässlichen Ausschüttung. Zurich verspricht eine hohe Dividendenrendite und will die Dividende um 8% auf 28 Fr. je Aktie anheben. Der Rückversicherer Swiss Re ist aufgrund des Kursanstiegs recht hoch bewertet. Das Shiller-KGV, das auf dem Durchschnittsgewinn der vergangenen zehn Jahre basiert, liegt auf einem Zehnjahreshoch.
Der heimliche Star ist Helvetia. Zu dem Versicherer mit Sitz in St. Gallen gab es jüngst Gerüchte über eine mögliche Fusion mit Baloise. Beide Aktien sind im SMI Expanded (SMI und SMIM) zu finden und damit auch in den Tabellen des Momentum Screen – Helvetia ganz oben in der Liste. Ein wahres Schnäppchen ist auch sie nicht.
Unter den unbeliebt gewordenen US-Aktien stechen besonders die Valoren des wirtschaftlich angeschlagenen Flugzeugbauers Boeing positiv hervor: Sie konnten deutlich an Momentum gewinnen. US-Präsident Donald Trump hatte im Weissen Haus verkündet, dass Boeing den Auftrag für den Bau eines neuartigen Kampfjets erhalten habe. Der Kampfjet der sechsten Generation solle den Namen F-47 tragen. Trump ist der 45. und 47. Präsident der USA. Das derzeit modernste Modell F-35 (fünfte Generation) baut Boeing-Rivale Lockheed Martin. Boeing erzielt rund 36% des Umsatzes im Geschäftsfeld Defense, Space and Security.
Momentum hin oder her, risikoaverse Anleger setzen lieber auf Airbus als auf den US-Rivalen. Zu den Aktien hat The Market im Februar geraten.
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Der Autor hält Aktien von Commerzbank und Rheinmetall.