Die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats relativiert die unübersehbaren Schwierigkeiten auf dem Weg zu einem Abkommen.
Das Europadossier hat zwei Seiten, eine technische und eine emotionale. Bei der ersten bewegt man sich derzeit noch gefühlt im Zentimeterbereich, während die Gefühle langsam aber sicher aufwallen.
Mit der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats (APK-N) hat sich am Dienstag nun erstmals eine Vertretung des Parlaments im Rahmen einer Medienkonferenz zum bundesrätlichen Entwurf des Verhandlungsmandats mit der Europäischen Union (EU) geäussert. Eines vorneweg: Ein allfälliges Vertragswerk mit der EU hat alle Ingredienzen, um zum härtesten politischen Kampf seit der Covid-Ära zu werden.
Das vom Bundesrat angestrebte Abkommen mit der EU soll neu nicht mehr mit einem Rahmen umfasst werden. Die verschiedenen Verträge werden in Pakete verpackt. Der Umfang reicht von den «institutionellen Fragen» rund um die Rechtsübernahme und die Streitschlichtung über neue Abkommen zu Themen wie Strom und Gesundheit bis zu ganz konkreten Fragen rund um Zuwanderung, Lohnschutz oder Sozialhilfe sowie höheren Kohäsionsbeiträgen.
Mehrheit weicht Frage nach Ständemehr aus
Pro- und Contra-Lager waren bekannt, zeigen nun in der Konsultation der APK-N jedoch stärker ihre Konturen – aber auch ihre Widersprüche. Auf der befürwortenden Seite steht die europhile Linke um Nationalratspräsident Eric Nussbaumer oder die grüne Basler Nationalrätin Sibel Arslan. Corina Gredig, die neue Fraktionschefin der europafreundlichen GLP, baut die Brücke hin zur Mitte-Partei und der FDP. APK-Präsident Laurent Wehrli, ein Freisinniger aus der Waadt, war sehr bestrebt, an der Pressekonferenz den Goodwill der Kommissionsmehrheit zugunsten neuer Verträge hervorzuheben.
Man wolle die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU «stabilisieren» und «weiterentwickeln», heisst es bei den Befürwortern. Die APK-Konsultation zum Mandatsentwurf wurde schliesslich mit 16 zu 9 Stimmen zuhanden des Bundesrats verabschiedet. Man muss kein Politexperte sein, um darauf zu kommen, dass es sich bei den neun Gegenstimmen um die neun SVP-Mitglieder in der Kommission handeln muss.
Die Volkspartei stimmte gegen Eintreten auf die Debatte und gegen eine institutionelle Anbindung der Schweiz an die EU. Sie wollte die Kommission zudem dazu bringen, sich zur Unterstellung des EU-Abkommens unter das obligatorische Referendum mit Volks- und Ständemehr zu bekennen. SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi hat eigenen Angaben zufolge den Antrag für das obligatorische Referendum gestellt.
Doch die Kommissionsmehrheit befand, es sei noch zu früh, um über die Beschaffenheit der finalen Abstimmung zu befinden. Laut dem «Nebelspalter» soll sich allein Mitte-Präsident Gerhard Pfister der SVP angeschlossen und für das Ständemehr votiert haben. FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann habe sich enthalten. Die Frage, welche Hürde es im Inland braucht, um die weitgehenden Verträge zu legitimieren, könnte entscheidend sein.
Wie hast Du’s mit der Schweiz – Ja, Nein, vielleicht?
Zufrieden zeigten sich nach der Debatte in der APK-N die Gewerkschaften. Ihre roten Linien bleiben weiterhin bestehen, auch wenn die Befürworter versuchen, sie etwas zu verwischen. So sagte Wehrli, dass etwa die Differenz rund um die Übernahme des EU-Spesenreglements im Verhältnis zum Gesamtpaket nicht allzu wichtig sei. Für die Gewerkschaften ist die Spesenfrage jedoch zentral, ein Einlenken dürfte hier nur schwer möglich sein.
Dasselbe gilt für die Beibehaltung des Kooperationsmodells mit den SBB im Hinblick auf den internationalen Personenschienenverkehr. Oder für den Verbleib in der Grundversorgung für Haushalte und Kleinunternehmen, wenn die Schweiz auf Verlangen der EU hin den hiesigen Strommarkt liberalisieren müsste. Die Mehrheit der APK-N ist derzeit darauf bedacht, die unübersehbaren Schwierigkeiten auf dem Weg zu einem Abkommen zu relativieren.
Kampf der Semantik
Die SVP ihrerseits hebt hervor, dass der nun vorliegende Entwurf noch schlechter sei als das Rahmenabkommen, das vor bald drei Jahren gescheitert ist. Bei den zu entrichtenden Kohäsionszahlungen gehe man davon aus, dass der Zutritt zum EU-Binnenmarkt die Schweiz jährlich mehrere Milliarden Franken kosten werde, sagte der Luzerner Nationalrat Franz Grüter. Der Unternehmer warnt auch vor den sogenannten Ausgleichsmassnahmen, die vorgesehen sind, wenn die Schweiz sich einer Übernahme von EU-Bestimmungen verweigern würde. Damit würde man die EU ermächtigen, Sanktionen gegen die Schweiz zu ergreifen. «Ausgleichsmassnahmen» versus «Sanktionen» – der Kampf um das Europadossier dürfte nicht zuletzt auf dem semantischen Ebene entschieden werden.
Der Bundesrat bleibt bei seinem Vorhaben, die Verhandlungen mit der EU noch im laufenden Jahr abzuschliessen, vorerst auf Kurs. Der grundsätzliche Goodwill des Parlaments war bereits Anfang Jahr zu spüren. Ende dieser Woche werden sich die Kantone via Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) zum Entwurf äussern. Es dürfte technisch bleiben – und noch emotionaler werden.